Georg Baselitz' Gemälde "Acker" zeigt entstellte Leichen auf einem Acker
Georg Baselitz: "Acker" (1962)
Städel Museum/BPK
Kunst der Nachkriegszeit
Matsch zu Matsch
Georg Baselitz malt 1962 "Acker" und stapft über die Leichenberge der deutschen Geschichte. Schonungslos thematisiert der Künstler sein Aufwachsen im von Nationalsozialismus und Krieg verwüsteten Deutschland. Was sagt uns sein Gemälde?
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
22.11.2023

Der Satz schreibt sich so leicht dahin, für Georg Baselitz aber stimmt er: Er ist einer der ganz großen deutschen Gegenwartskünstler, zieht man vor allem auch sein internationales Renommee in Betracht. Die Liste der Auszeichnungen und Anerkennungen ist lang – dabei hat er sich nie bemüht, höflich zu sein. Auch seine Widerborstigkeiten wollte er sich nicht abgewöhnen; mit Aussagen wie der, dass Frauen nicht malen könnten, weiß er sich konsequent unbeliebt zu machen. Dass auch seine Bilder unangenehm wirken, ist hingegen Ausweis seiner künstlerischen Fähigkeiten.

Eines dieser ziemlich unangenehmen Werke ist das Bild "Der Acker" von 1962. Es stammt aus Baselitz’ ­früher Schaffensphase und geht da hin beziehungsweise schaut dort hin, wo es wehtut! Der Frieden und Geborgenheit insinuierende Gottesacker klingt im Titel des Bildes an, aber friedlich entschlummert und geborgen in den Armen ihres Gottes sehen die Toten auf diesem Bild nicht aus. Die Körper verformt, wie aufgedunsen – sind es ein Kind und ein Erwachsener? Ihr Tod war qualvoll. Bei der vorderen Person ist die Bauchdecke aufgeschlitzt.

Alles an diesem Bild ist Verfall. Die bräunlichen Farbtöne gehen ineinander über, weniger Asche zu Asche als vielmehr: Matsch zu Matsch. Berichtet nicht auch Klaus Theweleit fünfzehn Jahre später in seinem Mammutwerk "Männerphantasien" von der Lust der faschistischen Freikorpssoldaten, Menschen zu Brei und Matsch zu schlagen? Die – außer den Menschen – auf diesem Bild herumliegenden, wurmstichigen Knollen unterstreichen den Fäulnischarakter und verweisen wohl auf einen Kartoffel­acker, also ziemlich wahrscheinlich auf den deutschen Kartoffelacker; ein Acker, um im Bild zu bleiben, über den der Künstler zeitlebens mit viel Un­behagen stapfte.

Schon bevor Georg Baselitz anfing, seine Bilder auf den Kopf zu stellen (viele kennen vielleicht den umgedrehten Bundesadler im Büro von ­Bundeskanzler Gerhard Schröder), machte er vieles anders als seine Künstler­kollegen. Er fliegt von der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee. Der Grund: "gesellschaftspolitische Unreife". Kurz darauf, 1958, verlässt er die DDR, studiert Kunst in Westberlin und macht mit Baselitz den Namen seines sächsischen Geburtsortes zu ­seinem Künstlernamen.

Frei nach dem Motto, jede gute Karriere startet mit einem Skandal, führt seine erste Galerieausstellung in Berlin-Charlottenburg zu bundesweiter Empörung. Seine Bilder "Die große Nacht im Eimer", das einen onanierenden Jungen zeigt, und "Nackter Mann" (das Motiv können Sie sich anhand des Titels herleiten, nur dass der Penis des dargestellten Herrn ­deutlich über Durchschnittsgröße ausfiel) ­werden von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Das ist 1963, und ­Baselitz’ Karriere nimmt Fahrt auf.

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Sein Erfolg rührt auch daher, dass der Künstler schonungslos sein Aufwachsen im von Nationalsozialismus und Krieg verwüsteten Deutschland thematisiert. Besonders störte er sich am Schweigen der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Seine expressionistischen, zerknirschten und zerknüllten Menschenbilder zeugen von den De­for­mierungen, von Leid, aber auch Wut, die Hass und Krieg gebracht ­haben. Die, die da auf dem Acker liegen, ­jedenfalls schweigen nicht. Es wirkt viel eher, als würden sie einen aus hohlen ­Mündern anschreien.

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Kunst ist unglaubwürdig geworden, weil sie sich zu häufig jeder Würde entzogen hat. Nur weil sie auffällig, wie jeder Hundedreck, geworden ist, ist sie kein "Kunststück". Performanc: Sich einfach nackt auf auf einem Bein auf eine Bühne zu stellen ist keine Kunst. Ebensowenig, einen Stuhl mit Fett zu beschmieren. Der angehimmelte Beus hatte schon recht mit seinem Unsinn, das alles Kunst ist, was sich als solche bezeichnet. Dagegen ist Bansky ein wahrer Künstler, der die Form mit kunstvollen INHALTEN versieht. Es muss auch kein Inhalt sein. Häufig genügt auch nur Können verbunden mit Schönheit.