Beispiel Europa: Griechenland kommt trotz des Schuldenschnitts im März 2012 nicht auf die Beine. 200 Milliarden Euro an Hilfskrediten aus dem Euro-Rettungfonds und vom Internationalen Währungsfonds treiben das Land noch tiefer in die Schulden. Sparauflagen aus Brüssel haben die fünf Jahre währende Rezession der griechischen Wirtschaft noch verschärft. Was tun? Weiter lavieren? Das wird die Krise nicht lösen. Zumal es – auch mit Blick auf andere Krisenländer wie Portugal, Spanien oder Italien – ganz konkrete Fragen gibt, über die sich abstimmen ließe: Sollen Schulden innerhalb der Währungsunion vergemeinschaftet werden? Muss ein
Schuldenerlass her? Oder ist es besser, die Schulden zu niedrigeren Zinsen zu strecken?
Über diesen Einzelfragen schwebt ein viel größeres Thema: Was soll Europa sein? Eine reine Zweck-, Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft, über deren Schicksal nationale Politiker in nächtlichen Krisengipfeln entscheiden, allzu oft getrieben von den Finanzmärkten? Oder doch lieber eine Schicksalsgemeinschaft, in der die Nationalstaaten einen Teil ihrer Souveränität europäischen Institutionen übertragen, die wirklich demokratisch legitimiert sind, weil die europäischen Bürger per Wahl über sie bestimmen – eine politische Union?
Auf diese und viele weitere Fragen geben die Kandidaten keine Antwort. Nach achtjähriger Kanzlerschaft Angela Merkels scheint die Republik auch gar nicht mehr lustvoll streiten zu wollen. Vielleicht hat Merkels Politikstil Spuren hinterlassen. Beispiel Energiewende, auch so ein riesiges Thema: Für den Verzicht auf Atomkraft setzte sich die Kanzlerin erst ein, als sie sich hierfür – nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima – einer Mehrheit in den Umfragen sicher sein konnte. Die Kanzlerin fährt machtpolitisch auf Sicht. Das ist legitim und politisch immerhin so schlau, dass ihr Gegenkandidat Peer Steinbrück keine Strategie dagegen findet.
Wenn die Politiker schon nicht streiten, sollten es die Bürger tun und die Kandidaten mit Fragen und Themen löchern. Die Rechnung wird so oder so kommen – nach der Wahl.