Rilkes "Abend" von Lisa Fernges
Tim Wegner
17.11.2016

Advent klingt nach Kerzenlicht, langen, gemütlichen Abenden und Zeit zum Nachdenken, aber dann kommt einem doch oft der Vorweihnachtsstress dazwischen. Trotzdem versuche ich gerade jetzt, für kurze Momente aus dem Kleinklein des Alltags herauszukommen und wieder einen Sinn für das große Ganze zu erlangen. Das geht für mich immer gut mit Gedichten. Zum Beispiel mit diesem hier von Rainer Maria Rilke:

 


 

 

Abend

Der Abend wechselt langsam die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält; 
du schaust: und von dir scheiden sich die Länder, 
ein himmelfahrendes und eins, das fällt; 

und lassen dich, zu keinem ganz gehörend, 
nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt, 
nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend 
wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt - 

und lassen dir (unsäglich zu entwirrn) 
dein Leben bang und riesenhaft und reifend, 
so daß es, bald begrenzt und bald begreifend, 
abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.

Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)

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