Illustration: Viele junge Frauen feiern heute ihre Gebärmutter. Wofür steht diese Haltung?
Viele junge Frauen feiern heute ihre Gebärmutter: Wofür steht diese Haltung?
Denis Novikov / iStockphoto
Weiblichkeit
Eine ungeheure Kraft
Die Gebärmutter: wichtig fürs Kinderkriegen. Und sonst so? Die Delmenhorster Chefärztin Katharina Lüdemann über ein geliebtes Organ
10.07.2023
4Min

chrismon: Die Entfernung der Gebärmutter ist für Frauen sehr viel heikler, als wenn ihnen die Gallenblase oder der Blinddarm heraus­genommen wird. Was macht die ­Gebärmutter so besonders?

Katharina Lüdemann: Sie steht für Fruchtbarkeit und körperliche ­Power. Während der Schwangerschaft wird sie etwa hundertmal stärker durch­blutet als in nicht schwangerem Zustand. Viele Frauen erleben es als ungeheure Kraft, schwanger werden und Kinder gebären zu können. Allein das Gedankenspiel – ich könnte, wenn ich wollte – ist für sie bereichernd. Häufig befürchten Patientinnen, dass ihnen mit der OP ein Stück Weiblichkeit weg­operiert wird. Wenn die Gebärmutter nicht freiwillig wegen Schmerzen oder Blutungen, sondern zum Beispiel aufgrund einer Krebserkrankung entfernt werden muss, fällt der Verlust schwerer. Das Organ, das ihnen immer lieb und wert war, ist auf einmal eine Bedrohung. ­Manchen Frauen fällt es sehr schwer, das zu akzeptieren. Wenn sie sich Kinder gewünscht haben, ist die Operation besonders belastend.

Wie ergeht es Frauen, die jahrelang mit starken Blutungen zu kämpfen haben und sich von ihrer Gebär­mutter trennen wollen?

Für sie kann die Operation eine Er­lösung sein, weil sie durch die Blutungen körperlich oft sehr geschwächt sind. Wenn sie sich selbst für die Operation entscheiden und nicht dazu ­gezwungen sind, ist der Eingriff deutlich ­weniger problematisch.

Privat

Katharina Lüdemann

Dr. med. Katharina Lüdemann, 60, arbeitet seit 30 Jahren als Frauenärztin. Als Chefärztin leitet sie die Frauenklinik im Delme Klinikum Delmenhorst. Neben ihrer Ausbildung zur Gynäkologin hat sie eine psychosomatische Zusatzausbildung gemacht. Lüdemann ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe.

Früher wurde Frauen reihenweise die Gebärmutter ­herausgenommen, selbst wenn sie nur ein kleines Myom hatten. Schaut man heute genauer hin, ob die Operation überhaupt medizinisch sinnvoll ist?

Ich erlebe viele Ärztinnen als deutlich zurückhaltender, wenn es um diese Operation geht. Bei einigen Männern gibt es leider immer noch ein gewisses Macker­tum, nach dem Motto: Ein Or­gan, das wir Männer nicht haben, kann gar nicht so wichtig sein. Manche Gynäkologen sind dann schnell mit ­einer Operation dabei. Erfreulicher­weise haben sich die Anforderungen an uns Fachärzte geändert: Früher mussten wir während unserer Ausbildung insgesamt 40 Gebärmutter­operationen nachweisen. Durch diesen Druck wurden immer wieder un­nötige OPs durchgeführt. Manche ältere Frauen erzählen mir noch heute, dass es ihnen damals sehr leidgetan hat, als ihnen die Gebär­mutter herausgenommen wurde, in der sie ihre Kinder getragen haben. Viele Frauen wussten nicht einmal, warum die ­Operation durchgeführt werden sollte, die Aufklärung war oft unzureichend. Das ist heute zum Glück anders.

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Die Gebärmutter steht auch in ­Zusammenhang mit sexueller Lust, beim Orgasmus zieht sie sich zusammen. Bedeutet das Fehlen der Gebärmutter, dass die sexuelle ­Erregung abnimmt?

Nach den Studien, die ich kenne, macht es in Sachen Lust und Orgasmus keinen großen Unterschied, ob die Gebärmutter fehlt oder nicht. Es geht wohl mehr um das Psycho­logische – dass Frauen befürchten, ihre Lust könnte eingeschränkt sein.

Viele junge Frauen feiern heute regel­recht ihre Gebärmutter. Es gibt Halsketten, Sticker, Kissen in Gebärmutterform, die Menstruation hat für diese Frauen eine riesige Bedeutung. Wofür steht diese Haltung?

Ich denke, das hat mit Befreiung von Tabus und mit Body Positivity zu tun. Jahrtausendelang haben Frauen unter ihrer Menstruation gelitten, sich mit Lappen und Lumpen behelfen ­müssen, bevor es Tampons gab. Bis vor wenigen Jahren wurde auch bei uns wenig über die Menstruation gesprochen. Deshalb begrüße ich es sehr, wenn junge Frauen der Menstruation ihr Tabu nehmen. Auch die Sticker gefallen mir. Ich selbst habe schon Socken geschenkt bekommen, die als Muster kleine Gebärmütter haben. Ich mag den Humor, der dabei mitschwingt.

Gibt es nach Ihrer Erfahrung auch Frauen, die eine Gebärmutter haben, sich aber an der Symbolkraft des ­Organs stören, weil sie damit als eindeutig weiblich "gelesen" werden?

Das kann sein, ich habe es aber selbst noch nicht erlebt. Umgekehrt habe ich von einigen Transgender-Frauen gehört, die sich unbedingt eine Transplantation wünschen und Mutter werden möchten.

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Wird dieser Eingriff mittlerweile häufiger durchgeführt als früher?

Nein, eine Gebärmuttertransplantation ist immer noch die absolute Ausnahme. Der erste erfolgreiche Eingriff in Deutschland war 2016. Bislang gibt es kaum Studien darüber. Ich kenne eine Untersuchung aus den USA mit 33 Frauen. Mehr als die Hälfte der Frauen, bei denen die OP erfolgreich verlaufen war, sind auch schwanger geworden und haben Kinder geboren.

Ist eine OP wie eine Gebär­mutter­transplantation nicht Ausdruck eines wahnsinnigen Machbarkeitswahns?

Einerseits schon, weil wir in unserer Kultur dazu neigen, jeden Lebens­bereich optimieren zu wollen, und uns damit total unter Druck setzen. Andererseits: Wer bin ich denn, einer anderen Frau vorzuschreiben, was sie machen darf und was nicht? Ich habe mit dieser Operation keine ­ethischen Probleme. Man muss als Ärztin nur immer die Karten auf den Tisch ­legen und jeder Frau, die das ­machen ­möchte, sagen: Die OP ist nicht lebens­gefährlich, aber sehr aufwendig, und es gibt keine Erfolgsgarantie. Wenn sie das trotzdem ausdrücklich ­möchte – warum nicht?

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