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Wie ein sprachliches Missverständnis die Eurokrise befeuert
Tim Wegner
05.10.2012

Jorgo Chatzimarkakis ist Europaabgeordneter, er hat einen deutschen und einen griechischen Pass. Als FDP-Mitglied ist er unverdächtig, ein Gegner der Marktwirtschaft oder Befürworter eines überbordenden Sozialstaats zu sein. Der Politiker warnt: Griechenland habe in den vergangenen drei Jahren so viele Haushaltsposten gestrichen, dass die Gesamthöhe der Kürzungen einem Fünftel des griechischen Bruttoinlandsproduktes entspricht. Chatzimarkakis bezieht sich dabei auf Berechnungen der irischen Zentralbank. Auf Deutschland übertragen bedeuten die griechischen Anstrengungen: Der Bundeshaushalt – er beträgt für dieses Jahr 306,2 Milliarden Euro – hätte in den vergangenen Jahren um 74 Milliarden Euro gekürzt werden müssen; jährlich also um fast 25 Milliarden Euro! Man möge sich vorstellen, wie heftig die Proteste gegen eine Regierung ausfallen würden, die so einen Bundeshaushalt durchs Parlament bringen will.

Warum Sparen das falsche Wort ist

Die Finanz- und Schuldenkrise ist auch die Geschichte eines missverstandenen Begriffs: des Sparens. Denn wenn Sparen die Lösung ist, warum ist die Eurokrise dann nicht längst vorbei? Warum dauert sie auch in Spanien an; wo der Staat die Ausgaben für das kommende Jahr erneut um 13 Milliarden Euro kürzt? Sparen ist das falsche Wort, weil die Kürzungen, die damit einhergehen, die Wirtschaft nur noch tiefer in die Krise stürzen. Die Steuerbasis in den südlichen europäischen Ländern schrumpft, die Staaten haben weniger Einnahmen, sie müssen sich noch mehr verschulden – zu hohen Zinsen, die Gegenstand von Spekulationen an den internationalen Finanzmärkten sind. Mit Sparen hat das nichts zu tun, denn wer spart, hat am Ende des Tages entweder mehr Geld – oder weniger Schulden. Beides trifft in der Eurokrise aber nicht zu.

Der Sparkurs nimmt den Menschen die Freiheit

Sparen – wer das Wort im Zusammenhang mit Südeuropa hört, sollte eher beunruhigt als beruhigt sein. Seit 2008, als die Bankenkrise die Schulden der Nationalstaaten in die Höhe getrieben hat, soll das Sparen helfen – und doch ist es nur schlimmer geworden. Kaum jemand wird bestreiten, dass es erstrebenswert ist, die Staatsschulden abzubauen, auch in Deutschland. Kaum jemand wird bestreiten, dass nicht alles in Griechenland oder Spanien so bleiben kann, wie es war. In Griechenland etwa muss die Steuerflucht und Korruption bekämpft werden, Spaniens Wirtschaft braucht andere Impulse als nur den Immobilienmarkt. Der vermeintliche Sparkurs aber nimmt den Menschen in diesen Ländern die Freiheit, diese Zukunft überhaupt zu gestalten, besonders den Jungen, von denen ein Viertel ohne Arbeit ist.
Bis echte Reformen greifen, sollte in Europa ein anderes Wort gelten: Solidarität. Einer trage des anderen Last. Schulden sind nur dann zu tolerieren, wenn sie nicht unfrei machen. Diese Grenze ist in Europa längst erreicht.

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Es ist unglaublich, welchen Unfug Sie hier unter Mißbrauch meiner Kirchensteuern ins Netz stellen. Was macht denn die evangelische Kirche seit Jahren, um ihre Ausgaben an die sinkenden Kirchensteuereinnahmen anzupassen? Sie senkt ihre Ausgaben, spart also - und das aus gutem Grund, nachdem zuvor flächendeckend viel zu viele Mitarbeiter eingestellt worden waren. Die Folge eines Verzichts auf diese Sparmaßnahmen wäre zwangsläufig eine erhöhte Verschuldung im Folgejahr und irgendwann der endgültige Kollaps. Warum bitte sollte dies im Falle von Griechenland und den anderen Haushaltssündern ander sein? Da hilft auch die Milchmädchenrechnung nicht weiter, dass höhere Investitionen die Wirtschaft ankurbeln und so zusätzliche Steiermittel in Staatssäckel spülen könnten. Ein Bischhof, der so seine Kirche finanziell aufstellen würde, bekäme sicherlich einiges zu hören ...