Freitagabend am Stockholmer Hauptbahnhof. Ich bin für drei Stunden mit einer Kollegin in der Empfangszone für die ankommenden Flüchtlinge eingeteilt. Wir verteilen keine Bananen und Wasserflaschen. Unsere Aufgabe: einfach da sein, herumgehen und als Geistliche erkennbar sein. Wir sprechen mit den patrouillierenden Polizisten, besuchen die Stände vom Roten Kreuz, der ehrenamtlich arbeitenden Ärzte und Juristen sowie der staatlichen Behörde, bei der die Flüchtlinge sich registrieren und ihren Asylantrag stellen können.
###autor###Eine Gruppe junger Syrer kommt an Gleis 19 an. Ein arabischsprachiger Student, der seit Wochen hier hilft, übersetzt für sie. Wir sind dabei, als die Gruppe sich registriert. Fragen und Antworten auf Arabisch gehen hin und her, ruhig und freundlich. Papiere werden gezeigt. Dann können die jungen Leute mit einem Auto zur ersten Unterkunft gebracht werden. Erleichterung ist in ihren müden Gesichtern zu lesen.
Als Kirche in dieser Situation Präsenz zu zeigen, wie soll das genau aussehen? Kein Gottesdienst, kein Bibelgespräch, keine explizite Seelsorge – es ist eine ungewohnte Situation. Ich sehe uns als Repräsentanten der Zivilgesellschaft, Zeugen, Beobachter, Begleiter – der Ankömmlinge und der Helfer. Deren besonnene Professionalität bewundere ich. Besonders, weil ich weiß, dass nicht alle Schweden so ticken.
So etwas wie Pegida gibt es hier nicht. Aber in den letzten zwölf Monaten sind über 40 Brände in Flüchtlingsunterkünften gelegt worden. Die Rechtspartei Sverigedemokraterna hatte in der Reichstagswahl 2014 mit 12,9 Prozent ihr vorheriges Ergebnis verdoppelt. Seit Anfang Januar verlangt Schweden Identitätspapiere zur Einreise, die ein Großteil der Flüchtlinge nicht hat. Umso dankbarer bin ich für die Offenheit, die ich hier am Hauptbahnhof erlebe.