###autor###Montag ist Pfarrer-Sonntag. Diesen verbringe ich gerne in den Londoner Museen. Sie sind meine Oase in der lärmigen, hektischen, kräftezehrenden Großstadt. Gestern wagte ich mich in der Tate Modern in die mir komplett unbekannte Welt der Künstlerin Agnes Martin. Eine US-Amerikanerin, die unter Schizophrenie litt und Jahrzehnte als Einsiedlerin in der Wüste New Mexicos lebte. Sie zeichnete Linien und Quadrate auf überdimensionale Leinwände, weiß, grau, pastellfarben, immer und immer wieder, bis zu ihrem Tod vor zehn Jahren.
Diese Bilder waren wie eine warme Dusche für meine Augen, wunderbar beruhigend, fast meditativ. Alles war plötzlich so geordnet und klar. Ich drehte gleich noch eine zweite Runde.
Mich fasziniert, dass fast alle Kunstausstellungen, die ich hier besuche, einen expliziten oder impliziten Bezug zu Religion und Spiritualität haben. Die Performance-Künstlerin Marina Abramovic hat das vor einiger Zeit mit ihrer Ausstellung „512 hours“ in der Londoner Serpentine Gallery auf die Spitze getrieben. Die Hauptstädter pilgerten regelrecht zu ihr. Auch ich wollte mir das nicht entgehen lassen.
Nach drei Stunden Warten in der Schlange wurden wir endlich in die heiligen Hallen vorgelassen, einen fast leeren Pavillon, in dem es eigenartig spirituell zuging. Wildfremde Menschen gaben einander, auf einem großen Holzkreuz stehend, die Hand, andere warteten gespannt auf die Anwesenheit der Erlös . . . äh . . . Künstlerin, wieder andere trennten in stundenlanger Sisyphusarbeit Reiskörner von Erbsen. Die Kunstgalerie als Tempelersatz? Für viele Londoner ist sie das offenbar.