Kanthali Phommachan (links) und ihre Kollegin Phone suchen den Boden mit einem Metalldetektor ab.
Marcel Klovert
Die Bombensprengerin
Feuer machen, Feld pflügen, Holz hacken: In Laos setzen Menschen bei solcher Arbeit ihr Leben aufs Spiel. Millionen Blindgänger lauern im Boden, seit die USA das Land vor 50 Jahren bombardierten. Kanthali Phommachan räumt auf. Sie sucht und zerstört Streubomben
Marcel KlovertFoto: Marcel Klovert
12.05.2015

Manchmal muss sie die Bomben in die bloßen Hände nehmen. Sie trägt sie behutsam wie rohe Eier aus dem Dorf hinaus, um sie auf dem Feld zu sprengen. Dort verletzen sie niemanden. Kanthali Phommachan weiß: Wenn sie stolpert, wird sie zerfetzt. „In solchen Momenten“, sagt die 37-Jährige und dreifache Mutter, „bin ich ein bisschen nervös.“

Kanthali Phommachan

###drp|fE__K_8rQHp3eukwE0d5pfJQ00098700|i-40|Marcel Klovert|### Kanthali Phommachan ist 37 Jahre alt und arbeitet seit 16 Jahre bei UXO Lao.

Kanthali Phommachan ist in ihrem Hauptberuf Bombensucherin. Sie lebt in Laos, das den traurigen Rekord hält, pro Einwohner das am meisten bombardierte Land der Welt zu sein. In den sechziger und siebziger Jahren warf die Luftwaffe der USA mehr als zwei Millionen Tonnen Sprengstoff auf den südostasiatischen Staat. Durchschnittlich eine Flugzeug­ladung alle acht Minuten, neun Jahre lang. Mehr Bomben als im ganzen Zweiten Weltkrieg auf Europa fielen.

Blindgänger lauern in nahezu allen 17 Provinzen des Landes. Sie liegen unter der Erde, in Seen, zwischen Bambushalmen und Wurzeln. Heute arbeitet Kanthali in einem Reisfeld. Drei Männer, vier Frauen, das ist ihr Team. Die Uniformen der Bombensucher sind beige wie das Reisstroh, das unter ihren Stiefeln raschelt.

„287 Bombies haben wir hier gefunden.“ Bunsong Ounthajuk, 41, zeigt auf die roten Punkte, die die Karte in seinem Notizbuch wie Masernflecken entstellen. Er leitet das Team 2 der Kampfmittelbeseitigungsbe­hörde UXO Lao, Provinz Xieng Khouang.

287 Blindgänger auf einer Fläche so groß wie dreieinhalb Fußballfelder. Bunsong sagt: „Das ist normal hier.“ Der Nordosten hat im Krieg viel abbekommen.

Die amerikanischen Piloten warfen Streubomben. Sie waren gefüllt mit faustgroßen Kugeln, die die Laoten Bombies nennen. 270 Millionen Stück, jede dritte explodierte damals nicht. Dafür gehen sie jetzt hoch, wenn Bauern versehentlich mit ihrer Hacke draufschlagen oder wenn Kinder damit spielen. Die Explosion reißt Gliedmaßen ab, Metallsplitter bohren sich in Augen und Haut.

Kanthali und ihre jüngere Kollegin Phone fahren mit einem Metalldetektor über den von der Trockenheit aufgerisse­nen Boden. Das Gerät, ein Rechteck aus gelben Rohren, heult alle paar Meter auf. Hinter ihnen geht Bounsot, die ihre Hände in rosafarbenen Strickhandschuhen vor der Sonne versteckt, auf jedem Handschuh ein oranges Bärchen aus Filz. Phone trägt roten Nagellack, Kanthali einen goldenen Ring. Ansonsten ist ihr Outfit von dem der Männer nicht zu unterscheiden: Cargohosen, Kragenhemden, Hüte mit breiten Krempen.

Bomben auf Laos - weniger Papierkram, weniger Risiko

Über die weiblichen Details schmunzeln höchstens Besucher. „Männer oder Frauen, das ist mir egal, alle arbeiten gleich vorsichtig“, sagt Bunsong, seit elf Jahren Teamleiter. Das Lächeln fällt ihm nicht leicht. Er zieht seine buschigen Augenbrauen zusammen und starrt aufs gleißend helle Feld.

Laos

###drp|MbZwp4riG_DsAiak878c9i1V00102216|i-40||### Die US-Bomber flogen von ihrem Stützpunkt in Thailand nach Vietnam. Bei abgebrochenen Einstätzen warfen manche US-Piloten Bomben über Laos ab - Secondary Targets. Weniger Papierkram, weniger Risiko.

Laotische Kommunisten kontrollierten in den sechziger Jahren die Provinzen Xieng Khouang und Houaphan im Nordosten. Außerdem liefen die Versorgungswege der Vietcong-Kämpfer aus dem benachbarten Vietnam bis in den Süden von Laos. 1964 begannen die USA in einer geheimen Operation, Laos zu bombardieren, ohne dem Land den Krieg erklärt zu haben.

Bounsot führt einen zweiten Metalldetektor, einen Stab, über die Stelle, die Kanthali und Phone gefunden haben. Dann bricht sie mit einem schmalen Spaten die Erde auf. Nie dort, wo der Detektor aufheult, sondern knapp daneben. Sie gräbt sich an die Blindgänger heran, wortlos, langsam, vorsichtig, vor allem vorsichtig. Diesmal ist es nur ein Stück Metallschrott.

Wenn Einsätze in Vietnam abgebrochen werden mussten, warfen manche US-Piloten ihre Ladung lieber über Laos ab, als mit ihr zurück zum Stützpunkt in Thailand zu fliegen. Secondary Targets. Weniger Papierkram, weniger Risiko.

Kanthalis schlanke Finger verbinden zwei Kabel mit dem Zündkasten. Ihr Chef brüllt eine Warnung ins Megafon. In der Ferne bellt ein Hund, der Wind rauscht in den Ohren. Die Bombensucher haben sich hinter Kanthali versammelt. „Nueng, song, sam“, brüllt Bunsong. Eins, zwei, drei, Kanthali drückt auf FIRE. Wumm! Der Boden zittert, schwarzer, dicker Rauch steigt aus dem Feld.

In dieser Gegend kennt jeder jemanden, der von Bombies verletzt oder getötet ­wurde. „Meine Cousine war acht Jahre alt, sie grub im Garten“, sagt Kanthali. „Die Explosion verbrannte ihren Oberkörper.“ Die Cousine hatte Glück, sie überlebte.

Wie der 39-jährige Bauer Chor Vang, der mit seiner Familie und Freunden an einem freien Tag zum Fischen ging. Sie machten am Ufer ein Feuer. Sie wussten nicht, dass in der Erde darunter ein Bombie lag. Das Feuer brannte eine Stunde, dann flog der Bombie in die Luft. Chor Vang verlor ein Auge.

Der 15-jährige Xeng Thor aus dem Bezirk Pek verlor seinen kleinen Bruder. Sie gruben im Garten Heilkräuter aus.

Kein Ende in Sicht

UXO heißen die Blindgänger hier: Unexploded Ordnance. Seit der Krieg vorbei ist, haben UXO in Laos etwa 20 000 Menschen getötet oder verletzt. Lange kamen jährlich rund 300 neue Opfer hinzu. „Wenn du hier leben willst, musst du mit den Bomben leben“, sagt Kanthali mit ihrer sanften Stimme. Es klingt resigniert, doch ihre Arbeit bewirkt etwas: Dank besserer Aufklärung und Kampfmittelbe­seitigung kommt es seit 2012 zu weniger als 50 Unfällen pro Jahr.

Der Rauch hat sich verzogen. Team­leiter Bunsong stapft allein in die flimmernde Hitze fort, das Funkgerät am Gürtel. Nachschauen, ob alle fünf Bombies zerstört sind. 2004 kam ein Teamleiter auf diese Weise um. Niemand hatte den zweiten Blindgänger bemerkt, der unter dem ersten lag und etwas später detonierte.

Als die Amerikaner täglich Angriffe ­flogen, versteckten sich viele Laoten im Wald. Sie lebten jahrelang in Höhlen und Erdlöchern und bestellten ihre Felder nachts, wenn es keine Bomben regnete. Auch Kanthalis Eltern lebten so.

Entschärft

###drp|8ppxET1LXfxYlOgZO0rEsgb000098701|i-40|Marcel Klovert|### Teamleiter Bunsong Ounthajuk zeigt auf einer Karte, wo die einzelnen Bombies gefunden wurden.

Die Bewohner des Dorfes Yod Gnum nahe der Stadt Phonsavan flohen nach Vietnam. Erst in den neunziger Jahren kehrten sie zurück. Jetzt grasen wieder Wasserbüffel in der trockenen Ebene, Zäune aus Ästen umringen Holzhütten, die an einer staubigen Straße stehen. Team 2 kommt seit einem Monat jeden Tag hierher, damit die Bauern bald pflügen können, ohne um ihr Leben zu bangen. Noch einen Monat, dann sollen 50 395 Quadratmeter bombenfrei sein.

UXO Lao ist in neun Provinzen ­aktiv. Weitere kommerzielle und gemein­nützige Organisationen beteiligen sich an der Aufräumarbeit. Im Jahr 2013 zerstörten sie zusammen 40 300 Bombies und säuberten 6927 Hektar Land. Doch das ist nur ein Bruchteil der kontaminierten Fläche. „Wenn wir so weiter­machen, brauchen wir noch mehr als hundert Jahre“, sagt Phone.

Team 2 macht im Schatten einer Plane Pause. Kanthali und Phone hocken auf Balken, Krankenschwester Vansalong hat sich auf einen Holzklotz gesetzt, Bounsot daneben auf den Boden. Sie alle haben ein achtwöchiges Training hinter sich, ­arbeiten seit Jahren zusammen und reden sich mit Vornamen an. „Wir sind wie eine Familie“, sagt Kanthali. Ihr Chef lächelt nicht, aber er nickt.

Tagsüber Bombenentschärferin, abends Hausfrau und Mutter

Kanthali gehört zu den Älteren, sie macht den Job seit 16 Jahren. Sie hat drei Söhne, ihr ältester ist 15. Drei Monate nach den Geburten fuhr sie wieder raus aufs Land, um Bomben zu sprengen. Ihre Babys blieben bei einer Tagesmutter. „Manche Leute sagen, dass ich eine verantwortungslose Mutter bin“, sagt sie. „Aber ich mag meinen Job.“ Er bringt der stillen, fast schüchternen Frau Respekt ein. Und manchmal machen Dörfler ihr Geschenke. Meistens Lebensmittel, weil sie so dankbar sind.

Laos ist eins der ärmsten Länder der Welt, gut jeder fünfte Laote lebt in extremer Armut. Rund drei Viertel arbeiten in der Landwirtschaft, die meis­ten als Reisbauern. Nicht immer reicht das Einkommen aus der Ernte übers ganze Jahr. Deshalb sammeln manche Bauern Metallschrott und verkaufen ihn für umgerechnet 12 bis 24 Cent pro Kilo. Vor eini­gen Jahren waren die Metallpreise höher. Prompt stieg auch die Zahl der Menschen, die starben, weil sie mit Blindgängern hantierten.

40 Jahre lang im Boden

###drp|z9fq82fCGYszdxO2ycgw21xX00098695|i-40|Marcel Klovert|### Eine Auswahl der Sprengkörper, die in Laos  verstreut liegen, sind in einer Vitrine von UXO Lao in Phonsavan ausgestellt.

Kanthali hat schon so oft den Zündknopf gedrückt, dass sie nichts mehr spürt, wenn die Bombies in die Luft gehen. Erst wenn sie die aufgerissenen Erdsäcke sieht, die sie auf die Löcher gelegt haben, damit die Bombenteile nicht weit fliegen, wenn sie sich versichert hat, dass die Bomben keinen Schaden mehr anrichten können, „dann bin ich froh“, sagt sie.

Die Blindgänger behindern den Fortschritt. Bauern trauen sich nicht, neue Ackerflächen zu erschließen. Und erst seit zehn Jahren sind die bekanntesten Stätten in der Ebene der Tonkrüge vom Kriegsschrott befreit. Seither können Touristen die uralten Steinkrüge unweit der Provinzhauptstadt Phonsavan sorglos besichtigen.

Kanthali und ihr Team haben heute 19 Bombies unschädlich gemacht. Es ist Abend, Kanthali hockt in ihrer Küche vor einem Holzfeuer. Im Wok brutzelt Schweine­fleisch. Kanthali trägt einen dunklen laotischen Sarong, ein gelbes Langarmshirt und pinke Schlappen aus Gummi. Flink zupft sie Bohnen aus dem Garten. Weg sind Krempenhut und Uniform. Nach Feierabend erfüllt Kanthali ihre Rolle als Hausfrau und Mutter.

Kanthali muss nicht fürchten, dass unter ihrer Kochstelle ein Blindgänger in der Erde liegen könnte, der eines Tages ihr Leben zerstört. Sie kann auch sorglos im Garten arbeiten. Ihr Team hat das Dorf Yon, in dem sie lebt, vor drei Jahren selbst dekontaminiert. „Ich fühle mich hier sicher“, sagt sie.

"Es war eben Krieg"

Die Autorin und der Fotograph

###drp|PQFy8NQHig4LlpYUVyVrm1Gw00082653|i-40||Heike Klovert###Heike Klovert, 33, war mit Familie unterwegs. Das Team von UXO Lao kümmerte sich gut um den eineinhalbjährigen Tom und sorgte dafür, dass die Kleinfamilie auf Asienreise nicht in Gefahr geriet. ###drp|rhdUtM8NeP2mvoXFt1zw3E-h00082638|i-38||Marcel Klovert### Marcel Klovert, 46, staunte, dass die Laoten kaum Groll hegen, obwohl sie immer noch unter den Kriegsfolgen leiden. Wo sich die beiden gerade aufhalten können Sie auf ihrer Homepage nachverfolgen. Dort finden Sie außerdem weitere Reportagen des Journalisten-Ehepaares.

Seit den neunziger Jahren helfen die USA den Laoten, den amerikanischen Kriegsmüll loszuwerden. Im vergangenen Jahr zahlte Amerika zwölf Millionen US-Dollar für Kampfmittelbeseitigung und Aufklärung. Die kommunistische Pathet Lao, die die CIA hatte auslöschen wollen, überstand die jahrelange Bombardierung in Höhlen und übernahm nach Kriegs­ende die Macht. Ihre politischen Nachfolger regieren das Land bis heute.

Kanthali räumt die Teller weg, wischt den Reiskocher ab, fegt Krümel vom Boden. Ihre zwei Jüngsten schauen in der Küche amerikanische Cartoons auf einem kleinen Röhrenfernseher. Zwei Hundewelpen lugen durch die Tür zum Garten. Kanthali verdient im Monat 300 US-Dollar, weil sie so lange dabei ist. Anfänger bekommen weniger. Morgen steht sie wieder um fünf auf. Gräbt wie an fast jedem Tag in der Hitze behutsam Löcher auf dem Feld. „Damit meine Kinder studieren können und einen besseren Job finden“, sagt sie.

Kanthali macht ihre Arbeit ohne Hass und meistens ohne Angst. Sie ist ein ausgeglichener Mensch, Gefühle spiegeln sich selten in ihrem ebenmäßigen Gesicht.

Sie sagt es leise, widerstrebend, als würde sie es lieber für sich behalten: „Ich bin ein bisschen sauer auf die USA.“ Und fügt dann schnell hinzu: „Doch es war eben Krieg.“

Im August 2010 trat ein Übereinkommen in Kraft, das den Einsatz von Streumunition verbietet. Mehr als hundert Staaten haben den Vertrag unterschrieben. Die größten Produzenten von Streubomben sind nicht dabei: China, Russland, Indien, Brasilien – und die USA.

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