September 1831: Der Bergedorfer Bote berichtete von mehreren Cholerafällen, die Seuche hatte Hamburg erreicht. In derselben Ausgabe erschien ein ungewöhnlicher Aufruf – "christliche Mitschwestern" sollten sich melden, um die Kranken zu pflegen. Die Verfasserin: Amalie Sieveking, Kaufmannstochter, 37 Jahre alt.
Juliane Ziegler
Amalie Sieveking
Doch keine wollte freiwillig diesen Dienst tun. Zu groß die Gefahr, sich anzustecken. Amalie Sieveking beschloss, selbst zu den Kranken zu gehen, dann eben alleine, allen Warnungen und Vorbehalten zum Trotz. Eine Frau aus bürgerlichem Hause als Pflegerin im Hospital? Ihr Glaube schien ihr keine andere Wahl zu lassen, obwohl auch sie kurz vorher noch gezweifelt hatte: "Kommt die Krankheit hierher, so ist der innige Wunsch meiner Seele, eine Anstellung zu finden in einem der Hospitäler. Doch fürchte ich mich vor meinem eigenmächtigen Vorgreifen, ich möchte in allem den Weg und Ruf meines Gottes abwarten", hatte sie einen Monat zuvor an eine Freundin geschrieben.
Die Ärzte misstrauten dieser kleinen, zierlichen Person. Doch Amalie – zuverlässig, zäh und voller Tatendrang – erwarb sich ihr Vertrauen und erhielt bald sogar die Aufsicht über die Pflegekräfte. Etwa sieben Wochen half sie dort, dann klang die Seuche in Hamburg ab.
Handarbeit fand sie langweilig
Amalie Sieveking kam 1794 als Tochter eines angesehenen Hamburger Kaufmanns auf die Welt. Handarbeit und Haushalt fand "Malchen", wie sie genannt wurde, langweilig, sie wollte eine richtige Ausbildung machen. Die Eltern starben früh, Amalie wurde 15-jährig Waise und wuchs bei einer Pflegemutter auf. Sie begann, Mädchen aus dem Bekanntenkreis zu unterrichten und eröffnete eine "Freischule für arme Mädchen". Unterrichten wird sie von nun an ihr ganzes Leben lang. Der frühe Tod ihres Bruders 1817 traf sie sehr. Sie wendete sich der Erweckungsbewegung zu und verfasste im Laufe ihres Lebens zahlreiche theologische Schriften.
Nach ihrer Zeit im Krankenhaus während der Cholera-Epidemie wurde Amalie Sieveking klar: Der Sozialdienst sollte ihr Lebensmittelpunkt sein. Schon seit einigen Jahren hatte sie überlegt, eine evangelische Schwesternschaft zu gründen, denn der Glaube und die Nächstenliebe standen für sie in engem Zusammenhang. Doch erst, als sie das Elend der Armen hautnah miterlebte, festigte sich ihr Entschluss. Im Mai 1832 gründete sie den "Weiblichen Verein für Armen- und Krankenpflege". Die engagierten Frauen, allesamt aus bürgerlichen Kreisen, besuchten, pflegten und unterstützten arme Familien – der Beginn der weiblichen Diakonie. Bis dahin war es nicht üblich, dass sich Frauen in dieser Form organisierten und einer Tätigkeit außerhalb der Familie nachgingen – die Rolle der Mutter und Ehefrau sollte sie ausfüllen.
Ein schlichter Holzsarg genügte
Amalie Sieveking blieb ohne Familie und leitete 27 Jahre lang diesen Verein. Gefragt, warum sie die Leitung nicht an einen Mann abgeben wolle, antwortete sie: Sie wolle kein "müßiges Patronat, das in der Regel nur lähmend einwirken würde auf den Eifer der wirklich aktiven Mitglieder", und: "das Bedürfnis, einen Mann an die Spitze des Ganzen zu stellen, wird von uns nicht empfunden."
Sie starb 1859 an Tuberkulose und wurde auf ihren Wunsch in einem schlichten Armensarg beerdigt. "Sollte ich meine Lebensgeschichte herausgeben, so würde ich es vielleicht unter dem Titel tun: ‚Memoiren einer glücklichen alten Jungfer‘." Ihr Leben lang kämpfte Sieveking für das Recht unverheirateter Frauen auf eine sinnvolle Beschäftigung. Der von ihr gegründete Verein war wegweisend für das konfessionell gebundene Engagement von Frauen im 19. Jahrhundert und Vorbild vieler Einrichtungen der Wohlfahrtspflege im In- und Ausland.