Luftschlangen ergeben den Schriftzug "let's pray"
Lisa Reinermann
Die Gretchenfrage stellen
Es kommt eben darauf an, wie darüber gesprochen wird
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
25.02.2015

„Hat noch jemand anderes das Bedürfnis zu beten?“ Ein junger Mann baut sich feixend vor einem Kollegen auf, der sich in der Betriebskantine übers Tablett beugt, die Hände faltet und leise ein Tischgebet spricht. Stille breitet sich aus. Der Scherz ging voll daneben.

Trotzdem weist niemand den vorlauten Kollegen in der Betriebskantine zurecht. Denn kommt das Gespräch auf die Reli­gion, muss man vielleicht selbst ein Bekenntnis ablegen. Da will keiner Stellung beziehen und Gefahr laufen, mit unfertigen Gedanken selbst als Depp dazustehen.

„Warum rauchst du?“ Der als Fundamentalist verschriene Schüler spricht jeden Jugendlichen draußen vorm Schulgelände einzeln an: „Weißt du nicht, dass dein Körper ein Tempel des Herrn ist?“ Könnte peinlich wirken, so eine Anmache, wären die anderen sie nicht längst gewohnt. Sie machen sich über den unbeholfenen Mitschüler lustig und versuchen sogar, ihm eine Zigarette aufzuschwatzen.

Die Statistik sagt: Über Glauben sprechen wir nur mit vertrauten Menschen. Ist es etwa peinlich, über Religion zu sprechen? Pastor Henning Kiene vom Kirchenamt der EKD erklärt, warum es schwer ist, über das zu sprechen, was einen bewegt.

„Meiner Meinung nach ist es peinlich, über Religion zu sprechen.“ – „Falsch!“, fanden vier Fünftel der rund 1650 Neunt- und Zehntklässler, die 2006 in Hamburg und Nordrhein-Westfalen befragt wurden, Schüler aller Schularten. Etwa 15 Prozent waren unschlüssig, wie sie die Aussage finden sollten, kaum fünf Prozent stimmten ihr zu. Umgekehrt fanden zwei Drittel Gespräche über Religion interessant, „weil Menschen verschiedene Ansichten haben“. Lehrer hatten die Fragebögen für eine europaweite Studie im Unterricht ausgeteilt. Vermutlich dachten die Schüler vor allem an Unterrichtsgespräche über die Religion, als sie die Bögen ausfüllten.

Haben Sie religiöse Fragen?

Schreiben Sie (bitte mit vollständiger Anschrift) an: chrismon, Stichwort: Religion für Einsteiger, Postfach 50 05 50, 60394 Frankfurt am Main, oder per E-Mail: religion-fuer-einsteiger@chrismon.de.

Wer peinlich berührt ist, spürt ein heftiges Unbehagen. Ihn quält eine Unzulänglichkeit, die er bei einem anderen Menschen wahrzunehmen meint. Sie quält ihn aber nur, solange er etwas von sich selbst im anderen wiederfindet, das er nicht ertragen kann. Etwas, wovon er sich distanzieren möchte: ein ähnliches Verhaltensmuster, eine selbst erlebte Situation, vergleichbare Gedanken. Fremdschämen nennt man das daher auch.

Gespräche über Gott erscheinen manchem unpassend – zumindest in der Öffentlichkeit. Was denken Passanten, wenn sie aus meinem Gespräch Wortfetzen wie „Gott“ und „Jesus“ aufschnappen? Ich stünde möglicherweise in einer Ecke mit selbstgerechten Fernsehpredigern und aufdringlichen Evangelisten aus der Fußgängerzone.

Oft heißt es auch, Religion sei Privat­sache. Es sei übergriffig, andere mit religiösen Gesprächen zu behelligen. Vielleicht, weil Bekenntnisse polarisieren. Vielleicht aber auch, weil sich viele Menschen in ­religiösen Fragen einfach nur unsicher sind und Angst haben, sich zu blamieren. Doch sobald man sich in einem geschützten Rahmen befindet, wird das Gespräch über Gott und die Religion wieder interessant.

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Vieles kann bei religiösen Gesprächen schieflaufen. Wenn jemand fordernd auftritt: „Gott will, dass du eine persönliche Beziehung zu ihm hast.“ Was soll man dazu sagen? Wer nicht zustimmt, lässt sich auf einen Schlagabtausch mit starren Positionen ein, oder er antwortet gar nicht erst.

Wer dagegen offen und sachlich bleibt, hat mehr davon. „Für mich ist die Spiritualität wichtig“, sagt eine Katholikin. Ihr protestantisches Gegenüber kann damit vielleicht nichts anfangen. Die Frau erzählt von Exerzitien und von Pilgerfahrten, an denen sie regelmäßig teilnehme. Der Protestant kommt am nächsten Sonntag mit zur Messe. Ihm fällt auf, wie anders er auf die Liturgie reagiert und überlegt nun mit seiner Bekannten, woran das wohl liegt.

Ein anderes Mal entspinnt sich am Abendbrottisch mit Gästen eine Debatte, ob historisch-kritische Exegese auch im Koran möglich sei. Einer spekuliert schließlich, die Suren seien in einem Guss geschrieben, die Bibel hätten Generationen von Gelehrten immer wieder überarbeitet. Die anderen ­akzeptieren dies vorerst als Erklärung dafür, dass historische Koran­exegese zumindest schwieriger sei. – Nein, Gespräche über die Religion sind alles andere als peinlich. Man sollte viel öfter darüber reden.

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... meiner Meinung nach müßte man über die Frage sprechen:
Ist es peinlich, über seinen Glauben zu sprechen?
Denn über Religion zu sprechen, da ist doch nichts dran, das kann ein reines Sachgespräch sein, man muß nichts persönliches einfließen lassen. Auch ungläubige Menschen sind oft neugierig, was das mit Religion so auf sich hat.
Über seinen eigenen Glauben zu sprechen, das ist eine ganz andere Sache.
Als ich noch nicht geglaubt hatte, fand ich solche Gespräche tatsächlich irgendwie peinlich, da ich es einfach nicht nachvollziehen konnte. Andererseits habe ich mir schon die Überzeugung und Freude gewünscht, die dahinter steht. Glücklicherweise habe ich "es" nun auch gefunden, und nun kann ich genauso unpeinlich über meinen Glauben sprechen wie andere.

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Eine solche Diskussion ist unüblich. Auch ist es eine Frage des Gegenübers. Peinlich wird es nur für den, der dann so fühlt.

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Es gibt keinen jenseitigen Gott. Die Natur (bzw. das Leben) ist Gott. Und es gibt Dinge in der Natur, die dem Menschen ewig verborgen sind (wer an solche Dinge glaubt, ist dadurch religiös). Gott ist nicht auf die Weise allmächtig, dass er z. B. einen unbelehrbaren Raucher, der Lungenkrebs bekommt, heilen kann. Der Mensch (und die Welt) wurde nicht "erschaffen", sondern existiert von Natur aus (und seit ewig).
Das Beten ist sinnlos. Ein Mensch muss seine Willenskraft und seine Liebe vergrößern. Und sich in jeder Hinsicht maximal weiterentwickeln. Und sich dann mit mystischen Erfahrungen und mit Geistheilung (z. B. Traumdeutung) beschäftigen.
Die Kirche sollte die Dinge in den Vordergrund stellen, die dem Menschen wirklich helfen. Z. B. Wunderheilungen, die Priesterseelsorge, Kampf gegen den Wertezerfall, usw. Hingegen sollten Gottesdienste in Kirchen eine immer geringere Rolle spielen.

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Über Religion lässt es sich vortrefflich streiten; denn jede Religion ist ein "menschlicher Apparat zur Herstellung und Ordnung der Beziehung zu Gott."
(gem. Karl Barth)

Jeder große Religionsgründer hat die gleichen Gotteserfahrungen. Es kann gar nicht anders sein. Es kommt darauf an, auf welche kulturelle Projektionsleinwand die Gotteserfahrug abgestrahlt wurde. (sinngemäß nach Karlfried Graf Dürckheim)

Jede Religion zielt auf denselben Focus, nämlich auf Gott.
Gott lässt sich aber nicht mit dem menschlichen Verstand erfassen.

- Es wurden bilderreiche religiöse Legenden in die Welt gesetzt, damit alle Menschen im Machtbereich des damaligen Herrschers bildhafte Gottesvorstellungen und ebenso bildhafte Beschreibungen göttlichen Lebens erfuhren. So war z. B. das christliche Glaubensbekenntnis ein Garant für den Machtbereich des Kaisers im 4. Jhdt. -

Gott aber ist nicht definierbar, nicht personifizierbar und nicht verfügbar.

Gott ist das SEIN im Menschen und durch den Menschen in dieser Welt.

"Gespräche über Gott" finden in innerer Distanz des Sprechers zu Gott statt.
Von Gott sprechen ist sinnvoll.
Eine Gotteserfahrung ist nicht übertragbar, bestenfalls
beschreibbar.

Schweigen und Stille sein ist in dieser Hinsicht im Streitfall geboten.
"Seid stille und erkennet, dass iich Gott bin." (Ps 46, 11)

Deshalb sind "Gespräche über Religion ... alles andere als peinlich. Man sollte öfter darüber reden" (a. a. O. S. 73); denn alle Religionen haben den gleichen Ursprung,