Vor hundert Jahren zogen deutsche Soldaten begeistert in den Krieg gegen Frankreich. Kaiser Wilhelm II. hatte sie am 6. August 1914 mit seinem religiös gefärbten Aufruf stimuliert: "Wir werden uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Ross. Noch nie ward Deutschland überwunden, wenn es einig war. Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war.“ Zwar hatten evangelische Theologen beim preußischen Herrscherhaus einen besonderen Einfluss und unterstützten den Regenten mit theologischen Kriegsparolen. Doch auch die katholische Kirche ließ sich für den Krieg in die Pflicht nehmen, schickte Ergebenheitsadressen an Kaiser Wilhelm II.
Im hundertsten Jahr nach Kriegsbeginn hat auch die katholische Kirche allen Grund, über ihre Rolle im Ersten Weltkrieg nachzudenken. Und der Regensburger Katholikentag widmet dem einige Aufmerksamkeit. Ernüchternd auf einem großen Forum die Beobachtung von Bischof Heinz Josef Algermissen, Präsident der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, über die Katholikentage (der Regensburger ist immerhin der 99. in seiner Geschichte): "Nicht ein einziges Mal haben es die Katholikentage geschafft, gegen Kriege Position zu beziehen - auch nicht gegen den Ersten Weltkrieg". Er drängt darauf: "Das muss mal aufgearbeitet werden."
Bestürzende Ergebenheitsadressen
Dass die katholischen Bischöfe zum dritten Adventssonntag 1914 von einer "moralischen Erhebung" sprechen, die der Krieg mit sich bringt, zeigt bereits, dass die Kirche diesen Krieg rechtfertigte. Sie sieht den Krieg als Anlass zu Buße und Sühne, als Strafgericht über die sündige Menschheit und als Aufforderung, sich moralisch wieder zu bewähren. Die blutigen Kämpfe wollte sie gleichwohl nicht unnötig verlängert sehen.
1916 schrieb der Kölner Kardinal Hartmann an die Gläubigen seines Erzbistums: "Es gilt, den Segen unserer deutschen Kultur, wie sie in der Sonne des Christentums erblüht ist, durch diesen von unseren Feinden angefachten Weltbrand hindurchzuretten in eine bessere Zukunft. Kein Opfer ist dafür zu groß." Schlimme religiös-politische Grenzüberschreitungen gab es auch in den Äußerungen von Michael von Faulhaber, Bischof von Speyer, der meinte, 1915 erklären zu müssen, "auch die Namen Vaterhaus und Vaterland und Landesvater" seien "zu heiligen Namen geweiht und in die Nähe Gottes gerückt", weil Gott sich Vater nenne. Den Krieg verstanden nicht wenige Christen "als eine Art Mission gegen den sittlichen Verfall", schildert Hubert Wolf, Kirchenhistoriker an der Universität Münster.
Aufräumen mit historischen Fehldeutungen
Es gilt immer noch (und immer wieder), mit historischen Fehldeutungen aufzuräumen - was der Katholikentag tut: Dass der Krieg Deutschland von anderen Nationen aufgezwungen worden sei; dass es eine religiöse Pflicht gewesen sei, in den Krieg zu ziehen; schließlich: dass der einzelne Soldat für sein blutiges Handeln überhaupt nicht verantwortlich gewesen sei, denn er kämpfte und tötete in einem höherem, von seiner Kirche legitimierten Auftrag. Diese Fehleinschätzungen zu korrigieren, sollte sich im Gedenkjahr 2014 die ganze Deutsche Bischofskonferenz zur Aufgabe machen.
Algermissen, in Friedensdingen eigentlich ein Skeptiker, mahnte beim Katholikentag zur Vorsicht: "Es ist falsch, zu behaupten, wir würden vor dem HIntergrund dieser historischen Erfahrungen nicht mehr in den Krieg ziehen. Die Disposition, einem Sog zu folgen, ist auch heute noch da". Dies gelte es, immer wieder ernsthaft bewusst zu machen.
Seine Mahnung ist insofern angebracht, als man beobachten kann, wie gedankenlos manche Gemeinden mit der Kriegserinnerung bis heute umgehen: Auf dem Grund und Boden von Kirchengemeinden und auf kirchlichen Friedhöfen stehen immer noch Gedenksteine und Ehrenmale für die Gefallenen des Krieges. Nicht nur diese Soldaten und viele Zivilisten wurden Opfer im Krieg, sondern die Werte und die Menschenrechte insgesamt. An ihrer Zerstörung haben die Kirchen einen nicht geringen Anteil.