Iwan Bilatschenko, 88, steht strahlend vor seinem Häuschen in einer obstbaumgesäumten Straße im ukrainischen Tscherkassy. Er habe mehrere Leben gehabt, sagt er, so oft war er bedroht. Als er sieben war, herrschte der Holodomor, die furchtbare Hungersnot wegen stalinistischer Zwangskollektivierung und Missernten. Zuletzt aß die Familie Gras. Der Vater verhungerte. Als Iwan 15 war, kamen die Deutschen und verlangten, dass sich alle Juden und Zigeuner melden. Die halbjüdische Nachbarsfamilie wurde erschossen, die Roma aus dem nächsten Dorf ebenso. Iwans Familie war eine sesshafte Romafamilie mit Arbeit in der Kolchose. Die Mutter gab dem Starost (Landrat) Gold, damit er sie nicht meldet.
Danke, Viktor!
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Vor 70 Jahren gab sich das faschistische Deutschland endlich geschlagen. Das Kriegsende war nicht schön für die meisten Deutschen. Und es war eine Befreiung, für die die Soldaten der Roten Armee einen hohen Preis zahlten. Zum Artikel.
Jede Nacht die Angst, wie lange dem Starost das Gold reicht. 1943 zeigte ein Deutscher den Starost an: Er schütze Roma. Iwan, die Schwestern und die Mutter saßen zusammen und warteten auf den Tod. Doch den Deutschen blieb keine Zeit mehr für Erschießungen, die Rote Armee rückte näher. Sie raubten der Mutter noch den Samowar und die einzige Kuh, dann war zwei Tage eine unheimliche Stille im Dorf. Bis die Rote Armee einmarschierte – und Iwan an die Front nach Weißrussland schickte.
Nach drei Monaten Ausbildung wurde er 1944 Unterleutnant, mit nicht mal 18. Bei Witebsk sollte er eine Gruppe mit drei Geschützen leiten. „Da kamen 18 deutsche Panzer auf uns zu. Und wir durften nicht schießen, bevor die Panzer nicht ganz nah waren. Wir hatten schreckliche Angst. Aber dann haben wir neun Panzer in Brand geschossen, die anderen neun drehten um.“ Er bekreuzigt sich.
Manchmal zittert Iwan Bilatschenko, manchmal hat er Absencen. An der Front im Baltikum quetschte die Druckwelle einer explodierenden Granate seinen Kopf. Immer wieder verlor er deswegen seine Arbeit – mal als Ziegeleileiter, mal als Kantinenchef. Aber jetzt lächelt er aus blauen Augen und sagt: „Ich habe oft einfach Glück gehabt.“ Auf dieses Glück will er nun mit mehreren Gläschen Cognac anstoßen. Nur eins wünscht er sich noch: Frieden für die Ukraine. Dass die jungen Menschen nicht wieder in den Tod geschickt werden.