Wann wir schreiten Seit’ an Seit’ in die postparadiesisch’ Zeit. So solidarisch möchte man dichten. Denn ist es nicht rührend, wie der kolumbianische Künstler Fernando Botero das berühmteste Paar der Menschheitsgeschichte nach dem sündigen Apfel greifen lässt? Er legt ihr zärtlich den Arm auf die Hüften, sie berührt aufmunternd seine Schulter: Los, Schatz, schnapp ihn dir. – Da geht fast unter, dass der Künstler ein pikantes Detail verändert hat. Es ist Adam, der hier nach dem Apfel greift, während die Schlange ihre Zunge Richtung Eva bleckt – als wollte sie sagen: Er war’s, aber dich wird man dafür verantwortlich machen. Es ist Adams Apfel und Evas Sünde. Der Mann hat – zumindest kurz – den Spaß, die Frau den ewigen Ärger. Boteros Bild kommt drollig daher. Für seine prallen, runden Figuren wird der Maler geliebt – oder aber als harmlos und naiv bespöttelt.
Dabei verrät schon dieses Bild: Botero ist kein reiner Gute-Laune-Maler. Abseits seiner farbenprächtigen Leinwände tut sich viel Dunkles auf. Als sein vierjähriger Sohn 1974 bei einem Autounfall stirbt, ist lange unklar, ob der Künstler seine Karriere überhaupt fortsetzt. Die Bilder, die er später von seinem verstorbenen Kind anfertigt, helfen Botero, mit der eigenen Trauer umzugehen.
Biotop Streuobstwiese: Das Apfel-Paradies ist in Gefahr
Der Kolumbianer ist ein aufmerksamer und vielgereister Zeitgenosse – die Abgründe des Menschen beschäftigen ihn. In seinem 2005 entstandenen Abu-Ghraib-Zyklus setzt er sich mit den Berichten von Folter durch amerikanische Soldaten während des Irak-Kriegs auseinander. Und überzeugt so auch seine Kritiker. Die Bilder lässt Botero ausstellen, um sie möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Kunst ist für ihn wirkmächtige, sinnliche Vermittlung von Wirklichkeit. Sie soll Lust aufs Leben machen, aber das Leid nicht verschweigen.
Botero, der "umgekehrte Kolumbus"
Auf beispielhafte Weise sind diese widerstreitenden Kräfte und Gefühle in "Adam und Eva" von 1998 vereinigt. Das Liebespaar, dem der Biss in diesen saftigen kleinen Apfel so große Mühen bereiten wird. Als Betrachter möchte man ihnen zurufen: Tut es nicht! Aber mit dem Rücken zur Außenwelt geben die beiden wenig auf solchen Rat.
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Der Filmemacher Peter Schamoni nannte Botero einmal einen "umgekehrten Kolumbus". Denn der kam als junger Mann nach Europa, studierte die alten Meister und war dort später mit seinen eigenen Bildern so erfolgreich, dass er sich von den Gagen europäische Kunstschätze kaufte und nach Südamerika brachte. Zwei Museen hat Botero in Bogotá und in seiner Geburtsstadt Medellín damit bestückt. Dank ihm können die Kolumbianer europäische Originale bestaunen. Und auch wenn Botero heute nicht mehr in Kolumbien lebt, hängen Reproduktionen seiner dicken Damen und üppigen Herren in fast jedem kolumbianischen Wohnzimmer.
Dementsprechend selbtsbewusst bezeichnet sich der 86-Jährige als kolumbianischster aller kolumbianischen Künstler. Für Boteros Adam und Eva gilt deshalb wohl auch: Das Paradies liegt unter der südamerikanischen Sonne, wo die Äpfel besonders süß schmecken. Besser wäre es, die beiden hätten mit einer der Birnen vorlieb genommen, die zurzeit neben dem Botero im Museum Würth hängen. Die Ausstellung "Äpfel und Birnen und anderes Gemüse" ist dort noch bis zum 6. Januar 2019 zu sehen.
Eine erste Version des Textes erschien am 8. Oktober 2018.