Wir müssen etwas tun! So kann es nicht weitergehen! Die Krisen in der Welt – ob in Politik, Wirtschaft, Fußball, Gesangverein oder Familie – lassen die mehr oder minder Betroffenen nach tiefem Seufzen diese beiden Sätze ausstoßen. In ihrer Not schauen die Schreienden zum Himmel. Und falls sie religiös sind, bitten sie um Gottes Hilfe.
Arnd Brummer
In den Herzen der Klagenden wächst die Sehnsucht nach Helden, die nicht nur wissen, was zu tun ist, sondern sofort laut und deutlich verkünden, dass es nur einen richtigen Weg gibt, nämlich ihren. Der Sehnsucht der tatsächlich oder vermeintlich Leidenden nach einfachen, klaren Wahrheiten und Konzepten verdanken Putin, Erdogan und Trump Anhängerschaft wie Wahlerfolge.
Diejenigen unter den Verantwortlichen in Kanzlerämtern, Präsidentensuiten oder Vorstandsbüros, welche bekunden, sie seien dabei, die Lage zu analysieren und Lösungen zu erarbeiten, müssen hingegen mindestens mit gesenkten Mundwinkeln rechnen. So sind die! Feige, ängstlich und betulich! Rumschwätzen statt handeln!
In den ethisch-moralisch besseren Kreisen wird über diese ungebildeten und ungehobelten Schreier leise die Nase gerümpft. Und nach zwei Tässchen Tee oder einem Gläschen Wein wird kopfschüttelnd der erneute Untergang des Abendlandes durch diese elenden Vereinfacher prognostiziert. Was haben die denn? Denen geht’s doch vergleichsweise gut!
Keine Fehler macht nur, wer gar nichts tut
Unsere Gemeinschaft, ob Staat, Kirche oder Verein, braucht den Dialog – ja, braucht den Streit! Die unterschiedlichen Sichtweisen, Hoffnungen und Ängste sollten die Leute einander Auge in Auge mitteilen, anstatt sich aus dem Weg zu gehen und über "die anderen" Zorn auszuspucken oder hochnäsig zu lächeln.
Abwertung und Ausgrenzung sind die größten Risiken für eine freie und offene Gesellschaft. Und die Vielfalt der alltagskulturellen Lebensweisen kann kein ignorierendes oder schweigend hinnehmendes Nebeneinander sein. Gemeinschaft wächst aus Fragen: Warum siehst du das so? Was sind deine Gründe, deine Argumente?
Ein wunderbarer Satz Konrad Adenauers fällt mir in diesem Zusammenhang ein. "Wir leben alle unter demselben Himmel, aber wir haben nicht alle denselben Horizont", stellte der erste Bundeskanzler fest. Er äußerte dies nicht herablassend, sondern lächelnd. In rheinischem Humor und durchaus mit einer Prise Selbstkritik. Ein anderer Spötter und Zweifler auf höchstem Niveau, Mark Twain, rät allen Überzeugten: "Wann immer man sich auf der Seite der Mehrheit befindet, ist es Zeit, seine Ansicht zu ändern oder zu pausieren und nachzudenken." Und die moralisch Überlegenen sollten wissen: Es gibt Demut, die selbst eine Art von Hochmut ist.
Humor, Nähe und der Verzicht auf Gewalt sind Zeichen einer Gemeinschaft im Sinne Jesu Christi. Das steckt in zwei hier schon mehrfach zitierten Sätzen. "Lasset die Geister aufeinanderprallen, aber die Fäuste haltet still", wird Martin Luther zugeschrieben. "Zank ist der Rauch der Liebe", stellte der kritische Geist Ludwig Börne fest.
Was tun nach einer desaströsen Fußball-WM? Wie umgehen mit Flüchtenden und Migranten? Es gibt darauf keine einfachen Antworten. Und es gilt auch hier: Keine Fehler macht nur, wer gar nichts tut. Ob in Bayern, Hessen oder anderswo sollte somit auch in Wahlkampfzeiten gelten, dass die Vielfalt der Blickwinkel und Ideen die Wurzel aller Hoffnung auf eine gute Zukunft bleibt. So wünsche ich uns einen Spätsommer mit intensiven Debatten und einem geschwisterlichen "Prosit".
Und wenn Sie Lust zum reden haben - wir machen mit bei "Deutschland spricht" - Sie auch?
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Zumutung
Es ist schon ein ziemliche Zumutung, Arnd Brummers Empfehlung, „schön“ um die besseren Argumente zu streiten, auch im bayerischen Landtagswahlkampf gelten zu lassen. Gerade erst ist bekannt geworden, dass die Stadt München im April einen uigurischen Asylbewerber rechtswidrig nach China abgeschoben hat. Von dem Mann, der zu einer Minderheit gehört, die vom Regime in Peking in Umerziehungslagern drangsaliert wird, fehlt seit seiner Ankunft in China jedes Lebenszeichen. Kann man über solche Fehlentscheidungen deutscher Behörden „schön“ streiten?
Uwe Tünnermann
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