- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Gottfried Helnwein ist Österreichs umstrittenster Künstler. Der 69-Jährige kleidet sich gerne ganz in Schwarz, Totenkopfoptik, Sonnenbrille und Rockstarallüren inklusive. Vielen gilt er als wandelnder Skandal. Aber das hat längst nicht nur mit seinem Äußeren zu tun. Denn den Künstler Helnwein beschäftigen Themen, von denen die einen lieber nichts wissen wollen und die die anderen am liebsten vertuschen würden. Sexuelle Gewalt an Kindern ist eines von Helnweins Leitmotiven. Seine Werke: oftmals zutiefst verstörende, quälend realistische Gemälde von verletzten Kindern. In der Hinsicht ist die hier zu sehende Verkündigung von 1993 geradezu harmlos. Aber das gilt auch nur für den ersten Blick. Maria ist, da bleibt sich Helnwein treu, weniger Frau als vielmehr junges Mädchen. Sie blickt nicht gerade glücklich und wie im Zustand einer außergewöhnlichen Erfahrung drein. Zudem sorgt das Blaulicht des Fernsehbildschirms für eine eher ungemütliche Atmosphäre.
Wenig Hoffnung für die Frohe Botschaft?
Dagegen sieht der Engel fast schon sympathisch aus. Aber gleichzeitig so klischeehaft niedlich, dass es schwer ist, ihm sein seriöses Anliegen abzunehmen. Diese Verkündigung verbreitet die nervöse Unruhe eines Flimmerkastens. Ist es nicht trostlos, wie Helnwein den Erzengel im Miniaturformat aus der Mattscheibe fliegen lässt? Da verblasst auch gleich die Botschaft. Vielleicht schwingt gar ein bisschen moderne Medientheorie mit, Marshall McLuhan etwa mit seiner berühmten These: „The medium is the message.“ Das Medium, das keine Botschaft mehr übermittelt, sondern selbst die Botschaft ist. Der kanadische Philosoph McLuhan gilt manchen damit als Prophet des digitalen Zeitalters. Seine 50 Jahre alte Prophezeiung erfüllt sich heute auf ernüchternde Weise. Denn Twitter, Facebook und Co. scheinen längst leere Kommunikationsblasen zum reinen Selbstzweck zu sein. Ganz zu schweigen vom linearen Fernsehen, einer akut vom Aussterben bedrohten Medienart.
Wenig Hoffnung also für die Frohe Botschaft, von der Gabriel hier eigentlich künden soll. Schlimmer noch, das Bild kündet von einem weiteren Nebeneffekt des medialen Fortschritts: nämlich von der zunehmenden Vereinsamung trotz digitaler Totalvernetzung. Helnweins Verkündigung könnte sich, so verleitet das Bild zu denken, zur selben Zeit und genau so auf vielen anderen Bildschirmen abspielen – vielleicht sogar gleich im Nebenzimmer des hier gezeigten Mädchens. Allein: Gemeinschaftsstiftend wirkt die Botschaft nicht. Medienschaffende würden sogar sagen: Die frohe Kunde versendet sich wie eine peinliche Programmpanne.
Das, wenn überhaupt, Besinnliche von Helnweins Werk scheint allein in dem Auftrag zu liegen, wieder zur Besinnung zu kommen. Denn der Spiegel, den uns der Künstler hier vorhält, zeugt von einer schweren Aufmerksamkeitsstörung, mindestens. Wem diese Diagnose noch zu schwach ist, dem sei eine aktuelle Ausstellung von Gottfried Helnwein empfohlen: Noch bis 8. April sind die Arbeiten des Österreichers im Ernst- Barlach-Museum Wedel zu sehen.