Die Dame da, mit dem schönen Lächeln …
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Spendensammeln mit neurolinguistischem Programmieren
Die Dame da, mit dem schönen Lächeln …
… bitte mal stehen bleiben! Profispendensammler verteilen oft aggressiv Komplimente. Was steckt dahinter?
Ulrike BlieffertPrivat
03.05.2021
3Min

chrismon: Spendensammeln läuft oft so ab: Junge, dynamische Leute hüpfen und umflirten einen und machen Komplimente. Werden Spendensammler:innen mit dem neurolinguistischen Programmieren (NLP) geschult?

Michael Utsch: NLP ist vom Ursprung her ein therapeutischer Werkzeugkasten. Eine der Techniken soll Therapeuten beispielsweise ermöglichen, schnell einen guten Draht zu den Patienten aufzubauen, damit sie sich für die Zusammenarbeit öffnen. Später wurde dieses Instrument in der Schulung von Verkäufern benutzt. Und jetzt offenbar auch fürs Spendensammeln. Mir ist das auch schon öfters unangenehm aufgefallen.

Wieso funktioniert NLP so gut?

Wir alle sind offen für Komplimente. Wenn man uns sagt: "Sie haben aber einen süßen Hund" oder auch "ein nettes Lächeln", reagieren wir normalerweise nicht abweisend. Auch wenn jemand durch Gestik und Mimik signalisiert, dass er sich für uns und unsere Welt interessiert, öffnen wir uns. Das ist der erste Schritt ins Gespräch – und eben auch ins Verkaufsgespräch.

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Michael Utsch

Michael Utsch, geboren 1960, ist evangelischer Theologe, Diplom-Psychologe und Psychotherapeut. Er arbeitet als wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin.
Ulrike BlieffertPrivat

Ulrike Blieffert

Ulrike Blieffert, geboren 1971, hat Anglistik und BWL studiert und an der Deutschen Journalistenschule in München volontiert. Sie rbeitet als freie Journalistin in München - mit einem Schwerpunkt auf Familienthemen und Psychologie.

Was daran ist eigentlich so unangenehm? Es dient ja einem guten Zweck.

Man wird auf eine sehr persönliche Weise angesprochen, ist überrascht und vielleicht spontan berührt. Und versteht einen kurzen Moment später: Das Interesse ist gar nicht echt. Für den anderen bin ich ein beliebiger Kunde. Wenn es einem – aus anderen Gründen - gerade nicht so gut geht, bleibt ein bitterer Beigeschmack.

Nutzen auch die evangelische Kirche oder kirchliche Organisationen NLP beim Spendensammeln?

Auch kirchliche Organisationen nutzen zunehmend professionelle Fundraising-Strategien. Dabei sind Transparenz und eine christliche Verkaufsethik höchste Prinzipien. Ein direktives Zugehen auf Menschen ist tabu.

Kennen Sie andere Organisationen, die mit NLP arbeiten?

Grundtechniken des NLP verwenden viele Beraterinnen und übrigens auch Seelsorger. Aber nicht, um die Bindung zu erhöhen und dann wirtschaftlich auszunutzen. So wird vor allem in den sogenannten Strukturvertrieben vorgegangen. Das ist eine Vertriebsform, die ausschließlich persönliche Netzwerke nutzt, um Kosmetik, Haushaltswaren und anderes zu verkaufen. Auch hier geht es darum, Beziehungen aufzubauen und sie kommerziell auszuschlachten.

"Freundschaft und Verkaufsinteressen zu vermischen, halte ich für problematisch"

So wie bei Tupperpartys?

Zum Beispiel, die sind ja noch recht harmlos. Nicht ganz so harmlos sind Organisationen, deren Mitglieder ihren Freunden und Bekannten gezielt und systematisch Coachings empfehlen, die ungewöhnlich teuer sind. Die persönliche Empfehlung, das wiederholte Schwärmen verführt dazu, es mal auszuprobieren.

Was halten Sie davon?

Freundschaft und Verkaufsinteressen zu vermischen, halte ich für problematisch. Auch Fremden ein Interesse vorzuspielen, das ich gar nicht an ihnen habe, ist manipulativ. Problematisch ist auch, dass sich jede und jeder auf Youtube Tutorials ansehen kann, in denen Psychotricks vorgeführt werden. Um diese Instrumente anzuwenden, muss man nicht studiert haben. Aber dann fehlt eben oft das psychologische Hintergrundwissen und das ethische Gerüst.

Ist nicht auch das Geschäftsmodell von Influencer:innen ähnlich? Auch sie versuchen, Beziehungen zu ihren Followern aufzubauen, um ihnen etwas zu verkaufen.

Aufmerksamkeit ist heute ein sehr wertvolles Gut, das gerade in den sozialen Medien elementar notwendig ist. Man sollte sehr genau auf sein Bauchgefühl achten und abschalten, sobald man sich vereinnahmt fühlt.

Durchschauen die Kunden solche Tricks irgendwann?

Das Vertrauen der Kunden und Kundinnen kann nur wachsen, wenn ein Verkäufer fair und aufrichtig bleibt. Die Spendensammler sind das beste Beispiel: Begegnet man ihnen mehrmals, entlarvt man die Komplimente als Taktik. Spätestens dann fühlt man sich nicht mehr geschmeichelt, sondern ist genervt.

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