Manchmal fällt es dem WM-Pfarrer der evangelischen Kirche richtig schwer, einen Kompromiss vorzuschlagen. Zum Beispiel in folgender Situation: Aus ganz Deutschland sind Reiter mit ihren Pferden zu einer Sportveranstaltung angereist. Hans-Georg Ulrichs kennt das enge Zeitkorsett, in dem sich die Wettkämpfe abspielen. Anreise am Samstag, immer schön behutsam mit der wertvollen Fracht im Anhänger über Autobahnen und Landstraßen. Ist das Ziel erreicht, müssen die Tiere erst einmal zur Ruhe kommen und sich an die neue Umgebung gewöhnen. Deshalb sind die Reiter früh am Sonntag auf den Beinen. Denn wenn sie am späten Nachmittag nach Hause zurückkehren wollen, erneut quer durch Deutschland, müssen die Wettkämpfe früh am Sonntagvormittag beginnen.
Eduard Kopp
Dies ist genau die Zeit, in der die Gottesdienste stattfinden. Und es ist die Zeit, für die rechtlich gilt: An Sonn- und Feiertagen sind während der Hauptgottesdienste öffentliche Sportveranstaltungen verboten. Da ein Sonntagsgottesdienst erfahrungsgemäß von zehn bis elf Uhr dauert, im Falle einer Abendmahlsfeier auch länger, kann am Sonntagvormittag kaum eine Sportveranstaltung stattfinden. Der Schutz der Sonntagsruhe hat Verfassungsrang. Artikel 140 des Grundgesetzes besagt: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." Die "seelische Erhebung", die für manche auf dem Rücken eines Pferdes oder auf dem Fußballfeld, für viele aber in einem Gottesdienst stattfindet, ist eine weltanschaulich neutrale Bezeichnung für religiöse und nichtreligiöse Besinnung auf grundsätzliche Lebensfragen.
Dennoch finden Wettkämpfe am Sonntagvormittag statt. Denn Ortsverwaltungen können Ausnahmen vom Sportverbot am Sonntagvormittag genehmigen. Die Behörden halten zuvor Rücksprache mit den Kirchengemeinden. Und dort gibt es unterschiedliche Reaktionsmuster: Manche Pfarrer pochen auf das Sportverbot zur Gottesdienstzeit, andere sehen eine Sonntagsveranstaltung als ideale Gelegenheit, mit Gesangbüchern und Talar auf die Turnierwiese zu eilen und vor dem Spielbeginn einen kurzen ökumenischen Gottesdienst zu halten. So jedenfalls könnte ein Kompromiss aussehen, wie ihn der evangelische WM-Pfarrer Hans-Georg Ulrichs liebt.
Der Sonntag befreit die Menschen aus der Monotonie des stets Gleichen
Der Sonntag gehört den Menschen. Er ist eine Schutzzone zur körperlichen, geistigen und seelischen Erholung. Er soll frei sein von den Zwängen des Alltags und Zeit lassen für religiöse Besinnung. Der Sonntag dient auch dem Beisammensein der Familie. Sicherlich kann auch eine Sportveranstaltung der persönlichen Erholung dienen, doch soll der Vormittag kein beliebiges Zeitreservoir für regelmäßiges Training und Wettkämpfe von Jugendmannschaften sein. Selbst wenn nur ein kleiner Kreis der Sportler hin- und hergerissen ist zwischen Gottesdienstbesuch und Wettkampf, bleibt der Sonntagsschutz von unverzichtbarem Wert: Er befreit die Menschen aus der Monotonie des stets Gleichen.
Der Sonntag als Tag von religiöser Bedeutung ist eine der Säulen der jüdisch-christlichen Kultur, doch arbeitsfrei wurde er für viele Berufstätige erst im Jahr 1919. In den fünfziger und sechziger Jahren war der Schutz der Sonntagsruhe eines der ganz großen politischen Streitthemen. Erst mit der schrittweisen Einführung der arbeitsfreien Samstage in den Sechzigern entspannte sich der Konflikt zwischen Kirche und Sport. Dazu kamen sehr grundsätzliche Gespräche zwischen den Kirchen und Sportfunktionären seit 1975. Seitdem haben sich beide Seiten einander angenähert. Sie streiten nicht mehr eifersüchtig um die Interpretationshoheit über den Sonntag, sondern betonen ihre Partnerschaft in vielen Punkten, zum Beispiel in der Sorge um die körperliche und seelische Gesundheit der Menschen.
Zu einem uneingeschränkten Lob der Partnerschaft mag sich die Kirche allerdings nicht durchringen, denn inzwischen haben sich um sonntägliche Sportveranstaltungen herum viele wirtschaftliche Interessen angesiedelt, weiten sich Handel und Dienst-leistungen aus. Wenn zwei Drittel aller Beschäftigten im deutschen Gastgewerbe regelmäßig sonntags arbeiten und zu neu erfundenen Stadtfesten Kaufhäuser großzügig geöffnet werden, steht es um die Sonntagsruhe schlecht. "Menschen brauchen den Sonntag", heißt es in einer Erklärung der beiden großen Kirchen von 1999. Das gilt erst recht in einer Zeit der beruflichen Flexibilität und der Globalisierung. Wie sonst kann eine Familie noch zusammenkommen – zu Hause oder im Gottesdienst –, wenn alle Beteiligten in unterschiedlichen Arbeitsrhythmen stecken?