Mit 79 bin ich noch auf großen Reisen gewesen, in Myanmar und davor in Indien, mit den Freunden, mit denen ich viele Jahre durch die Welt reiste. An Walkingstöcken ging das ganz gut, sogar die Treppen zu den hohen Einstiegen der Pagoden rauf. Aber dann ist es mit dem Laufen immer schlechter geworden.
Also benutzte ich den Stock. Aber mit Stock geht man schief. Davon kriegt man Kreuzschmerzen. Ich kam nur noch bis zu den ersten Geschäften am Marktplatz. Im Winter bin ich viel im Haus gesessen. Dann nimmt man zu. Und das Gewicht drückt wieder auf die Gelenke.
Eine Bekannte von mir hat einen Rollator, den nahm die sogar nach Lanzarote mit, ich probierte den aus und merkte gleich: Man geht viel besser mit Rollator. Meine Tochter hat mir dann im Internet einen Rollator ersteigert, für 14 Euro, einen von der älteren Generation. Zum Einkaufen war der klasse, weil er so einen großen Einkaufskorb hatte. Aber wenn man ihn quer zusammenklappte, blieb er nicht stehen, sondern kippte um.
Überwinden muss man sich erst schon, ja
Ich hab mir dann selbst einen gekauft, zum Längsfalten, für gut 300 Euro. Rot sollte er sein. Mein Porsche! Im Kurs beim Verein Spomobil lernte ich, wie man über Bordsteinkanten kommt. Dass man aufrecht im Rollator geht und zwischen den Rädern, wusste ich schon. Viele schieben den ja vor sich her und strecken den Popo nach hinten.
Überwinden muss man sich erst schon, ja. Man denkt: Jetzt werde ich alt, jetzt geht’s abwärts. Aber es machte mir schnell nichts mehr aus, mit dem Rollator gesehen zu werden. Ich kann eine ganze Stunde damit laufen! Dass es mit meinen Gelenken nicht mehr besser wird, das ist klar – aber dass ich plötzlich wieder weit laufen kann!
Jetzt sehe ich auch immer mehr Männer hier in Lippstadt mit Rollator laufen. Männer tun sich ja schwer damit. Das kommt denen wohl unmännlich vor, so ein Ding zu benutzen. Männer sind eitler als Frauen. Wirklich wahr!
Ohne Hilfe auf den Bahnsteig? Quasi unmöglich
Dabei guckt gar keiner. Eine Freundin, genau so alt wie ich, schaut immer erst aus der Haustür, ob Leute auf der Straße sind, die sie kennt. So ein Quatsch! Ich bin froh, dass ich laufen kann, da interessieren mich andere Leute doch gar nicht. Sonst kann kann man auch nicht raus. Dann versauert man zu Hause. Schläft tagsüber im Sessel ein. Kriegt jeden Tag noch eine andere Krankheit.
Ich hab immer gerackert, um gelenkig zu bleiben – ich geh turnen und schwimmen. Ich hab überhaupt immer viel gemacht. Zum Beispiel jahrzehntelang in der Kirche die Orgel gespielt. Ich musste auch viel machen, viel selbst entscheiden, mein Mann ist früh gestorben. Mit 61. Da waren die Kinder gerade erst aus dem Haus, zum Studium. Das sind so Schläge.
Ich schau jetzt, dass ich jeden Tag mindestens eine halbe Stunde rausgehe. Da schläft man auch besser. Wenn’s regnet, setze ich einen Schlapphut auf; und wenn’s richtig bladdert, ziehe ich das Regencape über.
Ist natürlich nicht alles so doll. Wenn ich zu meinen Kindern fahre und im Bahnhof ist kein Aufzug und die Rolltreppe außer Betrieb. Da kann ich nur hoffen, dass ein junger Mann vorbeikommt, der den Rollator auf den Bahnsteig trägt. Oder auf dem Marktplatz die kleinen Steine aus Blaubasalt – das Gehoppel ist grausam, wenn man Arthrose in den Daumen hat. Die müssten einen Streifen teeren, dass man mit dem Rollator über den Platz kommt.
Ich bin richtig glücklich mit dem Rollator
Man muss schon ein paar Tricks kennen. Ins Theater bin ich erst immer zum Künstlereingang rein, da ist ein Aufzug direkt zum Saal – aber das ist blöd, man sitzt in dem leeren Theater und hat keinen Kontakt mit den Leuten. Jetzt habe ich links im Foyer einen Gang entdeckt, wo Besucher eigentlich gar nichts zu suchen haben, da stell ich meinen Rollator ab und gehe mit Stock in den Saal.
Das einzige, was ich noch nicht gemacht habe: mit dem Rollator auf eine Beerdigung. Wir hatten zuletzt so viele Beerdigungen, leider. Ich bin mit dem Auto bis zum Friedhof und dann mit dem Stock zum Grab. Aber ich hab schon mehrere gesehen, die mit dem Rollator in der Prozession mitgehen. Ich denke, ich probier das jetzt auch.
Ich bin richtig glücklich mit dem Rollator! Das ist die tollste Erfindung des Jahrhunderts. Noch besser als Auto: Man hat frische Luft und Bewegung.
Protokoll: Christine Holch
Ermutigend
Sehr geehrte Damen und Herren !
Der authentische Bericht macht sicher etlichen Menschen mit Geh- oder Kreislaufproblemen Mut, sich mit einem Rollator in die Öffentlichkeit zu trauen. Dieses Fortbildungsmittel hält die 83-jährige Dame für die „tollste Erfindung des Jahrhunderts“, bereichert es doch ihr Leben in vielerlei Hinsicht.
Dieser Artikel erinnert mich an ein wunderschönes großes Foto von einem mit Diamanten verzierten Rollator auf dem Titelblatt zu „ZEIT ZUM ENTDECKEN“ (Magazin „DIE ZEIT“ Nr. 13 v. 23.3.17) Diese Abbildung mit der stimulierenden Aufforderung „Let´ s roll!“ wirkte auf mich wie eine besonders gelungene Hommage an dieses immer beliebter werdende Vehikel, vor allem an seinen Erfinder.
In der Tat begegnet man immer mehr Menschen, die mit diesen Geräten unterwegs sind, sich damit fortbewegen, sie zum Einkaufen nutzen oder sich darauf ausruhen. Sie müssten wahrscheinlich alle zu Hause bleiben, wenn es diese tolle Gehhilfe nicht gäbe.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Gottbrath
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