Posteingang - Danke Leute
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Anton Hallmann/Sepia
Das ist nicht gerecht so!
Was treibt die Menschen an, die in Sambia, Kambodscha oder Peru für "Brot für die "Welt" arbeiten? Acht von ihnen erzählen
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
13.11.2018

Costa Rica: Doppelbelastung

Wie sehr Frauen in Costa Rica unter der Doppelbelastung ächzen, erlebte ich neulich hautnah. Mit einer Kollegin ging ich nach der Arbeit zu ihr nach Hause. Es war etwa 18.30 Uhr, stockfinster und wir hatten einen anstrengenden Tag hinter uns. Ihr Ehemann saß vor dem Fernseher und sah Fußball. Der 15-jährige Sohn spielte in seinem Zimmer mit dem Handy. Ich half meiner Kollegin bei der Zubereitung des Abendessens. Ich schnippelte Paprika und Knoblauch für den Reis und Gemüse für den Salat und bereitete ein typisches "Fresco"  (ein Getränk mit Zitronen aus dem eigenen Garten) vor, während sie die am Morgen aufgetaute Hähnchen-Brust herrichtete und die Bohnen mit Zwiebeln anbriet. Nach etwa einer Dreiviertelstunde war alles fertig. Sie rief ihre Familie, und wir deckten den Esstisch im angeschlossenen Wohnzimmer. Der Ehemann war eingeschlafen. Der Sohn kam erst nach längerer Zeit aus seinem Zimmer.

Als wir fast fertig waren, wachte der Mann auf,  setzte sich wortlos zu uns und schaufelte sich das Essen hinein. Als alle fertig waren, dankte meine Kollegin Gott für das Essen – und ich fügte einen Dank an sie hinzu…

Der Sohn verschwand ohne Worte in seinem Zimmer, sein Vater war in Sekundenschnelle wieder vor dem Fernseher. Meine Kollegin und ich räumten ab, und auch der Abwasch blieb an uns hängen. Gerechtigkeit ist für mich, wenn die Last des Haushalts gleichmäßig auf allen Schultern der Familie verteilt ist und wertgeschätzt wird, wenn einer mal mehr tut.

Julia Otto, Freiwillige in Costa Rica

 

Mexiko: Die Verschwundenen

Bis Mai 2018 sind in Mexiko mindestens 37.435 Menschen verschwunden. Ich forsche für eine mexikanische NGO und begegne Müttern, Töchtern und Ehepartnern dieser Verschwundenen. Sie kämpfen dafür, dass die Behörden nach ihren Verwandten suchen. Es sind ganz normale Frauen. Lehrerinnen, Hausfrauen, Studentinnen, Arbeiterinnen. Sie verbringen Stunden damit, Gegenden systematisch nach Knochensplittern abzusuchen. Sie bleiben bei ihrer Forderung nach Gerechtigkeit. Trotz der Gefahren, trotz der Korruption. Obwohl man sie und ihre Lieben wie Kriminelle behandelt, und obwohl die wirklich Kriminellen keine Strafe fürchten müssen. Ihr Mut und ihre Entschlossenheit beeindrucken mich. Solange auch nur eine einzige Familie einen Verschwundenen in ihren Reihen beklagt, kann es keine Gerechtigkeit geben.

Stefania Grasso, Fachkraft Friedensdienst in Mexiko

 

Myanmar: HIV-Infizierte

Ich lernte Ko Win - der in echt anders heißt - an einem regnerischen Tag im August kennen. Er war schon seit ein paar Monaten krank und allein. Er lag in seinem Bett und sah ziemlich schwach aus. Ich fühlte mich unwohl. Ko Win hatte von seiner HIV-Erkrankung 2015 erfahren und erst nicht gewagt, seine Familie zu informieren. Als sie es doch mitbekam, wurde er in ein winziges Häuschen an der Ecke ihres Grundstückes verlegt. Er war allein, niemand besuchte ihn. Seine Familie reichte ihm von Weitem alle zwei Tage Lebensmittel an der Spitze eines Stocks. Sein Freund brachte mich zu ihm, da war Ko Win schon ziemlich krank. Wir schickten ihn sofort ins Krankenhaus und sorgten für die notwendige Behandlung. Nach seiner Entlassung wurde er beraten, er bekam eine antiretrovirale Behandlung. Auch seine Familienangehörigen wurden beraten. Sie begannen, ihn wieder zu akzeptieren. Für Ko Win war die Erfahrung ein Albtraum. Gerechtigkeit bedeutet, dass HIV-Infizierte ohne Diskriminierung leben können.

Yaw Di Sian Leen Sung, Fachkraft in Myanmar

 

Papua Neuguinea: Ab in die Schule

Montagmorgen, zehn Uhr,  in der Eingangshalle einer Shoppingmall in Port Moresby, der Hauptstadt von Papua Neuguinea. Alle müssen durch die Sicherheitskontrolle. Ein Mann mit einem etwa zehnjährigen Jungen legt ordnungsgemäß seine Brieftasche, Schlüssel und einige Münzen in eine kleine Plastikschale neben der Schleuse. Er fordert seinen etwa zehnjährigen Sohn auf, auch nachzusehen und es ihm gegebenenfalls gleichzutun. Am Durchleuchtungsgerät steht ein älterer Mitarbeiter des privaten Sicherheitsdienstes Guard Dog in schwarzer Uniform. Er zögert, schaut den Kunden an, dann das Kind. Hinter den beiden staut sich eine Menschenmenge, immer mehr stellen sich an, um in das Einkaufszentrum zu gelangen. Ich selbst bin einer von ihnen. Dann meint der Sicherheitsbeamte ganz ruhig und entschlossen: "Sie kommen hier nicht rein." Der Vater schaut ihn völlig entgeistert an. Der Beamte sagt: "Sie kommen hier mit ihrem schulpflichtigen Sohn um diese Uhrzeit nicht rein. Sie gehen jetzt raus und bringen ihren Sohn in die Schule. Sie sollten sich schämen! Wie soll aus ihrem Sohn und diesem Land jemals etwas werden, wenn die Kinder nicht zur Schule gehen?!"

Die Hände der Frau neben mir zucken kurz, um dann umso heftiger zu applaudieren. Die anderen Leute in der Schlange stimmen ein. Der Vater, der eigentlich gerade voll Zorn zum verbalen Gegenangriff übergehen wollte, sagt nichts, nimmt seinen Sohn an die Hand und verlässt die Eingangshalle. Nur etwa 60 Prozent der Mädchen und Jungen in Papua Neuguinea besuchen regelmäßig eine Schule. Gerechtigkeit umfasst für mich das Recht auf Bildung. Dabei reicht es nicht, die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Institutionen bereitzustellen – woran es aber oft auch schon mangelt. Es geht immer auch darum, das Bewusstsein für diese Werte zu verankern und sie einzufordern.

Matthias Klingenberg, Leiter des Auslandsbüros  in Papua Neuguinea

 

Sambia: Schwere Lasten

Wie schwer die Menschen hier tragen! Oft sehe ich Frauen große Wassereimer auf dem Kopf balancieren oder in Schubkarren transportieren. Oder Männer, die eine Ziege über die Schulter tragen, deren Beine zusammengebunden sind. Wer Glück hat, hat ein Fahrrad. Darauf werden Zehn-Kilo-Maismehl-Säcke oder Kohlensäcke geschnallt, unzählige Tüten, lebendige Hühner. Meist sieht man die Räder unter der Last ächzen. In den Reifen ist ohnehin nicht Luft, denn die Schläuche gehen hier schnell kaputt. Aber das zusätzliche Gewicht drückt die Reifen so platt, dass es den Anschein hat, sie fahren auf den Felgen. Aber egal,  in welchem Zustand sie sind: Räder sind ein Luxus und erleichtern den Alltag enorm.

Ich sehe, dass die Menschen hier körperlich sehr hart arbeiten und einen eisernen Willen zeigen. Trotzdem verdienen sie so wenig, dass ihnen Geld für das Nötigste fehlt. Viele Familien hier können sich keine drei Mahlzeiten am Tag leisten. Gerecht wäre es, wenn sich ihr harter Einsatz auszahlen würde und ihre Familien satt werden würden.

Pia Schülke, Freiwillige in Sambia

 

Kambodscha: Schwangerenvorsorge

Vor einigen Wochen fuhr ich mit dem Ernährungs-Projekt meiner Organisation in das Dorf Chong Ksach. Wir wollten Familien zu ihren Bedürfnissen interviewen und ihre Kenntnisse über gesunde Ernährung herausfinden. Wir kamen zu einer jungen, schwangeren Frau. Sie lebte mit ihren Eltern in einem kleinen Haus, das ihr Vater gerade reparierte. Sie lag in einer Hängematte und trank Limetteneistee aus einer Plastiktüte. Mir fiel erst ihr runder Bauch auf, dann ihr schmaler Arm. Im Interview stellte sich heraus, dass sie genauso alt ist, wie ich: 19 Jahre. Ich schluckte. Sie war verheiratet, ihr Mann starb vor wenigen Monaten. Nun kümmerten sich ihre Eltern um sie.  Und sie war im neunten Monat schwanger. In einer Woche sollte sie ihr Kind zur Welt bringen. Wir fragten nach der Ernährung. Sie meinte nur, dass sie momentan nichts essen wolle. Lediglich morgens Limetteneistee oder einen Energydrink und manchmal ein paar Nudeln.

Wir fragten nach ihrer Schwangerschaftsvorsorge. Sie war einmal beim Arzt, wusste aber noch nicht, wo sie ihr Kind zur Welt bringen würde. Sie vertraue dem Provinzkrankenhaus nicht, ein paar Kilometer weiter in Vietnam gebe es bessere Ärzte. Aber sie wusste nicht, ob sich ihre Eltern die leisten können. Nach diesem Interview verglich ich unsere Situationen. In Deutschland gehört gesunde Ernährung zur Schulbildung. Man kann problemlos eine Geburtsklinik aufsuchen. Ich kann sogar nach Kambodscha reisen, um etwas über ihre Lebenssituation zu erfahren. Sie kommt gerade bis Vietnam. Nach solchen Begegnungen fühle ich Scham und Mitgefühl. Kann das gerecht sein?

Maria Seidler, Freiwillige in Kambodscha

 

Tschad: Strafe für Diktatoren

Von 1982 bis 1990 dauerte Hissène Habrés Schreckensherrschaft im Tschad. Seine Geheimpolizei tötete 40.000 Menschen, Tausende werden immer noch vermisst. Nach einem Staatsstreich ging Habré in den Senegal ins Exil. Ich bin Anwältin der Regime-Opfer, die ihn im Jahr 2000 anzeigten.  Es dauerte 17 Jahre, bis außerordentliche afrikanische Kammern im Senegal lebenslange Haftstrafen gegen ihn verhängten. Ein vom Tschad organisiertes Sonderstrafgericht verurteilte etwa zwanzig seiner Komplizen, teils zu lebenslanger Haft, teils zu Haftstrafen zwischen zehn und 30 Jahren. Habrés Anhänger wollten sich an mir rächen. 2001 verletzte mich eine Granate schwer, und ich war 15 Monate im Krankenhaus. Auch heute werde ich bedroht, wenn ich im Tschad bin. Der historische Prozess gegen Hissène Habré, ein ehemaliges Staatsoberhaupt, ist für mich eine Wende in Afrika und eine starke Botschaft an alle Diktatoren und Menschenrechtsverletzer. Sie hielten sich bislang für unberührbar. Aber jetzt ist es möglich, sie für ihre Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen. 

Jacqueline Moudeina, Rechtsanwältin im Tschad. Sie ist Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation ATPDH im Tschad, mit der Brot für die Welt zusammenarbeitet

 

Peru: Korruption

"Justizskandal" las ich am Sonntag beim Frühstück auf der Titelseite einer peruanischen Tageszeitung. Und nahm überrascht zur Kenntnis, dass unsere Partnerorganisation "Instituto de Defensa Legal" (IDL) für diese Schlagzeile gesorgt hatte. Das Menschenrechtsinstitut hatte Mitschnitte von Telefongesprächen zwischen hohen Richtern,  einflussreichen Politikern und Wirtschaftsbossen veröffentlicht, in denen die Richter ihre zukünftigen Gerichtsurteile verschacherten. "Was wollt Ihr? Soll ich die Strafe heruntersetzen oder ihn freisprechen?", sagt da zum Beispiel ein Richter vom obersten Gerichtshof über den Vergewaltiger eines elfjährigen Mädchens. In den 25 Jahren meiner Tätigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit habe ich immer wieder erlebt, wie Fortschritte durch Korruption zunichte gemacht und die Rechte der Armen missachtet wurden.  Besonders pefide wird es, wenn Richter, die das verurteilen sollen, selbst korrupt werden.

Dass es nicht ungefährlich ist, die Korruption der Mächtigen zu enthüllen, bekam das IDL sofort zu spüren. Anstatt die Richter zur Rechenschaft zu ziehen, schickte die Staatsanwaltschaft dem IDL die Polizei ins Haus, um unter Strafandrohung die Tonaufnahmen zu beschlagnahmen und eine weitere Ausstrahlung zu verhindern. Nur durch den Druck der Zivilgesellschaft konnte die Beschlagnahme im letzten Moment verhindert werden.

In einer solchen Situation ist es wichtig, dass wir als kirchliches Hilfswerk alle Hebel in Bewegung setzen, um unsere Projektpartner zu schützen. Gleich zwei Tage später nahm ich Carlos Rivera, ein Vorstandsmitglied des IDL, zu einem Treffen mehrerer Botschafter europäischer Länder in Lima mit, wo er die Lage der Organisation schildern konnte. Brot für die Welt übernimmt hier eine wichtige Vermittlerfunktion hin zu politischen und kirchlichen Stellen und wendet sich auch an die Öffentlichkeit in Deutschland. So merken die Verantwortlichen in Peru: Da ist jemand, der den Fall genau beobachtet.

Die Empörung bei den Peruanern ist diesmal groß, sie gehen zum ersten Mal für eine Justizreform auf die Straße. Ich hoffe, dass dieses Mal die Reformvorschläge des IDL und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen wirklich ernst genommen und umgesetzt werden. Dieser Fall zeigt mir einmal mehr, wie wichtig konstantes und mutiges Engagement der Zivilgesellschaft ist, um etwas zu verbessern. Selbst einzelne Personen können etwas erreichen, damit alle Menschen Gerechtigkeit erfahren.  Dabei geht es um mehr als nur eine ausgewogene Rechtssprechung. Es geht um die Güte und Gerechtigkeit Gottes, die keinen Unterschied zwischen Arm und Reich macht und bei der alle Menschen so viel bekommen, wie sie brauchen.

Christof Wünsch, Leiter des Auslandsbüros in Peru

Infobox

Brot für die Welt kooperiert in 97 Ländern mit 1312 Partnerorganisationen

Lateinamerika und Karibik: 271 Projekte in 19 Ländern
Afrika: 521 Projekte in 34 Ländern
Europa: 8 Projekte in 13 Ländern
Naher Osten, Kaukasus, Asien, Pazifik: 498 Projekte in 31 Ländern
Überregional/weltweit: 174 Projekte

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