Falsche Helden: No risk, no fun?
Riskantes Verhalten gilt viel zu oft als sportlich. Bis einer tot ist
Tim Wegener
07.04.2017

Am 27. Februar hat das Berliner Landgericht zwei Raser wegen Mordes verurteilt. Ein Jahr zuvor hatten sich die beiden ein Straßenrennen auf dem Kurfürstendamm geliefert und dabei einen 69-Jährigen getötet. In der Urteilsbegründung heißt es: Sie handelten mit „bedingtem Vorsatz“ und nutzten das Auto als „gemeingefährliches Mittel“. Sie wollten zwar nicht töten, es war ihnen aber bewusst – und offenbar egal –, dass ein Unbeteiligter sterben könnte. Sie gingen dieses Risiko ein: für den Adrenalinkick. Für ihre Anerkennung.

Sehr viele Menschen halten das Mordurteil für angemessen. Wer aber selbst kurz vor dem Ortsschild aufs Gas drückt und mit 81 km/h innerorts geblitzt wird, ärgert sich, dass er dafür 160 Euro zahlen muss, zwei Punkte in Flensburg und einen Monat Fahrverbot erhält. Aus der eigenen Perspektive hat man immer alles unter Kontrolle – bis es eben schiefgeht. Raser ignorieren das Risiko, andere Verkehrsteilnehmer durch ihr Verhalten zu schädigen, oder sie nehmen es in Kauf, sogar den Tod anderer Menschen. Das liegt auch an einem falschen Verständnis von Wagemut. Risikofreudige Menschen werden viel zu häufig bewundert, auch wenn sie einfach nur leichtsinnig handeln. Schärfere Gesetze allein ­helfen nicht, wenn Raser mit Videos von waghalsigen Überholmanövern Hunderttausende Klicks auf Youtube erreichen und die meisten Zuschauer ihnen applau­dieren und sie so anspornen.

Wer etwas riskiert und damit Erfolg hat, gilt häufig als Held. Seien es Investmentbänker, die mit Milliardensummen spekulieren, oder „Roofer“, die unge­sichert auf Kirchtürme und Wolkenkratzer klettern. Wer dabei horrende Summen verzockt oder beim ­Kraxeln abstürzt, hatte Pech, heißt es dann oft. Doch Helden sind Menschen, die im richtigen Moment überlegt handeln und keine irrsinnigen Situa­tionen provozieren, aus denen sie dann zufällig wieder heil herauskommen. Das Berliner Urteil ist eine Warnung an alle Autofahrer. Mit 250 km/h über die Autobahn oder mit 85 km/h durch die Ortschaft zu heizen, ist nicht zeitsparend, sondern idiotisch. Jeder darf sein Leben aufs Spiel setzen, aber nur, solange er sicher sein kann, dass er kein anderes gefährdet. Und wir sollten uns genau überlegen, wen wir wofür verehren.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.