Wer ist der reiche Pöbel?
Menschen, die sich aus der Solidargemeinschaft verabschieden, weil sie hohe Einkommen und Vermögen haben.
Aber diese Leute pöbeln doch nicht.
Ich habe mir den Begriff von Hegel geliehen, der sagte: Die feindliche Gesinnung macht den reichen Pöbel, seine ablehnende Haltung gegenüber der Gesellschaft. Heute wie zu Hegels Zeiten gilt: Die meisten Menschen können ihre Bedürfnisse nur befriedigen, indem sie wiederum die Bedürfnisse anderer befriedigen. Es zivilisiert uns, wenn wir für andere arbeiten. Wer vermögend ist, kann aber von Renditen leben, er muss nicht arbeiten. Reiche können ihr Geld überall anlegen – in afrikanischen Minen oder in rumänischen Fleischfabriken. Ihre Kinder besuchen private Internate, die gesetzliche Krankenversicherung haben sie längst verlassen. Mit der Abhängigkeit von der Gesellschaft schwindet auch die Sympathie für die Gesellschaft, in der sie leben. Zusammen mit dem Egoismus, auf dem unsere Marktgesellschaft beruht, entsteht dann leicht eine feindliche Gesinnung der eigenen Gesellschaft gegenüber. Michael Naumann nannte das die Fuck-You-Politik der Finanzwelt.
Björn Vedder
Sieht man das auch an den Autos der Reichen?
Ja! Ich habe Menschen mit den teuersten SUVs gefragt: Warum kaufen Sie die? Die Antwort: "Ich sitze gerne etwas höher als andere und bei einem Unfall kann mir nichts passieren." Aber der andere ist dann tot? – "Ja, das kann schon sein, aber ich bin sicher." Diese Geste haben Sozialpsychologen in vielen Untersuchungen untermauert: Je vermögender ein Mensch ist, desto mehr beansprucht er für sich das Recht auf Leben und Glück, im Zweifel auch auf Kosten der anderen.
Allein von 2016 auf 2017 sind die Vermögen der Milliardäre weltweit um 19 Prozent gestiegen, auf über 8,9 Billiarden Euro.
Und es ist vollkommen richtig, diese Ungleichheit zu beklagen, weil sie nicht nur dazu führt, dass andere mehr haben, sondern auch dazu, dass diejenigen, die weniger haben, ihre Interessen nicht mehr befriedigen können – oder zumindest befürchten, dass es so kommen könnte. Trotzdem ist die Kritik an den Reichen heuchlerisch.
Wie meinen Sie das?
Die Mitte der Gesellschaft versucht, den Reichen etwas Dämonisches zuzuschreiben, zum Beispiel in Fernsehserien wie in der dritten Staffel von "Fargo" oder "Billions". Damit projiziert die Mitte die negativen Auswirkungen eines Systems allein auf die Reichen, um selber weiterhin gut in und von diesem System leben können. Die Menschen der Mitte verbrauchen unsere gemeinsame Umwelt und beuten die Menschen im globalen Süden aus. Sie sind der reiche Pöbel der Weltgesellschaft.
Aber die Superreichen sind doch wirklich noch viel schlimmer!
Die Supereichen sind nicht schlimmer, sie können aufgrund ihrer größeren ökonomischen Kraft ihren Egoismus nur weiter treiben, während die anderen sich gegenseitig im Zaum halten. Die Heuchelei der Mitte ist jedoch ein wichtiger Grund dafür, dass Rechtspopulisten überall in westlichen Gesellschaften Zulauf haben. Es gibt nämlich nicht nur den reichen, sondern auch den armen Pöbel. Und der geht mit dem reichen Pöbel eine Allianz ein – und will der Mitte der Gesellschaft den Garaus machen. Wir sehen das in den USA, wo ein Superreicher wie Trump zum Anwalt des armen Pöbels werden konnte, dem abgehängte Stahlarbeiter hinterherlaufen. In Deutschland zeigt sich die Empörung über die Heuchelei der Mitte sehr gut am Begriff des Gutmenschen. AfD-Wähler haben durchaus recht, wenn sie die bürgerliche Mitte als Gutmenschen bezeichnen.
Wie bitte?
Der Gutmensch ist eine gespaltene Persönlichkeit. Er kommt ökonomisch gut zurecht und weiß seine Interessen gegen andere durchzusetzen, gerne auch gegen Schwächere wie die Menschen des globalen Südens. Er spaltet jedoch eine moralische Persönlichkeit von sich ab, um sich selbst die vorzüglichsten Motive zu attestieren und als guter Mensch fühlen zu können.
Wenn jemand ehrenamtlich Deutsch in einer Flüchtlingseinrichtung unterrichtet, ist das aber nun mal gut …
… ja, aber trotzdem lässt er sich seine Laufschuhe von Kindern in Bangladesch nähen. Das ist eine Selbstverlogenheit, die die eigene Heuchelei nicht mal zugibt.
Die AfD wird aber auch von Bürgern gewählt, denen es wirtschaftlich gut geht. Die sind doch kein armer Pöbel!
Aber sie habe eine pöbelhafte Gesinnung. Dabei spielen in Deutschland eher Abstiegsängste als Abstiegserfahrungen eine Rolle. Zudem fühlt sich der arme Pöbel nicht unbedingt nur ökonomisch, sondern oft auch kulturell unterlegen. In der bürgerlichen Mitte gibt es eine Kultur des Besonderen und Individuellen – seht her, ich hab eine besondere, kreative Arbeit und ich mache ganz besondere Urlaube! Das wertet das Normale ab. Wer sich in seiner Arbeit nicht selbst verwirklicht und zum Urlaub in Benidorm an den Strand fläzt, anstatt eine geführte Ziegenwanderung mit veganem Picknicken zu machen, kann schnell das Gefühl bekommen, minderwertig zu sein.
Was tun?
Ich will wachrütteln, weil die reine Kritik an den Reichen zu kurz greift. Das ist keine angenehme, aber wichtige Erkenntnis. Wenn der reiche und arme Pöbel sich in der Ablehnung der Gesellschaft zusammentun, gerät unsere Demokratie in Gefahr.
Das Buch von Björn Vedder heißt "Reicher Pöbel. Über die Monster des Kapitalismus". Es umfasst 160 Seiten, kostet 18,00 Euro und ist im Büchner-Verlag erschienen.
" Reichtum kann nerven - aber
" Reichtum kann nerven - aber sind die Kritiker der Vermögenden wirklich die besseren Menschen? "
Tja, was soll ich sagen ? Das Kriterium der Güte verwende ich nicht auf Menschen, sondern eher auf das Auto, das Sofa, oder andere Dinge des täglichen Gebrauchs. Menschen will ich nicht klassifizieren. Es gibt sowohl unter den Armen wie unter den Reichen, die hier insgesamt abfällig populistisch als Pöbel bezeichnet werden, solche, die charakterlich nicht viel zu bieten haben, und solche, die einen Charakter besitzen, der sie durchaus zu besonderen Menschen werden lässt.
Eine Kirche, die sich so erniedrigt, dass sie den gesellschaftlichen Klassenkampf bis in die Parolen hinein mitmacht, macht sich schuldig an der Gesellschaft, weil sie ihren moralischen Verfall unterstützt. Hierbei gibt es keine Rechtfertigung.
Mit freundlichen Grüßen
G.L.
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können