Kostbare Solidarität
Mit Corona-Bonds könnte Europa zeigen, dass es mehr ist als eine Zweckgemeinschaft.
Tim Wegner
21.04.2020

Schon bevor das Coronavirus Europa erreichte, steckte die EU in einer tiefen Krise. Seit Jahren finden die Staatenlenker des Kontinents keine gemeinsame Antwort auf das Thema Flucht - außer Abschottung. Menschen ertrinken, Mittelmeeranrainer wie Griechenland fühlen sich zu Recht im Stich gelassen.

Das Virus bringt viel Leid. Die Bewältigung der Krise aber bietet auch Chancen für die Europäische Union. Weil die Wirtschaft überall in die Knie geht, springen die Staaten ein, indem sie Unternehmen retten und Beschäftigte einstweilen mit Kurzarbeitergeld in Lohn und Brot halten. Das treibt die Staatsverschuldungen europaweit in die Höhe. Die Finanzmärkte reagieren unerbittlich darauf. Die Italiener, vom Virus besonders gebeutelt, können sich nur zu hohen Zinsen Geld leihen, weil sie als Wackelkandidaten gelten; Spekulanten fühlen sich eingeladen, auf ihren Austritt aus dem Euro zu spekulieren. Länder aus dem Norden Europas können sich viel günstiger verschulden.

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.

Die Lösung dieses Problems können Corona-Bonds sein. Damit verschulden sich die Länder der Währungsunion gemeinsam, um die Folgen von Corona abzumildern. Deutschland müsste höhere Zinsen in Kauf nehmen, andere Staaten gewönnen aber an Spielraum, weil sie niedrigere Zinsen zahlen müssten. Das wäre gelebte Solidarität in einer Jahrhundertkrise.

Kaum ein Land ist so abhängig von Europa und vom Euro wie Deutschland

Die Alternative wäre der ESM, der Europäische Stabilitätsmechanismus. Er entstand vor gut zehn Jahren in der Eurokrise. Hier könnten Staaten wie Italien um Kredite bitten. Der ESM ist in Südeuropa aber verhasst, denn nach der Finanzkrise waren ESM-Kredite mit Bedingungen verbunden, die "Troika" wachte darüber - unter deutscher Führung. Schmerzhafte Kürzungen und Einsparungen waren die Folge, nationale Parlamente konnten sie nur noch abnicken. Im Ergebnis sank zum Beispiel in Italien die Zahl an Intensivbetten, die nun bitter fehlen.

Kaum ein Land ist so abhängig von Europa und vom Euro wie Deutschland. Das weiß jede(r) in der Bundesregierung, die in der Krise beliebter geworden ist. Diesen Vertrauensvorschuss sollte sie nutzen und mutig erklären, warum alle etwas davon haben, wenn Europa zusammenhält. Es mag in den nächsten Jahren mehr Zinsen kosten, ja. Aber eine Spaltung Europas käme noch viel teurer.

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"Wir verschulden uns gemeinsam" - das klingt auf den ersten Blick so einfach, ist es aber nicht. Hinter dem "gemeinsam" steht nämlich auch, dass alle Anderen zahlen müssen, falls Einer (z.B. Italien mit einer Staatsschuldenquote von demnächst über 150%) seine Schulden nicht mehr zahlen kann. Dann kann man auch Kredite garantieren oder - noch einfacher - direkt nicht-rückzahlbare Zuschüsse zahlen, die von allem gemeinsam finanziert werden. Das geht schneller und macht vor allem die Verantwortlichkeiten transparent. Wer "Corona-Bonds" als tolle Lösung anpreist, erweckt nur den Eindruck als wenn diese Verantwortlichkeiten (und die drohende Schuldenkrise Italiens) verschleiert werden soll.

Antwort auf von Markus Diehl (nicht registriert)

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Ach, und noch etwas: der ESM kann mit fehlenden Intensivbetten in Italien schon deshalb nichts zu tun haben, weil Italien bisher noch gar keinen Kredit vom ESM bekommen hat (auch nicht in der "Euro-Krise" 2011/12), und für die Bewältigung der Corona-Folgen vergibt der ESM jetzt Kredite ohne Auflagen.