Das hat schon was! Man sitzt völlig alleine vor seinem Notebook, hat gerade noch eine Konferenz durchgezogen, atmet zweimal (notfalls dreimal) tief durch. Und dann geht man auf das Adventskranzprogramm. In den Scherzen wird’s warm? Nein, wirklich!
Der digitale Luxus für e-Stubenhocker, wie er online angeboten wird: "Mit diesem Desktop-Adventskranz zaubern Sie vorweihnachtliche Stimmung auf Ihren Computer. Passend zum ersten, zweiten, dritten oder vierten Advent wird automatisch die richtige Kerzenzahl entzündet. Dies erkennt das Programm am Systemdatum Ihres Computers. Nach Weihnachten erlöschen die Kerzen, und Sie können das Programm fürs nächste Jahr ins Archiv legen. Praktisch: Sie müssen weder Wachsreste entfernen noch Tannennadeln einsammeln."
Arnd Brummer
Wozu braucht man da noch Familie, Freunde und sonstiges humanes Störpotenzial? In aller Seelenruhe wird man dem Weihnachtsfest in happy business entgegengemoved: Stille Macht, heilige Macht, alles surft, einsam wacht nur der vollautomatische Highland im Digi-Tal. Am Ende kann man sich zwischen virtuellen Schafen in das trockene e-Stroh legen.
Im Jahr 1839 erfand der Pfarrer Johann Hinrich Wichern in Hamburg den Adventskranz. Er hatte eine große Zahl von Kindern aus ärmlichsten Verhältnissen im "Rauhen Haus", einem alten Bauernhaus, untergebracht. Und da ihn die kleinen Jungs und Mädchen ständig fragten, wann denn nun endlich Weihnachten sei, kam Wichern auf folgende Idee: Er montierte auf ein altes hölzernes Wagenrad 19 kleine rote und vier große weiße Kerzen. Vom ersten Advent an ließ er an jedem Werktag eine rote und sonntags eine weiße Kerze anzünden. Zu Wicherns Zeiten galt das Entfernen von Wachsresten noch nicht als unzumutbar.
Gäste aus der Foto-Cloud
Der elektronische Adventskranz, das muss ich zugeben, fordert mich heraus. Ständig beschäftigt mich die Frage, ob ich nicht auch einen innovativen Beitrag zum Umgang mit dem Christfest leisten könnte. Wie wäre es denn zum Beispiel mit einer elektronischen Weihnachtsgans? Das Programm lässt auf dem Desktop eine Backröhre aufleuchten, in der ein gut gewürzter Gänsebraten goldbraun vor sich hin brutzelt. Ein kleiner USB-Geruchsspender, den man an sein Notebook stöpseln kann, verbreitet den Grillduft im ganzen Büro.
Halt! Mit einer "Only-me"-Taste kann man die Bratenatmosphäre auch auf nur zwei Quadratmeter begrenzen, damit sich vegane Kollegen nicht bedrängt fühlen. Final erscheint auf dem Bildschirm ein Esstisch, gedeckt mit wertvollem Geschirr für maximal zwölf Gäste, die man sich aus seiner Foto-Cloud herunterladen kann. Das Programm macht selbst Verstorbene aus dem Bilderspeicher wieder zu lebendigen Tischgenossen. Sie können zwar nicht reden, aber das ist ja auch nebensächlich. Denn während des gesamten Abendessens dröhnt weihnachtliche Musik aus dem Lautsprecher.
Ein weiteres Zusatzgerät, das ich derzeit entwickle, wird mit einer Spritznadel ganz lässig am Unterarm angebracht. Es enthält eine Kapsel mit exakt den Kalorien einer Portion des Bratens, die in den Körper fließen und sättigen, als würde man real essen. Ein Übergewichtsalarm verhindert eine zweite Portion.
"Welcome to my christmas dinner!"
wird mein Programm wohl heißen. Es ermöglicht einen Festabend in weihnachtlicher Stimmung, ohne den geringsten Stress mit Einkaufen, Kochen und realem Bewirten. Und nach dem Abend kann es einfach wieder im Archiv verschwinden,
ohne dass in irgendeiner Weise Platz in Schrank und Keller blockiert wird. Ich wünsche einen entspannten Advent.