Seit dem vergangenen November arbeite ich häufig in der Brightwood-Klinik. Kurz nach dem Wahlsieg Donald Trumps rief mich Direktorin Audrey an: Die Zahl der Patienten mit Kopfschmerzen, Depressionen und Ängsten habe sich fast über Nacht verdoppelt. Sie brauche meinen Rat als Seelsorgerin.
Die Brightwood-Klinik ist ein ambulantes Gesundheitszentrum, hierher kommen viele lateinamerikanische Patienten, die meisten Farmarbeiter. Das Wahlergebnis hat sie in Angst und Schrecken versetzt. Sie fürchten, dass Trump seine Anti-Immigranten-Rhetorik in die Tat umsetzen wird. Und sie und ihre Familien abgeschoben werden.
Noch wurde keiner der Patienten abgeschoben...
Audrey und ihr Team bereiteten Beratungsstunden vor. Ich kam mit einer Spanisch sprechenden Kollegin zum ersten Treffen. Anwälte, Seelsorger und der katholische Pfarrer der örtlichen Gemeinde waren da. Und über 200 Patienten mit ihren Familien! Wir teilten uns auf und empfingen die Menschen einzeln in den Behandlungszimmern. Es schien ihnen gutzutun, dass wir mit ehrlicher Anteilnahme zuhörten und an Immigrationsanwälte verweisen konnten. Diese arbeiten zum Teil ehrenamtlich oder werden von gemeinnützigen Organisationen bezahlt und helfen, die Rechtslage zu klären. Diese Beratungsstunden finden seitdem zweimal im Monat statt. Noch wurde keiner der Patienten abgeschoben, aber die Angst geht weiter um.
Mittlerweile arbeiten wir auch viel mit den Mitarbeitern. Sie schlagen sich noch mit anderen „Trump-Themen“ herum: Die Ärzte in der Ausbildung, die aus muslimisch geprägten Ländern kommen, trauen sich kaum, in den Heimaturlaub zu gehen, aus Sorge, nicht mehr in die USA reingelassen zu werden, um ihre Ausbildung abzuschließen. Das wäre für alle schlimm – die medizinische Versorgung nicht nur in Massachusetts hängt von diesen Ärzten ab.
Massachusetts ist ein Staat mit liberalen Gesetzen wie der Ehe für alle und der Krankenversicherungspflicht. Der Gouverneur, obwohl Republikaner, hat nicht für Trump gestimmt. Diese soziale und politische Kultur prägt die Menschen immer noch. Aber ich merke, wie sich auch hier die Sprachkultur verändert: Rassistische Bemerkungen werden häufiger, Menschen hispanischer Abstammung oder dunkler Hautfarbe haben immer öfter mit Vorurteilen und Unterstellungen zu tun.