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Gute Gefühle im Dom
Evangelisch zu sein, das ist in Skandinavien noch immer so verbreitet wie nirgendwo sonst. Aber Gottesdienste und Gebräuche kommen Besuchern oft „katholisch“ vor. In Uppsala sitzt eine aus Deutschland stammende Erzbischöfin, die erklären kann, warum
Lena Uphoff
12.10.2014

Und was machen wir nach dem Oktoberfest?“ Die deutsche Studentin auf dem Fußweg zur Mälardalen-Uni im schwedischen Västerås lächelt ihren Begleiter an und zuckt mit den Achseln: „Mhmm? In die Taco-Bar, zum Sushi, oder gehen wir in die Osteria neben dem Kongresszentrum?“ Globalisierung ist überall. Auch in der 150000-Einwohner-Stadt am Mälarsee, wo – knapp 100 Kilometer westlich von Stockholm – mit dem Maschinenbauer ABB und der Modekette H&M selbst zwei weltweit aktive Unternehmen sitzen. Taco, Sushi oder Pizza? Und, jawoll, Oktoberfest! Es ist wie in Augsburg, Kassel oder Kiel, wie in Verona, Pittsburgh oder Bratislava.

Nur die Kirche – die Kirche hier – ist und bleibt schwedisch. In Västerås hat vor fast 500 Jahren ­alles angefangen, als der junge König Gus­tav Wasa 1527 beim Reichstag anstelle des Papstes zum Oberhaupt der Kirche bestimmt wurde und alle kirchlichen Einkünfte an den Staat gingen. Im Laufe der folgenden Jahre schloss sich die schwedische Staatskirche dann der Reformation des Deutschen Martin Luther an. Die ­Brüder Olaus und Laurentius Petri (eigent­lich gut schwedisch: Ole und Lars Petter­son) nahmen Luthers Bibel und übersetzten sie in ihre Sprache. Man holte den Star der Buchdruckerkunst, Jürgen Richolff, aus Lübeck, der daraus einen Bestseller machte. Was wiederum Luther zu einem Glückwunschbrief veranlasste.

Antje Jackelén bereitet sich auf die Frühmesse vor, auch ein Messdiener ist dabei. Sie leitet als Erzbischöfin seit Juni 2014 die schwedische Kirche

„Wir sind evangelisch-lutherisch“, erklärt Antje Jackelén, Erzbischöfin von Uppsala und damit Chefin der fast sieben Millionen Mitglieder starken Gesamt­kirche, „aber in unseren Bräuchen und ­religiösen Symbolen unterscheiden wir uns teilweise kräftig von den deutschen Kirchen.“ Antje Jackelén weiß, wovon sie redet. Die 59-jährige Theologin stammt aus Witten-Herdecke, wechselte jedoch schon zu Studienzeiten nach Schweden, heiratete einen Kollegen und blieb. „Deutsche Gäs­te halten uns oft für katholisch. Wir sagen nicht Gottesdienst, bei uns heißt das Messe. Wir ordinieren keine Pastorinnen oder Pastoren. Wir weihen Priester – und natürlich Priesterinnen. Und die Liturgie der Messen, Wallfahrten oder die vielen Kerzen sind deutschen ­Protestanten eher fremd.“

"Die Säkularisierung ist unauf­haltsam."

Der Grund für diese kulturelle Differenz? Jackelén: „Die Evangelischen in Deutschland erlebten die Reformation als Kampf evangelischer Fürsten und Reichsstädte gegen römisch-katholische Nachbarn. Da ging es um Abgrenzung durch Anderssein. In Schweden gab es eine Reformation von oben für das gesamte Reich.“ König und Reichstag beschlossen: Rom und der Papst spielen keine Rolle mehr. Der König ist auch Oberhaupt der Kirche. Die Erzbischöfin: „Aber die normalen Gläubi­gen sollten in Städten und Dörfern ihren Glauben genau so leben können wie bisher – im Singen und Beten, an Ostern oder Weihnachten. Und so geschah es.“

Nicht viel anders vollzog der dänische und norwegische Nachbarkönig Chris­tian II. in seinem Reich die kirchliche Erneuerung im 16. Jahrhundert. „Theo­lo­gisch“, ergänzt die Erzbischöfin, „war indes der Draht nach Deutschland seit Luthers Zeiten ausgesprochen stark. Erst mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Nationalsozialismus veränderte sich dies. Seitdem pflegen die Skandinavier einen besonders engen Kontakt zur Kirche von England, der sie ja ebenfalls in Form und Geschichte ähneln.“

Im Alltag hat sich für und in den nord-europäischen Kirchen in der jüngsten Vergangenheit einiges verändert. Einer, der das ziemlich genau weiß, ist Ola Söderberg, Stiftspropst in Västerås, was so viel bedeutet wie Leiter des Landeskirchen­amtes. „Die Säkularisierung ist unauf­haltsam. Die Leute wissen nicht mehr so genau, was in der Bibel steht. Und sie sagen es einem auch ins Gesicht. Und dennoch finden sie Kirche wichtig, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.“ Bis 2000 war die Kirche Schwedens eine staatliche Behörde. Der Staat bezahlte die Angestellten und bestimmte die Bischöfe.

Vom Himmel hoch, da komm ich her - ist auch im Den Svenska Koralboken zu finden


Mit dem Ende dieser Einheit befürchteten nicht wenige in Schweden – und ganz ähnlich in den Nachbarländern – eine Austrittswelle größten Formats. Die Erzbischöfin: „Austrittswelle? Fehlanzeige. Wir verlieren zwar jährlich Mitglieder, aber nur in der Größenordnung von etwa einem Prozent.“ Ähnlich wie Ola Söderberg in Västerås erlebt es Jackelén in Uppsala: „Die Leute sagen mir, dass sie sich nicht sicher sind, ob sie an Gott glauben können.“ Aber: „Dann fügen sie hinzu, sie blieben dennoch in der Kirche. Die sei doch eigentlich eine sehr gute Sache. Sie tritt für die Armen und Schwachen ein.

"Gehen Sie mal in den Dom, da kommt man in eine gute Stimmung."

Und außerdem sei es bei Hochzeiten und Trauerfällen beruhigend, als Kirchen­mitglied liturgisch oder seelsorgerlich begleitet zu werden.“ So sind immer noch fast 70 Prozent der 9,7 Millionen Schweden in der evangelischen Kirche. Streifzug durch Uppsala auf den Spuren von Schwedens größtem Kirchenkritiker, dem Pfarrerssohn Ingmar Bergman. Hier, in der Stadt, in der er aufwuchs, drehte er seinen letzten Film, „Fanny und Alexan­der“. Und Bischof Vergérus, der strenge Stief­vater der beiden Kinder, soll das letzte Bild von Bergmans unglücklicher Beziehung zu seinem Vater sein. Nicht weit vom Dom liegen an der Straße Trädgårdsgatan das Haus, in dem Bergman, geboren 1918, aufwuchs, und das kleine Kino, in dem ihm seine Oma Åkerblom in den 20er Jahren die ersten Filmerlebnisse verschaffte. Die Straße quert das Herz der studentischen Szene rund um Schwedens älteste Uni­versität.

Und die jungen Leute, die singend von Lokal zu Lokal ziehen, bestätigen Erzbischöfin und Propst. Mia, 23, studiert Wirtschaft: „Kirche? Klar bin ich drin. Geh selten hin. Aber schau dir doch mal nur unseren Dom an. Und da wirkt jetzt eine Bischöfin. Und unsere homo­sexuellen Freunde Peer und Olaf wurden kirchlich getraut. Ist okay.“ Das Dutzend Jungs und Mädels quittiert raunend und kopfnickend: „Yes! Okay!“ Bergman? Kirchenkritiker?

Hier liegen Schwedens Wurzeln: die kleine Kirche in Gamla Uppsala und vorchristliche Grabhügel

Einer der Jungs hat Filme von ihm gesehen. Die anderen sagen, dessen Werke seien doch eher etwas für ältere Leute. „Da es die Kirche so nicht mehr gibt, so hart und herrschend“, meint Mia, „muss man sich auch mit solcher Kritik nicht mehr beschäftigen. Aber ehrlich: Gehen Sie mal in den Dom, da kommt man in eine gute Stimmung.“

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Die Darstellung der Reformation in Schweden ist doch sehr verkürzt. Als ob die darauf folgenden Aufstände in Dalarna, Småland und Västergötland nicht auch starke religiöse Motive gehabt hätten. Sie wurden von Gustav Wasa auf keineswegs christliche Weise blutig niedergeschlagen.
Bei den Auseinandersetzungen zwischen Gustavs Nachfahren wurde auch recht kräftig das religiöse Argument bemüht um die kriegerischen Aktionen zu begründen. Auch im Bürgerkrieg zum Ende des 16. Jahrhunderts war der rechte Glaube Teil der Propaganda. Die Aufspaltung des Hauses Wasa in sich bekämpfende Zweige, hi schwedisch bekrönt und lutherisch, dort mit polnisch-litauischer Krone und katholisch, hat selbst noch Einfluss auf Eintritt Gustav Adolfs in den 30-jährigen Krieg, nachdem es vorher den Saum der Ostsee mit kriegerischen Auseinandersetzungen beglückte.
Es ist doch wirklich nicht notwendig, dies mit dem Mythos von Friede-Freude-Eierkuchen zu überkleistern. Bei den oft mehr von dynastischen Beweggründen geleitetem Spiel haben sich die Kirchen, be- und entstehende, kräftig beteiligt. Die damals auch in der Landessprache lesbare Warnung war vergessen "Alle, die das Schwert nehmen, kommen durch das Schwert um."