Mamusuh Conteh, 36:
Einen Schicksalsschlag kann man wegstecken. Aber viele hintereinander? Heute sehen mich die Leute als erfolgreiche Frau. Niemand weiß, was ich in den letzten Jahren erleben musste.
Meine Eltern waren Bauern und sind früh gestorben. Verwandte haben sich um mich gekümmert. Später heiratete ich und bekam zwei Kinder. Wir hatten zwar keine eigenen Felder, konnten uns aber durch Gelegenheitsarbeiten über Wasser halten. Dann kam der Bürgerkrieg.
Soldaten marschierten in unser Dorf ein. Ich rannte mit den Kindern weg, aber meinen Mann haben sie ermordet. Wie so viele sind wir in die nächste Stadt gezogen, dort war es einigermaßen sicher. Dann, einige Jahre später, kam Ebola über unser Land. Überall war Panik. Auf einmal war mein Sohn verschwunden. Ich weiß bis heute nicht, wo er geblieben ist, wahrscheinlich erkrankte er an Ebola und wurde irgendwo verscharrt. Keine Familie mehr, kein Geld. Ich musste meine kleine Tochter notgedrungen ins Waisenhaus geben.
Meine große Chance war, dass ich eine Ausbildung zur Schneiderin machen durfte. Am Anfang lernten wir, Kissenbezüge zu nähen, dann Schuluniformen, und zum Abschluss bekam ich eine mechanische Nähmaschine geschenkt. Ich holte meine Tochter wieder zu mir, und wir zogen in ein Dorf, von dem es hieß, dort und im weiten Umkreis gebe es keine Schneiderin. Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Aber endlich hatte ich mal Glück im Leben.
Secondhandklamotten aus Europa für den Alltag
Einfach ist es aber nicht. Die Bauern und Bäuerinnen haben kaum Geld. Im Alltag tragen sie meist Secondhandklamotten aus Europa. Neuen Stoff zu kaufen und sich daraus etwas schneidern zu lassen, ist teurer. Außerdem stehen viele junge Leute nicht mehr auf traditionelle Kleidung, sie wollen ausländische Marken mit großen Logos. Ich nähe nun auch Secondhandsachen um und mache sogar kleine Reparaturen. Das bringt kaum Geld ein, aber so bleibe ich mit den Kunden in Kontakt.
Aber für ein Fest putzen die Leute sich heraus
Denn wenn die Leute zu einem Fest eingeladen sind oder bei Behörden vorsprechen müssen, putzen sie sich heraus. Dann kommen sie zu mir, und ich schneidere ihnen Kleidung aus unseren tradtionell bedruckten Baumwollstoffen. Für die Frauen lange Kleider und gewickelte Hauben, für die Männer weite bunte Hemden.
Für die Mädchen im Dorf bin ich eine Vertrauensperson. Viele müssen leider die Schule abbrechen, weil ihren Familien das Geld fehlt für Uniformen, Stifte und Hefte. Sie helfen dann den Nachbarn, die Reisernte zum Markt zu tragen. Oder sie packen Holzkohle in Säcke.
Heiratet erst mal keinen Mann, lieber eine Nähmaschine!
Vielen wird gesagt, dass sie bald heiraten sollen. Der Mann werde dann für die Familie sorgen. Aber ich predige den Mädchen, dass sie mehr vom Leben erwarten können. Scherzhaft sage ich: "Heiratet erst mal keinen Mann. Heiratet lieber eine Nähmaschine! Die kann besser für euch sorgen." Wer ein Handwerk erlernt, ist viel unabhängiger und kann auf eigenen Beinen stehen.
Inzwischen bin ich nicht mehr nur mit meiner Nähmaschine verheiratet, sondern auch mit Momoh, er ist Reisbauer. Unsere Kinder gehen natürlich zur Schule. Mit dem Gewinn aus meiner Schneiderei lässt sich das locker bezahlen. Ich selbst bin immerhin auf die Grundschule gegangen, aber meine Kinder sollen bis zum College kommen. Und ich, ich gebe jetzt all mein Wissen an meine erste Auszubildende weiter.
Protokoll: Helge Bendl
Durch Bildung will die Graswurzelorganisation SIGA in Sierra Leone das Leben
armer Menschen verbessern. Das von Brot für die Welt unterstützte aktuelle Projekt im Distrikt Tonkolili bildet 100 junge Menschen im Schneidern, Schreinern und in Metallverarbeitung aus. Außerdem ermöglicht es 200 arbeitenden Kindern, die Schule zu besuchen. Deren Eltern werden in nachhaltiger Landwirtschaft geschult, so dass sie mehr verdienen und nicht mehr auf die Unterstützung ihrer Kinder angewiesen sind. Kostenbeispiele: Für 50 Euro bekommt ein Kind Schuluntensilien und zwei Uniformen. 120 Euro kostet eine mechanische Nähmaschine für eine Auszubildende, die sie nach erfolgreich absolvierter Ausbildung behalten darf. Für 180 Euro bekommen zehn Kleinbauern-Familien Reis-Saatgut.