"Andere würden mich hyperaktiv ­nennen", Bernd Osterloh
Dirk von Nayhauß
Betriebsrat und Manager Bernd Osterloh im Interview
"Ich kann mich schon mal aufregen"
Ein Friedensstifter musste Bernd Osterloh als mächtigster Betriebsrat Deutschlands auch nicht sein. Nun ist er auf die Unternehmensseite gewechselt
Dirk von Nayhauß
03.05.2021
4Min

chrismon: In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Bernd Osterloh: Ich komme mit drei bis vier Stunden Schlaf aus, manchmal zwei. Die Kolleginnen und Kollegen merken das, wenn ich ihnen nachts E-Mails schicke. Schlafe ich zu viel, dann habe ich morgens Kopfschmerzen. Ich bin ein sehr aktiver Mensch. Andere würden es hyperaktiv ­nennen. Geht es um Strategie und Taktik, spornt mich das an. Wenn ich mir überlege: Was passiert, wenn ich das und das mache? Was löse ich aus?

Bernd OsterlohDirk von Nayhauß

Bernd Osterloh

Bernd Osterloh, ­geboren 1956, ist Personalvorstand der Volkswagen-Tochter Traton SE. Nach einer ­Lehre zum Industriekaufmann kam er 1977 zu VW. 2005 wurde er Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von VW, seitdem war er auch Mitglied des VW-­Aufsichtsrats - und galt bis zu seinem Rücktritt Ende April 2021 als der mächtigste Betriebsratschef in Deutschland. Bernd ­Osterloh ist verheiratet und hat vier Kinder.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Bin ich als Kind in Schwierigkeiten geraten, dann habe ich nach oben geguckt und gesagt: "So, jetzt musst du mir helfen." Ich wollte keinen Ärger. Ich hatte die Vorstellung, dass da jemand ist, der mir in Situationen hilft, die ich ­allein nicht bewältigen konnte. Ich bin Kirchensteuer­zahler und finde das richtig. Aber ich habe mit den Jahren meinen Glauben an Gott verloren. Es gibt so viele Ungerechtigkeiten auf der Welt, allein die Armut so vieler Menschen! Da kann ich nicht glauben, dass es einen Gott gibt.

Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?

Ja, Schuldgefühle habe ich, wenn ich einen Fehler gemacht habe. Entweder korrigiere ich den Fehler. Oder ich versu­che, wenn das nicht geht, nicht mehr drüber nachzudenken. ­ Es gibt die helle Seite der Macht, die Betriebsräte, und es gibt die dunkle Seite, die Unternehmensseite. Auf ­beiden ­Seiten werden Fehler gemacht. Grundsätzlich bitte ich ­jeden um Verzeihung, dem ich unrecht getan habe, da mache ich keine Unterschiede. Aus strategischen Gründen macht das aber im Arbeitszusammenhang nicht immer Sinn . . .

Muss man den Tod fürchten?

Zuerst sitzt du auf Trauerfeiern der Familie in der dritten Reihe, dann in der zweiten. Bist du in der ersten Reihe angekommen, dann ist klar, dass du irgendwann auf der anderen Seite sitzt. Nein, ich fürchte ihn nicht. Ich könnte nicht leben, wenn ich dauernd mein Ende vor Augen hätte. Ich fahre schnell Auto, ich fahre Motorrad, das ist eigentlich lebensgefährlich. Wir leben doch alle so, als würde es ewig so weitergehen. Ob ich ohne Reue werde sterben ­können? Ich habe mich von meiner ersten Frau getrennt, da war mein Sohn 15. Es war ein Riesenfehler, das zu diesem Zeitpunkt zu tun. Er war in der Pubertät, für ihn war das ein Schock. Das würde ich aus heutiger Sicht garantiert anders machen. Als meine Mutter unerwartet starb, war ich gerade in Leipzig. Ich bin nachts zurückgefahren, ich habe bereut, dass ich nicht viel mehr Zeit für sie hatte. Aber sie wusste immer, warum ich das mache, was ich mache.

"Ich bin ein sehr herzlicher Mensch, und ich brauche Lob und Zuwendung"

Wer ist klüger: Kopf oder Bauch?

Ich bin ein emotionaler Mensch. Ich kann mich schon mal aufregen, wenn etwas nicht funktioniert, aber das habe ich über meinen Kopf sehr gut im Griff. Hat sich was auf­gestaut, braucht man ein Ventil, deswegen ist es natürlich supergut, Dampf abzulassen, das entspannt mich. Ich schreie keinen an, ich habe aber eine klare Sprache, und mein Gegenüber hört genau, was ich will. Umgekehrt sehen auch alle ein­deutig, wenn ich begeistert bin, mich freue.

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Wie viel Macht tut einem gut?

Man braucht ein Umfeld, das einem sagt, wie man mit seiner Position umgeht. Sonst tut einem die Macht nicht gut. Dann trifft man Entscheidungen, die keine Grundlage haben. Meine Kolleginnen und Kollegen sagen mir, wenn sie anders denken als ich. Einiges lasse ich mir durch den Kopf gehen. Ich bin 1,89 Meter groß. Allein durch mein Auftreten, durch meine Ansprache bringe ich, wenn ich einen Raum betrete, eine gewisse Präsenz mit. Ich bin aber nicht so, wie die meisten Leute mich einschätzen. Ich bin ein sehr herzlicher Mensch, und ich brauche Lob und Zuwendung.

Wie befrieden Sie Konflikte?

Ein Friedensstifter bin ich nicht, das wäre übertrieben. Bin ich selbst involviert, dann gucke ich: Was möchten die anderen, was möchte ich? Und irgendwann kommt man zu einer Entscheidung. Viele Menschen in der Produktion finden es ungerecht, dass andere im Homeoffice arbeiten. Aber man kann eine Karosserie nicht zu Hause montieren. Ich versuche, das zu erklären. Ob das immer auf volles Verständnis stößt, kann ich nicht einschätzen. Letztlich geht es darum, die Pandemie einzudämmen, und deswegen ist es am besten, wenn so wenig Menschen wie möglich da sind.

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Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch mit Bernd Osterloh. Schade nur, dass Dirk von Nayhauß den bis zum 1.5. „mächtigsten Betriebsratschef Deutschlands“ nicht gefragt hat, wie er es erklärt, als fast 65-Jähriger kurz vor dem Rentenalter noch die Seiten zu wechseln und Vorstand bei der VW-Tochtergesellschaft Traton zu werden. Aber vielleicht ist das ja auch eine Antwort auf die Interviewfrage: „Wie viel Macht tut einem gut?“…
Beste Grüße,
Michael von Bartenwerffer
Münster