Martin Luther, Namensgeber unserer von deutschen Auswanderern gegründeten Gemeinde, ist vielen bei uns kein Begriff. Das hat auch damit zu tun: Der Großraum Toronto ist an kultureller und sprachlicher Vielfalt kaum zu überbieten. In der Klasse unserer Tochter sprechen nur vier Mitschüler zu Hause Englisch. Bei den anderen redet man Hindi, Urdu, Mandarin, Tschechisch oder eben Deutsch.
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Zum Reformationsjubiläum entschieden wir uns, Luther unter die Leute zu bringen. Wir kauften einen „Lutherbotschafter“, eine Statue, die die Gemeindemitglieder seitdem reihum für jeweils eine Woche mitnehmen. Ihre Aufgabe: „Nimm ihn mit zur Arbeit, ins Fitnessstudio, zum Ausflug mit Freunden. Stell ihn jemandem vor, der ihn noch nicht kennt.“
Bei einer jungen Familie fuhr Luther im Polizeiwagen mit – die Patentante arbeitet beim Toronto Police Department. Und ging mit dem Vater zum Unterricht in die Gehörlosenschule. Am Ende standen die Schüler Schlange zum „Selfie mit Martin“.
Oft werden wir gefragt, ob er mit Martin Luther King verwandt ist. Ich antworte dann meist: „Nein, aber auch er wollte etwas verändern in der Welt.“ Und schon ist eine Diskussion in Gange über Gnade und Freiheit. Angesichts der drängenden Flüchtlingsfrage sind das auch in Kanada hochaktuelle Themen. Unter der konservativen Regierung von Stephen Harper stehen die Weite des Landes und die restriktive Einwanderungspolitik in merkwürdigem Gegensatz zueinander. Am 19. Oktober wird nun ein neues Parlament gewählt, und viele hoffen auf einen Wechsel und dass Kanada wieder zu mehr Offenheit und Verantwortung zurückfindet und Flüchtlingen schneller hilft.
Martin Luther als "bad boy"
Neulich wurde Luther zur Jahrespressekonferenz von Tourismus Deutschland eingeladen. Ich klemmte mir die Statue unter den Arm und machte mich auf den Weg zum Restaurant. Kaum hatten wir ein Glas Rotwein vor uns, prostete Mr. Dobson, ein Reiseblogger, dem Reformator zu. Schnell noch ein Selfie und wenig später folgte der Tweet: „Wine sips last night with Reformation bad boy Martin Luther.“ (Ein Schluck Wein letzte Nacht mit dem bösen Buben der Reformation, Martin Luther.) Ob Luther wirklich der „bad boy“ ist, wird beim nächsten Glas zu klären sein. Aber eins ist sicher: Der Dialog ist eröffnet.