Einwand 1: Wenn ich nachhaltig anlege, verzichte ich auf Rendite.
Rolf D. Häßler, Geschäftsführer NKI – Institut für nachhaltige Kapitalanlagen GmbH: Ich finde es faszinierend, wie hartnäckig sich dieses Vorurteil hält, obwohl viele Argumente und Studien das Gegenteil belegen. Meiner Meinung nach trägt der klassische Finanzmarkt eine gewisse Mitschuld daran. Die allgemeine Portfoliotheorie geht davon aus, dass ich als Investor eine schlechtere Rendite erreiche, wenn ich mein Anlageuniversum verkleinere.
Wer nachhaltig investieren möchte, schließt natürlich Unternehmen von vorneherein aus. Dass dies finanzielle Nachteile bringt, wurde aber in vielen empirischen Studien widerlegt. Es ist ganz normal, Anlagen mit schlechter Bonität auszuschließen. Auch das verkleinert meine Möglichkeiten, zu investieren. Aber jeder würde sagen, dass sich die Qualität der Anlage dadurch verbessert. So verhält es sich auch bei nachhaltigen Investitionen. Die Denkweise "Nachhaltigkeit muss ich mir erst leisten können" hält sich auch bei Firmen sehr beharrlich, besonders in mittelständischen Unternehmen.
Dabei ist Nachhaltigkeit nicht die Folge von Erfolg, sondern seine Wurzel. Als Unternehmen investiere ich in Weiterbildung der Mitarbeiter und in ressourcenschonende Prozesse. So werde ich für viele Kunden und Anleger interessant, die darauf Wert legen. Das wiederum bedeutet einen besseren Aktienkurs und eine höhere Dividende. Die Wirtschaftswissenschaftler Timo Busch und Alexander Bassen aus Hamburg haben rund 2250 Studien ausgewertet: Nur zehn Prozent der Studien besagen, dass die ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) den finanziellen Erfolg negativ beeinflussen. 90 Prozent der Analysen ergeben: Nachhaltigkeit wirkt sich nicht oder sogar positiv aus. Als Anleger, der sein Geld nachhaltig investieren will, tue ich damit etwas, das meinen persönlichen Werten entspricht – ohne auf Rendite zu verzichten.
Einwand 2: Wenn ich in grüne Anlagen investiere, ist das Risiko höher.
Dr. Mechthild Upgang, unabhängige Vermögensverwalterin, spezialisiert auf nachhaltige Geldanlagen: Das war früher so, aber der Markt ändert sich – so wie die Gesellschaft. In den 1990er Jahren gab es für grünes Investment nur wenige, kleine Fonds. Heute sind die Ansprüche an Unternehmen viel höher als vor 20 Jahren. Damals veröffentlichten Konzerne noch keine Nachhaltigkeitsberichte oder setzten sich mit Compliance auseinander. Heute wird das Standard. Geraten Konzerne wegen schlechter Unternehmensführung oder Umweltskandalen in die Kritik, ist das schlecht für den Aktienkurs. "Grün" bedeutet auch nicht, nur in Solarkraft und Windanlagen zu investieren. Kein seriöser Finanzberater empfiehlt einer Privatanlegerin, ihr gesamtes Erspartes in einen Solarpark zu investieren. Im Falle einer Schieflage kann das ganze Geld weg sein. Das ist aber auch so manchem Anleger einer Schiffsbeteiligung passiert. Wer sein Geld grün anlegt, achtet außer auf Rendite, Risiko und Verfügbarkeit zusätzlich auf Ökologie, Soziales und gute Unternehmensführung.
Unternehmen, die nachhaltig arbeiten, sind attraktiv für Investoren. Die größte Nachfrage kommt weniger von Privatanlegern als vielmehr von Institutionen, etwa von Kirchen und Stiftungen. Sie möchten nicht nur ethische Kriterien berücksichtigen, sondern auch Risiken reduzieren. Für viele Anleger steht nicht mehr der Idealismus im Vordergrund, sondern auch die Rendite. Denn nachhaltige Anlagen sind nachweislich nicht schlechter als konventionelle. Man muss sich allerdings gründlich informieren. Die Zuwachsrate ist da, und je mehr Menschen in nachhaltige Anlagen investieren, desto stärker engagieren sich Unternehmen in diesem Bereich.
Einwand 3: Die Wirtschaft wird durch grünes Investment auch nicht ökologischer.
Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie: Das ist auf den ersten Blick plausibel. Die Mechanismen, über die nachhaltiges Investment Einfluss auf die Wirtschaft nimmt, wirken nur indirekt. Die Gesetze der Kapital- und Finanzmärkte lassen sich nicht einfach aushebeln. Wenn viele Anleger aus Investitionen mit fossilen Rohstoffen rausgehen, werden solche Anlagen unterbewertet, sie werden also günstiger. Das kann zu sehr hohen Renditen bei Anlegern führen, die genau zu diesem Zeitpunkt einsteigen. Das ist natürlich genau der Effekt, den wir nicht wollen. Aber durch sogenannte Devestitionen (Desinvestitionen) können Anleger Unternehmen Kapital und damit auch Legitimation entziehen. Den Firmen, die sie aus ethischen oder ökologischen Gründen nicht mehr unterstützen, fehlt dieses Kapital.
Anleger sollten auch von ihren Mitbestimmungsrechten in Hauptversammlungen Gebrauch machen. Dort können Privatanleger ebenso wie Banken oder Fonds direkten Einfluss auf Managemententscheidungen nehmen. Wenn ein relevanter Anteil der Menschen bereit ist, Geld nachhaltig zu investieren, gibt das auch der Politik Mut, bestimmte Kriterien in Gesetzen umzusetzen. Ein Beispiel sind die FCKW-freien Kühlschränke, die Greenpeace1992 gemeinsam mit einem Hersteller entwickelt hat. Da haben zunächst alle gesagt: "Das haut nicht hin." Als der Kühlschrank auf dem Markt war, folgte kurze Zeit später das Gesetz zum Verbot von FCKW. Deshalb kann man mit nachhaltigem Einkauf und nachhaltigem Investieren durchaus großen Einfluss nehmen.
Einwand 4: Bestimmt muss ich mehr Gebühren zahlen, wenn ich mein Geld nachhaltig anlegen will.
Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur von "Finanztip", einem Verbraucher-Ratgeber im Internet: So pauschal ist die These falsch. Es gibt auch konventionelle Anlagen – zum Beispiel gemanagte Fonds –, bei denen ich als Anleger hohe Gebühren zahlen muss. Es lohnt sich immer, Angebote zu vergleichen, egal ob grün oder nicht. Was aber stimmt: Je rigider, je strenger, je umweltbewusster ich als Anleger sein will, desto aufwendiger wird es. Dann habe ich viel Arbeit, weil ich Daten suchen muss: Ist das Unternehmen, in das ich investiere, wirklich nachhaltig? Wenn auf einmal ein Lebensmittelgroßkonzern wie Unilever die klimafreundliche und nachhaltige Firma Ben & Jerry’s Eis übernimmt, dann muss ich aus dem Investment konsequenterweise raus.
Beauftrage ich einen Fondsmanager damit, den Markt für mich im Blick zu behalten, hat der mehr Arbeit. Dann kann es auch für mich teurer werden. Wenn wir über hohe Kosten und viel Aufwand reden, möchte ich noch einen Gedanken loswerden: Wer ein Haus hat, setze sich eine Photovoltaikanlage aufs Dach. Auch das ist ein grünes Investment! Moderne Solaranlagen produzieren Strom für neun Cent die Kilowattstunde. Als Kunde muss ich 30 Cent zahlen. Am besten stellt man sich auch schon einen Akku in die Garage, fürs Elektroauto. Solarthermie auf dem Dach ist auch interessant, damit kann ich – selbst an sonnigen Wintertagen – Wasser erwärmen, ohne Öl oder Gas zu verfeuern. Und wenn ich kein Haus habe? Dann ist eine Beteiligung an der Solaranlage auf der Schule oder einer Windkraftanlage überlegenswert.
Einwand 5: Viele Unternehmen sind nicht nachhaltig, die machen sich nur fürs Marketing grün.
Jörg Weber, Chefredakteur des Internetportals "Ecoreporter": Generell muss man sagen, dass Greenwashing, also der Versuch eines nicht nachhaltig agierenden Unternehmens, ein grünes Image aufzubauen, im Finanzmarkt nicht das große Problem ist. Nur wenige Fonds verstoßen wirklich gegen die eigenen Kriterien der Nachhaltigkeit. Oft sind die allerdings nicht besonders streng. Sie werden veröffentlicht, und man kann und sollte sie einsehen. Viele Anleger schauen sich diese Kriterien aber nicht gründlich genug an. Einige Anbieter versuchen, möglichst jeden Trend mitzunehmen. Eine Zeit lang wurden sogenannte Klimafonds gegründet. Wenn dann als beteiligtes Unternehmen die Lufthansa auftaucht, fühlen sich die Leute hintergangen. Eine wichtige Frage, die ich mir als privater Anleger stellen muss: Was ist das Hauptgeschäft eines Unternehmens? Wenn beispielsweise eine Fluggesellschaft biologisch abbaubare Plastikverpackungen für ihr Catering benutzt, ist das zwar nett, verringert aber nicht die CO2-Emissionen beim Fliegen. Gleiches gilt für Banken. Es ist kein Kennzeichen für nachhaltiges Wirtschaften, wenn die Hauptverwaltung eine Solaranlage auf dem Dach hat. Viel wichtiger ist ihre Kreditvergabe.
Einwand 6: Da blickt doch keiner durch. Die Angebote sind unübersichtlich.
Max Deml, ist Autor des Handbuchs "Grünes Geld 2020": Natürlich ist die Aktienauswahl beim Anlageberater nicht wie die Auslage im Supermarkt, wo man zwischen "bio" und "nicht bio" wählen kann. Man muss für sich selbst Klarheit schaffen, welche Kriterien eine Anlage erfüllen soll und welche Wirkung man damit erzielen möchte. Wenn ich beispielsweise 10 000 Euro in einen Windpark investiere, erhält die Betreiberfirma weitere 40 000 Euro Kredit von der Bank. Sprich: Ich setze als Anleger 50 000 Euro in Bewegung und habe eine sehr direkte Wirkung. Außerdem muss man sich über den eigenen Anspruch im Klaren sein: Will ich also hellgrün oder dunkelgrün? Das heißt: Habe ich eine Liste strenger Kriterien, oder reicht mir eines, wie zum Beispiel weniger CO2-Ausstoß oder gerechtere Löhne?
Wer keine böse Überraschung erleben will, kann sich die Geschäftsberichte der Investmentfonds ansehen. Darin ist aufgelistet, welche Aktien in dem Fonds enthalten sind. Auch das Infomaterial der Anlageanbieter kann weiterhelfen. Da heißt es aber genau hinsehen: Die sind werblich aufgemacht, und Risikohinweise findet man oft nur im Kleingedruckten. Es kann sinnvoll sein, einen unabhängigen Finanzberater hinzuzuziehen, ein Nachschlagewerk zur Hand zu nehmen oder sich mit Freunden und Bekannten über ihre Erfahrungen auszutauschen. Aber auch diese Informationen entbinden mich als Investor nicht davon, zu entscheiden, welche Wirkung ich erzielen möchte und welches Risiko ich bereit bin einzugehen. Labels, die Fonds als ökologisch ausweisen, sagen meist nichts über die finanziellen Chancen und Risiken aus. Und die spielen bei einer Investition schließlich immer eine Rolle.
Einwand 7: Investmentbanken bieten Fonds an, die sich an Indizes wie dem DAX oder dem Dow Jones orientieren, sogenannte ETFs. Können die überhaupt nachhaltig sein?
Roland Kölsch, Geschäftsführer des FNG-Siegels (Label für nachhaltige Investmentfonds, entwickelt vom Forum Nachhaltige Geldanlagen): Ja. Sie bilden einfach einen Index ab. Das heißt, wenn ein Index wie der DAX steigt, gehen sie in der Regel eins zu eins mit hoch. Wenn er fällt, fallen sie normalerweise in gleicher Höhe. Ein nachhaltiger ETF (Exchange Traded Fund) kann sich zum Beispiel am MSCI World Socially Responsible Index oder am Dow Jones Sustainability Index orientieren. Ob diese Indizes aber dem eigenen Nachhaltigkeitsverständnis entsprechen, muss jeder Anleger für sich entscheiden.
Angeboten werden die Indizes von Investmentbanken oder Fondsgesellschaften, zum Beispiel BlackRock, UBS und der Deutschen Bank. Der Vorteil: Die Gesamtkosten bei ETFs belaufen sich auf 0,5 Prozent jährlich, weil sie nicht aktiv verwaltet werden – man bezahlt keinen Fondsmanager für die Gewichtungen. Bei Fonds sind es 1,5 bis 2 Prozent. Weil Anlageberater nichts daran verdienen, bieten sie selten ETFs von sich aus an. Dabei bringen sie langfristig stabilere Nettoerträge. Auch Studien zeigen das im Vergleich. Fondsmanager haben keine hellseherischen Fähigkeiten und müssen erst die Kosten für die Verwaltung, das Management und das Marketing der Fonds reinarbeiten.
Ein ETF ist weniger flexibel als normale Aktienfonds. Bei einem Index rücken erfolgreiche Unternehmen auf, und weniger erfolgreiche fallen raus. Bei grünen Indizes werden nachhaltige aufgenommen und weniger nachhaltige ausgeschlossen. Aber das passiert nur zu bestimmten Fristen, etwa jedes Quartal. Wenn eines der Unternehmen im Index am 2. Januar in einen Umweltskandal verwickelt ist und ich entscheide, dass mir dieser ETF nicht mehr nachhaltig genug ist, muss ich mindestens bis zur nächsten Indexzusammenstellung am 31. März warten. Der ETF verkauft den Titel erst dann, weil er auch erst zu diesem Zeitpunkt aus dem Index fliegt. Bei Fonds geht das schneller.
Der Fondsmanager kann sofort handeln, wenn ein Skandal bekannt wird. Als Aktionär habe ich zudem ein Stimmrecht und kann theoretisch auf der Hauptversammlung mehr Transparenz fordern oder mit Ausstieg drohen. Hier bündeln verantwortliche Fondsmanager die Einzelstimmrechte. Manche berichten auch so, dass der Kleinanleger erfährt, wie sein Investment gebündelt mit anderen eben doch Gewicht haben kann. ETFs tun dies aus Kostengründen nicht. Eine nachhaltige Wirkung kann ich bei ETFs nur beeinflussen, indem ich entscheide, wo ich mein Geld anlege. Und selbst da ist Vorsicht geboten. ETFs können einen Index nämlich auf verschiedene Arten abbilden: Entweder investiert ein ETF in alle Unternehmen, die im Index gelistet sind, oder er investiert nur in die größten.
Die dritte Variante sind sogenannte synthetische ETFs: Hier bildet man mit mathematischen Methoden die Wertentwicklung eines Index ab. Durch den Einsatz solcher sogenannter Derivate kommt allerdings ein weiteres Finanzinstitut als Geschäftspartner im ETF-Konstrukt hinzu, der ausfallen kann. Der ETF-Anbieter minimiert das Risiko mit einer Versicherung. Als nachhaltiger Anleger muss man wissen, dass man so nicht direkt in Unternehmen und deren Aktien oder Anleihen investiert. Außerdem muss der Anleger mit einer Fehlerabweichung von jährlich bis zu zwei Prozent, in seltenen Fällen mehr, rechnen – übrigens auch wenn der ETF nur in die größten Unternehmen eines Index investiert.
Bei ETFs ohne bestimmte Nachhaltigkeitsstandards muss sich ein ethisch anspruchsvoller Anleger selbst erkundigen. Ein ETF, der auf geringen CO2-Ausstoß achtet, könnte auf Kernkraft setzen. Ein ETF für E-Mobilität könnte auf Batteriehersteller setzen, die in den Kobaltabbau im Bürgerkriegsland Kongo verwickelt sind. Informationen bekommt man bei großen Direktbanken, auf Finanzportalen im Internet oder bei unabhängigen Finanzberatern auf Honorarbasis. Das kostet zwar am Anfang viel. Aber man spart die wiederkehrenden Provisionen. Eine Alternative: Man vertraut auf Qualitätssiegel für nachhaltige Geldanlagen, deren Kriterien einsehbar sind.
Einwand 8: Ich schade der Umwelt/meinen Mitmenschen nicht, wenn ich mein Geld ganz normal anlege.
Tanja Könemann, Beauftragte für Nachhaltige Entwicklung beim Versicherer im Raum der Kirchen (VRK): Bei Konzernen ist oft nicht bis ins letzte Detail klar, woran sie finanziell beteiligt sind, weil die notwendige Transparenz fehlt. Pauschal zu sagen, dass meine Investition keinen Schaden verursache, ist also fragwürdig. Wenn öffentlich einsehbar ist, woran ein Unternehmen beteiligt ist und woran nicht, kann jeder Investor für sich entscheiden, ob er dafür sein Geld zur Verfügung stellt. Selbst bei Anlagen, die auf den ersten Blick sauber oder zumindest nicht schädlich erscheinen, etwa Immobilienfonds, bleibt unklar, wo die Gewinne reinvestiert werden. Die VRK nutzt beispielsweise einen Nachhaltigkeitsfilter für die Kapitalvergabe. Das bedeutet, wir durchleuchten nicht nur das Unternehmen selbst, sondern auch die Beteiligungen und die Kreditvergabe unserer Partner. Die Frage des Investors ist: Wie möchte ich investieren? Nur ökologisch? Oder auch nachhaltig? Dann muss ich soziale Standards beachten, etwa dass das Unternehmen keine Kinderarbeit fördert.
Will ich zudem ethisch-moralisch investieren, sollte ich Länder ausschließen, die keine Religionsfreiheit garantieren oder in denen es noch die Todesstrafe gibt. Wenn ich solche Kriterien nicht beachte, nehme ich billigend in Kauf, dass mein Geld unlautere Geschäfte unterstützt. Ich kann mich am Ende des Tages nicht einfach zurücklehnen und sagen: Es passiert schon nichts. Mit nachhaltiger Investition setze ich ein Statement: Ich will Rendite, aber auch die Schöpfung bewahren. Ich muss abends auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich in der "Tagesschau" das Leid in der Welt sehe, weil ich weiß, dass mein Geld keine Kriege unterstützt. Das ist doch wunderbar!
Einwand 9: Warum soll ich was tun? Sollen doch erst mal die Großanleger vorangehen, die haben Geld!
Ekkehard Thiesler, Vorstandsvorsitzender der Bank für Kirche und Diakonie: Diesen Gedanken kann ich nachvollziehen! Institutionelle Anleger wie Versicherungen und Banken legen Beträge an, die man sich als Privatperson oft gar nicht vorstellen kann. Aber das sollte uns nicht daran hindern, auch als Einzelanleger voranzugehen. Man kann es auch mit Friedrich Wilhelm Raiffeisen sagen, der den Genossenschaftsgedanken entwickelt hat: "Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele." Die Nachfrage bestimmt das Angebot, wie beim Thema Fairer Handel.
Anfangs war das eine belächelte Nische, heute haben auch Discounter Fair-Trade-Produkte im Angebot. Wir alle sollten zum Schalter unserer Bank gehen oder E-Mails schreiben und die Mitarbeiter fragen: Was machen Sie mit meinem Geld? Nach welchen Kriterien legen Sie es an? Tun dies viele, dann wird sich auch was verändern. Das Interesse der Investoren ist groß, das haben wir bei unserem Fair World Fonds beobachtet, der unter ethisch-nachhaltigen und entwicklungspolitischen Kriterien anlegt. Wir hofften anfangs auf ein Anlagekapital von 70 bis 100 Millionen Euro, heute ist bereits eine Milliarde Euro in dem Fonds investiert.
ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) dienen zur Bewertung des sozialen und nachhaltigen Engagements eines Unternehmens, also des Einsatzes, den eine Firma freiwillig und über die gesetzlichen Anforderungen hinaus in ökologische und soziale Maßnahmen sowie in nachhaltige Entwicklung steckt. Dazu zählen der Anteil an erneuerbaren Energien, Emissionsausstoß, Achtung der Menschenrechte und Arbeitsplatzbedingungen. Ratingagenturen bewerten Unternehmen nach diesen Kriterien und geben Investoren eine Entscheidungshilfe. Jede Ratingagentur hat dafür eigene Richtlinien.
Kritisch hinterfragen
Einem Magazin wie "chrismon" stünde es besser an, den Irrglauben an materielles und finanzielles Wachstum kritisch zu hinterfragen als vermeintlich "grüne" Tipps für leistungslose Einkommen (z.B. Händler und Geldwechsler, siehe Bibel) zu geben. Selbst an kritischer Betrachtung des Begriffs "nachhaltig" fehlt es; dabei geht es meist um das primäre Ziel der Erhaltung eines Unternehmens mit dem instrumentellen Mittel ökologischer Produktion. Es gibt keinen einzigen wirtschaftswissenschaftlichen Beleg für die Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch. "chrismon" hätte auch über Investititonen in soziale Projekte informieren können; dabei würde die Nächstenliebe wachsen.
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Allgemeine Antworten
Danke, dass Sie das Thema „nachhaltige Geldanlagen“ aufgegriffen haben. Es wird zunehmend wichtiger, dass unser Geld als „gutes Geld“ zum Einsatz kommt und nicht in fragwürdige Investitionen fließt. Allerdings fallen die Antworten auf Ihre Umfrage reichlich allgemein aus. Als Laie im Geldgeschäft bin ich nach der Lektüre der Reaktionen der Finanzexperten auch nicht wesentlich klüger. Wie soll ich prüfen, ob als nachhaltig beworbene Finanzprodukte wirklich „grün“ sind? Wie soll ich als Privatperson Kriterien eines „Nachhaltigkeitsfilters“ anwenden, wie dies Versicherungen können? Ich bin auf den guten Willen meines Bankberaters angewiesen. Deshalb nehme ich Ekkehard Thiesler von meiner Kritik aus. Er gibt zumindest konkrete Tipps zu Anlegerfragen beim Beratungsgespräch.
Schleierhaft bleibt mir, warum Sie als kirchennahes Magazin es aber nicht für nötig halten, Oikocredit in Ihre Interviews einzubeziehen. Oikocredit als ökumenische Kreditgenossenschaft legt das anvertraute Geld zu 100 Prozent nachhaltig an – als Darlehen für Mikrokreditorganisationen und Kleinbauerngenossenschaften in Afrika, Asien, Lateinamerika. In Deutschland beteiligen sich 23.000 Anleger mit über 500 Millionen Anlagesumme an dieser Aktion weltweiter Solidarität.
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