In amerikanischen Buchhandlungen kann man häufig Folgendes beobachten: Die Regale, in denen religiöse Bücher stehen, sind einerseits zwar mit "Judentum" und "Islam" gekennzeichnet. Aber dort, wo man die Rubrik "Christentum" erwartet, findet man meist nur die Worte "Western Religion", westliche Religion. Offensichtlich gilt es im intellektuellen amerikanischen Milieu als anstößig, geradewegs von der christlichen Religion oder von Jesus Christus zu sprechen. Damit, so eine Befürchtung, assoziieren nicht wenige Amerikaner eine Überlegenheit des Christentums über andere Religionen oder gar einen Absolutheitsanspruch.
Was bedeutet die Person Jesu Christi für den Glauben?
Auch hierzulande fällt auf: Das Verhältnis des christlichen Glaubens zu Jesus Christus ist nicht mehr selbstverständlich. Manche Christen tun sich schwer damit, sich auf Jesus Christus zu berufen. Andere fragen kritisch nach, wie ein Christusbekenntnis nach Auschwitz, also nach den Verbrechen am europäischen Judentum durch das nationalsozialistische Deutschland, noch möglich sein soll. Zudem heißt es: Es sei nicht geschlechtergerecht, Jesus Christus als Herrn und Heiland zu bekennen. Klarheit darüber, was die Person Jesu Christi für den Glauben bedeutet, ist nötig. Auf dem Weg dazu ist es gut, sich zunächst mit diesen drei Einwänden zu beschäftigen.
Der erste Aspekt: der interreligiöse Dialog und die politische Korrektheit. Von Jesus Christus zu sprechen, gilt heutzutage vielen nicht als korrekt. Es stimmt: Durch das Christusbekenntnis unterscheidet sich der christliche Glaube von den anderen monotheistischen Religionen, von Judentum und Islam. Gäbe es das Christusbekenntnis nicht, dann ließe sich ein Einvernehmen dieser Religionen vielleicht einfacher erzielen. Freilich, so muss man einwenden, ist das Einvernehmen zwischen Judentum und Islam heute denkbar gering, obwohl das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Messias beiden Religionen fremd ist. Manche Christen, denen die Gesprächsfähigkeit gegenüber dem Judentum wie gegenüber dem Islam besonders am Herzen liegt, lassen deshalb das an ihrem eigenen Glauben zurücktreten, wovon sie vermuten, es könne das Gespräch behindern: das Bekenntnis zu Christus.
Doch von einem interreligiösen Dialog kann im Ernst nur die Rede sein, wenn der Glaubenskern der beteiligten Religionen nicht verschwiegen, sondern zur Sprache gebracht wird. Der aufmerksame, respektvolle und gegebenenfalls kritische Umgang mit den Unterschieden zwischen den beteiligten Religionen ist ein unabdingbarer Bestandteil jedes Gesprächs, das diesen Namen verdient.
Das Christusbekenntnis und der Holocaust
Der zweite Aspekt: das Christusbekenntnis und der Holocaust. Für jeden, der sich der deutschen Geschichte bewusst ist, liegt hierin eine besondere Herausforderung. Das Bekenntnis zu Jesus Christus hat sich auf weite Strecken mit einer Abkehr von den jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens verbunden. Im beharrlichen Bekenntnis des Volkes Israel zu dem Gott, der mit ihm einen unverbrüchlichen Bund eingegangen war, sahen viele Christen nur den Ausdruck eines "verstockten" jüdischen Neins zu Jesus Christus.
Die Verweigerung gegenüber dem Bekenntnis, dass Jesus der Messias ist, verknüpften sie mit dem Vorwurf, die Juden trügen die Schuld am Kreuzestod Jesu. Dass in der Darstellung des Matthäusevangeliums das jüdische Volk die Hinrichtung Jesu mit den Worten fordert: "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder" (Matthäus 27,25), galt als Rechtfertigung für die Verfolgung der Juden. Aus dem innerjüdischen Konflikt, den das Neue Testament schildert, entwickelten sich in den folgenden Jahrhunderten, erst recht im Mittelalter, festgefügte antijüdische Stereotypen.
Drei Elemente traten dabei in den Vordergrund. Für die christlichen Kirchen galt Gottes Bund mit Israel deshalb als erloschen, das Volk Israel als von Gott verworfen, weil es Jesus als den Messias abgelehnt hatte. Nun war die Kirche als das "Volk Gottes" an die Stelle des Volkes Israel getreten; die Verheißungen Israels und damit der rechtmäßige Gebrauch der hebräischen Bibel, des christlichen Alten Testaments, war auf die Kirche übergegangen. Diese abwertenden theologischen Konzeptionen verbanden sich mit Klischees vom "unsteten Juden"; ja, sie steigerten sich bis dahin, dass getaufte Juden im Spanien des 15. Jahrhunderts als "Marranen" ("Judensäue") bezeichnet wurden. Diese menschenfeindliche Abwertung kehrte auch auf bildlichen Darstellungen in christlichen Kirchengebäuden wieder.
Immer wieder wurde das Christusbekenntnis zum Dreh- und Angelpunkt dieses christlichen Antijudaismus. Dieser bahnte den Weg zu einem Antisemitismus, der nun - fern von allen Glaubensko nflikten rassistisch begründet wurde, und mündete schließlich in die unvergleichlichen Verbrechen des Völkermords an den Juden. So trugen die antijüdischen Stereotypen der christlichen Theologie zur Unheilsgeschichte der Schoah, des Mordes am europäischen Judentum, entscheidend bei.
Nach Auschwitz musste deshalb ein Neuansatz gesucht werden. Die Frage stellte sich, wie das Bekenntnis zu Jesus Christus nach der Schoah zu fassen sei, ja: ob ein solches Bekenntnis überhaupt noch möglich sei. Ein Christusbekenntnis nach Auschwitz muss einbeziehen, dass Jesus selbst Jude war; schon deshalb kann es nicht maßgeblich durch die Abgrenzung vom Judentum bestimmt sein. Vielmehr muss das Bekenntnis zur Heilsbedeutung Jesu Christi in einer Weise zum Ausdruck kommen, die mit der Anerkennung des ungekündigten Bundes Gottes mit dem Volk Israel vereinbar ist.
Jesus Christus und die Geschlechtergerechtigkeit
Der dritte Aspekt: das Bekenntnis zu Jesus Christus und die Geschlechtergerechtigkeit. Die Sprache, in der das Bekenntnis zu Jesus Christus zum Ausdruck kommt, weckt Widerstand. Wer sich um eine "geschlechtergerechte" Sprache bemüht, stößt sich unter Umständen bereits am einfachen Wortlaut des ältesten christlichen Bekenntnisses: "Herr ist Jesus." Widerspruch wecken auch die anderen Hoheitstitel, mit denen das Neue Testament die Einzigartigkeit Jesu beschreibt: "Menschensohn" wird er genannt; als "Gottessohn" wird er bezeichnet - alles Titel, die einer männlich dominierten Sprache entstammen. Und ist es beim Titel "Messias" und damit dem Namen "Jesus Christus" anders?
Jesus war ein Mann. Das lässt sich nicht leugnen. Doch unabhängig davon gehört die kritische Auseinandersetzung mit den patriarchalen Überformungen des christlichen Glaubens zu den wichtigen geistlichen und theologischen Fortschritten unserer Zeit. Die Aufmerksamkeit dafür, dass überlieferte christliche Lebens- und Glaubensformen Frauen einen minderen Status gegenüber Männern zuweisen, war überfällig. Ebenso wichtig war die konstruktive Gegenbewegung. Die Rolle von Frauen in biblischen Texten wurde entdeckt; bedeutende Frauen wurden als Vorbilder im Glauben gewürdigt; die besonderen Formen weiblicher Spiritualität fanden Beachtung. In den evangelischen Kirchen vollzog sich der Durchbruch zur Ordination von Frauen und damit zur vollen Teilhabe von Frauen am Verkündigungsauftrag der Kirche und an den kirchlichen Leitungsämtern.
Was bedeuten diese Entwicklungen für die Sprache, in welcher der christliche Glaube bezeugt wird? Wie kann diese Frage so geklärt werden, dass nicht die eigenen Deutungsinteressen dem, was bezeugt werden soll, übergeordnet werden? Diese Frage wurde auf exemplarische Weise deutlich, als im Jahr 2006 eine "Bibel in gerechter Sprache" veröffentlicht wurde. Die in meinen Augen unvermeidliche Kritik an der mangelnden Texttreue wie an dem überzogenen Anspruch dieser Veröffentlichung darf nicht für die Aufgabe blind machen, die Perspektive von Frauen auf das christliche Bekenntnis ernsthaft und intensiv einzubeziehen. .
Die Konzentration des christlichen Bekenntnisses auf Jesus Christus, so zeigen diese Überlegungen, versteht sich nicht mehr von selbst. Sie stößt auf Vorbehalte und weckt Rückfragen. Darin liegt eine große Chance. Wenn sich etwas nicht mehr von selbst versteht, kann man sich neu um sein Verständnis bemühen.
Dass Menschen sich bis zum heutigen Tag an Jesus orientieren und in ihm den entscheidenden Halt für ihr Leben finden, hat zunächst mit der Botschaft von Kreuz und Auferstehung zu tun. Weil sie über Jesu Tod hinaus Glauben gestiftet hat, wurden die Berichte über sein Leben weitererzählt und aufbewahrt; die vier Evangelien tragen deshalb den Charakter einer ausführlichen Hinführung zu dem Geschehen von Kreuzestod und Auferstehung. Das Einmalige schließlich, das den Menschen in diesem Geschehen begegnete, wurde zusammenfassend als Menschwerdung Gottes gedeutet. Es mündete in das Bekenntnis: "Herr ist Jesus." Dieses Bekenntnis bildet die Brücke zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Glaubens.
Wie gehören der historische Jesus und der Christus des Glaubens zusammen?
Ist diese Brücke auch heute begehbar? Wie gehören der historische Jesus und der Christus des Glaubens zusammen? Worauf kommt es an? Das Apostolische Glaubensbekenntnis endet mit dem Bekenntnis zur Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und dem ewigen Leben. Damit wird am Schluss dieses Bekenntnisses genannt, was für den christlichen Glauben das Besondere am Heilswerk Jesu Christi ausmacht. Eine Tür wird aufgetan zu dem Sinn des menschlichen Lebens, der vor Gott gilt. Weil es darauf ankommt, übergehen die frühen christlichen Bekenntnisse das Leben Jesu, wie es scheint, mit einem Federstrich. Von der Geburt Jesu gehen sie in einem Schritt zu seinem Leiden unter Pontius Pilatus, seinem Kreuzestod, seiner Auferstehung und seiner Erhöhung zur Rechten Gottes über. Sie signalisieren so, worin das Bekenntnis zu Jesus seinen Grund hat: nicht in seinem irdischen Wirken und auch nicht in seiner Verkündigung, sondern in der Heilsbedeutung seines Todes und seiner Auferstehung.
Heute liegt es vielen Menschen näher, von der Verkündigung Jesu auszugehen und das Vorbildhafte seines Wirkens herauszustellen. Dass er Kranke heilte und Versöhnung stiftete, erscheint für sein Wirken als entscheidend. Doch vorbildhaftes Verhalten allein kann die Stellung nicht begründen, die das christliche Bekenntnis Jesus Christus zuerkennt. Sie wird im Neuen Testament auch anders begründet. Besonders nachdrücklich weist das Johannesevangelium darauf hin, es erklärt fanfarenartig: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben" (Johannes 3,16).
Die Gottessohnschaft ist hier der entscheidende Bezugspunkt für die besondere Bedeutung Jesu. Die Gottessohnschaft Jesu als Zugang zum historischen Jesus? Papst Benedikt XVI. vertritt in seinem Buch "Jesus von Nazareth" (2007) die Auffassung, dass man das Leben Jesu überhaupt nur von seiner Gottessohnschaft aus verstehen könne; erst dadurch gewinne es, so sagt er, logische und historische Stimmigkeit.
So plausibel der Versuch ist, den Weg Jesu in einer Weise zu deuten, die von dem Bekenntnis zu seiner Gottessohnschaft ausgeht, so liegt doch in der Behauptung, dies sei der einzig denkbare Weg, eine Engführung. Denn die neutestamentlichen Schriften sind für eine Mehrzahl von Deutungen des Weges Jesu offen. Es ist deshalb legitim, wenn Historiker das, was wir historisch über das Leben Jesu wissen, von dem Bekenntnis zu seiner Gottessohnschaft unterscheiden. Aber wenn man das christliche Bekenntnis verstehen und den christlichen Glauben entschlüsseln will, muss man zugleich davon ausgehen, dass die Christenheit im Kreuzestod und in der Auferstehung Jesu die Antwort auf die bedrängenden Fragen des menschlichen Lebens gefunden hat - eben auf Sünde und Schuld, auf Tod und Vergänglichkeit. Man kann deshalb diese Unterscheidung nicht zu einer Trennung steigern und das Leben Jesu so schildern, als habe es mit der Heilsbedeutung von Kreuz und Auferstehung nichts zu tun. Das Leben Jesu und die Heilsbedeutung von Kreuz und Auferstehung sind nicht ein und dasselbe; aber sie gehören zusammen.