Die hohe Mauer ist überwachsen von lila blühender Bougainvillea. Der deutsche Friedhof von Lissabon liegt etwas verborgen im Stadtviertel Campo de Ourique. Wenn man am grünem Eisentor klingelt, gewährt einem Donna Valentina, die Wärterin, den Zutritt in eine andere Welt: hohe alte Palmen, Zypressen und Gräber aus drei Jahrhunderten. Hier werden seit 1820 Deutsche aller Konfessionen und Religionen bestattet, Wissenschaftler, Künstler, viele Seeleute. So weit ich weiß, ist dies einer von nur zwei deutschen evangelischen Auslandsfriedhöfen, die noch in Betrieb sind. Der andere liegt in Jerusalem. Heute sind unsere Trauerfeiern immer mehrsprachig. Viele Portugiesen sind positiv überrascht, wie individuell wir dabei auf die Verstorbenen eingehen. Dass deren Lebensgeschichte so viel Raum bekommt, sind sie aus der portugiesischen katholischen Liturgie nicht gewohnt.
Es gibt noch ein paar Unterschiede mehr. In Portugal ist der wichtigste Termin bei einer Beerdigung der Abend davor. Alle Angehörigen und Freunde kommen zum „Velório“ (Totenwache) in der Kirche oder Kapelle zusammen, in der der Verstorbene aufgebahrt liegt. Immer wieder gehen einzelne Gäste zum offenen Sarg, bleiben dort eine Weile und verabschieden sich so auf ihre Weise. Diese Tradition bieten wir auch bei unseren Trauerfeiern an. Bei einem Velório für ein Gemeindemitglied waren noch spätabends um die hundert Menschen in unserem Kirchhof. Zur Trauerfeier am folgenden Tag kamen nur ungefähr vierzig. Mir gefällt in Portugal, dass der Tod stärker zum normalen Lebens gehört. Bei den Velórios liegt der verstorbene Mensch quasi inmitten seiner früheren Nachbarn, Freunde und Familien. Und mir gefällt, dass die Leichenwagen nicht wie in Deutschland blickdicht geschlossen sind, sondern hinten eine große Glasscheibe haben: Man sieht den Sarg und die Blumen. Der Tod muss hier nicht versteckt werden.