Moment mal!
Geduld ist eine der wesentlichen Lockdown-Lernaufgaben.
24.03.2021

"Warten Sie bitte! Sie sind gleich dran." Wenn die Arzthelferin auch schon vor ­Corona-Zeiten diese beiden Sätze mit sanftem Lächeln zu mir sprach, begann ich nicht, Minu­ten zu zählen. Hinter "gleich" konnte sich eine halbe Stunde verstecken. Daran dachte ich, als ich neulich mit einer akuten Verletzung im menschenleeren Warteraum vor einem Operationssaal saß. "11.30 Uhr" stand auf dem Terminzettel, den mir die Chef­ärztin hatte aushändigen lassen. Inzwischen waren anderthalb Stunden verstrichen, und niemand war erschienen, um mir den Grund für die Verspätung mitzuteilen.

Lena Uphoff

Arnd Brummer

Arnd Brummer, geboren 1957, ist Journalist und Autor. Bis März 2022 war er geschäftsführender Herausgeber von chrismon. Von der ersten Ausgabe des Magazins im Oktober 2000 bis Ende 2017 wirkte er als Chefredakteur. Nach einem Tageszeitungsvolontariat beim "Schwarzwälder Boten" arbeitete er als Kultur- und Politikredakteur bei mehreren Tageszeitungen, leitete eine Radiostation und berichtete aus der damaligen Bundeshauptstadt Bonn als Korrespondent über Außen-, Verteidigungs- und Gesellschaftspolitik. Seit seinem Wechsel in die Chefredaktion des "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts", dem Vorgänger von chrismon im Jahr 1991, widmet er sich zudem grundsätzlichen Fragen zum Verhältnis Kirche-Staat sowie Kirche-Gesellschaft. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt kulturwissenschaftlichen und religionssoziologischen Themen. Brummer schrieb ein Buch über die Reform des Gesundheitswesens und ist Herausgeber mehrerer Bücher zur Reform von Kirche und Diakonie.

Ich übte mich in fragloser Unzufriedenheit. Immerhin sauste nach circa drei Stunden ein OP-Assistent durch den Flur. Er hörte mein ­"Hallo" und bremste ab. "Wir haben Corona- bedingt hier gerade mehrere Notfälle. Seien Sie geduldig." Immerhin bot er mir ein Mineralwasser und eine zwei Jahre alte Illustrierte zur Lektüre an. Nach einer weiteren Stunde fuhr er mich in den Operationssaal.

"Warten können" ist eine der wesentlichen Lockdown-Lernaufgaben. In den Schlangen vor Lebensmittelläden oder Apotheken erscheint mir dies erträglich. Auch über mehrere Meter Distanz kann man sich unterhalten und laut lachen (Lächeln ist hinter Masken nicht wahrnehmbar).

Sehr viel schwerer komme ich damit zurecht, wenn ich nur online ein­kaufen kann. So ließ mich die Hotline eines Elektrokonzerns richtiggehend erkalten, als ich nach dem Status des bestellten Toners für meinen Drucker fragen wollte. Zwar hatte man mir via E-Mail sofort nach der Bestellung mitgeteilt, dass ich korrekt bezahlt hätte und die Ware unterwegs sei. Und in einer weiteren Mail erfuhr ich zwei Tage später, dass der Toner nun verschickt worden sei. Aber nach vier Tagen war er noch immer nicht eingetroffen.

Der nächste freie Mitarbeiter wird mit Ihnen sprechen – in einer Stunde

Der Anruf beim Callcenter begann mit der Mitteilung einer sanften Stimme: "Gegenwärtig erreichen uns zahlreiche Anrufe. So bitten wir Sie um Verständnis, wenn Sie ein wenig warten müssen. Der nächste freie Mitarbeiter wird mit Ihnen sprechen." Diese Info, untermalt durch ein melo­disch schlichtes "Klingklang", hörte ich circa hundertmal in einer Stunde. Dann legte ich auf. Drei Tage später fand ich den Toner im Briefkasten.

Als ich diese Erfahrung meinem Nachbarn Hans mitteilte, erzählte er mir, dass sein Sohn in einem Call­center arbeite. "Wenn dann ein Anruf nach längerer Wartezeit ankommt, wird er oft von wütenden Leuten angemacht und beschimpft." Immerhin habe die Chefin ihm erklärt, dass es die wichtigste Aufgabe in diesem Job sei, freundlich zu bleiben, selbst wenn man persönlich verletzt worden sei.

Warten, warten! Nachdem ich ­lediglich zur Gruppe III gehöre, ­werde ich mit einem Corona-Impftermin wohl erst im Oktober rechnen können. Immerhin haben zwei über achtzig Jahre alte Menschen, die mir nahe sind, einen Impftermin innerhalb von vier Wochen erhalten. Und dass die freundliche Frau, mit der sie telefonierten, ihre Postleitzahl falsch notiert hatte, ließ sich beheben. Die 100 Kilometer Anfahrt nach Sinsheim können sie streichen und nun stattdessen in Sindelfingen warten, was tatsächlich nur ein paar Minuten von ihrer Wohnung entfernt ist.

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Für mich ist nur das Warten auf wirklich-wahrhaftige Vernunft ein Greuel, denn dann muss auch ich der Versuchung von Kompromissbereitschaft zur Bewusstseinsbetäubung Tribut zollen, vielleicht sogar noch bis zum Jüngsten Gericht!?