Letztes Mal habe ich den Sudan im Januar 2022 besucht. Ein erneuter mehrwöchiger Besuch war eigentlich nun im Juni und Juli geplant. Aufgrund des Krieges im Land ist das nicht möglich. Eine solche Eskalation, wie sie sich jetzt abzeichnet, ist für mich mehr als überraschend und unvorstellbar. Als ausgebildeter Politologe beobachte ich die Situation schon lang und versuche, politische Analysen zu treffen. Alle, die nun meinen, es war abzusehen, dass es so kommen wird, halte ich für nicht glaubwürdig. Die jetzige Lage war genauso wenig erwartbar wie die Bewegungen in der Post-Al-Baschir-Zeit.
Die Gründe für die jetzige Situation sind vielfältig. Der Sudan befand sich seit dem Ende des Al-Baschir-Regimes in einer Übergangssituation. Die traditionell starke Militärelite war nicht in der Lage, sich mit zivilen Kräften, säkular oder religiös, auf eine Regierungsbildung oder eine Art Programm zu einigen. Das Militär war nicht bereit, Macht abzugeben, und putschte im Oktober 2021.
Im Dezember trat Ministerpräsident Abdalla Hamdok zurück, das letzte zivile Gesicht in der Staatsführung. Danach regierte nur noch das Militär. Zu diesem Zeitpunkt waren Brüche innerhalb der Militärregierung nicht wirklich sichtbar. Trotzdem schwelten diese offenbar schon länger. Dass sich jetzt die zwei wichtigsten Protagonisten der Militärführung bekriegen, lässt viele ratlos zurück.
Uwe Bergmeier
Was bedeutet dieser Krieg für das Land? Im Dezember 2022 hatte sich die Militärführung mit zivilen Kräften auf einen zweijährigen Transformationsprozess geeinigt, sozusagen eine Art Neuauflage der zivil-militärischen Regierungsbildung. Auch eine neue Verfassung und Wahlen waren versprochen worden. Nun ist das Land völlig gelähmt, keiner weiß, wie es weitergehen soll und wer gerade die Überhand hat.
Die Gefahr ist groß, dass das flächenmäßig drittgrößte Land Afrikas mit seinen rund 46 Millionen Einwohnern in einen lang anhaltenden Bürgerkrieg abgleitet, in dem sich Militär und Milizen oder auch Milizenkräfte untereinander bekämpfen. Das könnte zu einer weiteren Zersplitterung des Landes in ethnische Gruppen führen und die nationale Einheit zerstören.
Wie geht es der Bevölkerung? Es ist nicht einfach, in Kontakt zu kommen. Das Internet-Hauptnetzwerk MTN fiel tagelang aus, so dass viele keinen Zugriff auf soziale Medien haben und sich nicht austauschen können. Viele Menschen harren in den Häusern aus, Lebensmittel werden knapp. Viele Schüler sind gar nicht mehr aus ihren Colleges und Schulen herausgekommen. Sie schlafen dort, versuchen, sich irgendwie zu versorgen, schicken Einzelne los, um Lebensmittel zu besorgen. Wer in einer Schule übernachten kann, ist ja noch relativ gut dran, weil die Gebäude zumindest etwas Sicherheit bieten.
Keine Verhandlungsbereitschaft
Weil es zu unsicher ist, auf den Landstraßen zu fahren, hängen etliche irgendwo fest – ohne Geld, ohne alles. Die Lage ist dramatisch. Sogar der Luftraum Sudan wird umflogen. Menschen aus anderen Ländern, die im Sudan arbeiten, sind natürlich in einer wesentlich privilegierteren Situation. Die meisten werden von internationalen Partnern rausgeholt, die sudanesischen Kollegen und Kolleginnen müssen bleiben.
Die Präsidenten von Kenia, Südsudan und Dschibuti wollen gemeinsam nach Khartum reisen und Frieden aushandeln. Das kann meines Erachtens nur funktionieren, wenn sich die Kriegsparteien auf einen Waffenstillstand einigen. Ich kann mir schwer vorstellen, dass man nun direkt nach dem Putschversuch wieder am Verhandlungstisch sitzen soll. Eine Lösung ist noch nicht in Sicht, und die Menschen leiden auf unbestimmte Zeit weiter.