Wer die Flussschifferkirche im Hamburger Hafen sucht, muss nur den Lockrufen von Barkassen-Meyer und Barkassen-Bühlow folgen. „Hafenrundfahrten, hier Haafenrundfahrten!“, schallt es in der Saison unablässig vom Ponton am Zollkanal. Hier, gegenüber der Speicherstadt und der neuen Hafencity, ein paar hundert Meter von der Elbphilharmonie entfernt, liegt die Flussschifferkirche zu Hamburg. Es ist ein perfekter Liegeplatz für diese ungewöhnliche Kirche, deren Motto aus der Binnenschifferseelsorge kommt: Wenn die Menschen nicht zur Kirche kommen können, muss die Kirche zu den Menschen kommen.
"Bei uns ist jeder willkommen"
Jeden Sonntag um drei Uhr nachmittags läutet die Glocke auf dem blau und weiß angestrichenen Schiff, ein umgebauter Weserleichter Baujahr 1906. Aus allen Ecken Hamburgs kommen dann die Gemeindemitglieder, Hafenarbeiter und natürlich auch Touristen zum Gottesdienst.„ „Wir verstehen uns als eine offene Gemeinde. Bei uns ist jeder willkommen“, sagt Nicole Heinsohn. Die 42-Jährige arbeitet im Kirchenbüro, das auf schwimmenden Containern neben der Flusi liegt und sie kennt die Flussschiffergemeinde schon aus Kindertagen. Damals lag das Schiff im Hamburger Stadtteil Veddel vor Anker und ihr Vater schickte seine Kinder zum Gottesdienst aufs Schiff. Nach einem weiteren Ankerplatz im abgelegenen Stadtteil Rothenburgsort kam die Kirche vor sechs Jahren zu ihrem derzeitigen Liegeplatz in der Hamburger City. Ein großes Glück, wie Heinsohn meint: „Wir profitieren sehr von der Präsenz, die wir hier haben.“ Rund 60 Trauungen, Taufen, goldene und silberne Hochzeiten organisiert sie mittlerweile im Jahr, dazu kommen Kulturveranstaltungen, Führungen und die Gottesdienste, bei denen reihum ein anderer Pastor predigt, einmal im Monat sogar auf plattdeutsch.
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Die Flussschifferkirche im Fernsehen
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Vor fünf Jahren noch hätte es sich kaum jemand in Hamburg vorstellen können, dass die schwimmende Kirche so aufleben würde. Noch dazu, weil alles, was auf der Kirche passiert, ehrenamtlich geleistet wird. Schon 1998 war der „Verein zur Förderung und Erhaltung der evangelisch-lutherischen Flussschifferkirche zu Hamburg“ gegründet worden, um den Betrieb der Kirche zu sichern.
2007 stand die Flusi kurz vor dem Aus
Die Kosten für den Erhalt des alten Schiffes waren zu hoch. Der Kirchenkreis Alt-Hamburg übergab die Kirche ganz dem Förderverein mit dem Auftrag, die Kirche als kirchlichen Ort für die Gemeinde, die Hamburger Bürger und den Hafen zu erhalten. „Also haben wir alle mitgeholfen, jeder packte mit an, wo er konnte. Ich denke, daher kommt das Herzblut, mit dem wir hier arbeiten“, sagt Wolfgang Daberkow. Der 71-Jährige leitet die monatlichen Gemeindeabende und ist wie viele durch Zufall zur Flussschiffergemeinde gestoßen. Als Berufssoldat war er Mitglied der Wassersportgruppe, deren Schiff neben der Flusi lag. „Ich war damals in zwei Gemeinden aktiv. Doch dann habe ich mich entschieden, ganz hierher zu kommen. Die Flusi brauchte uns“, sagt Daberkow, der fließend plattdeutsch spricht und bei den Gottesdiensten op platt oft als Küster aushilft.
"Die Flusi brauchte uns"
Das heiß geliebte Schiff hat übersichtliche Maße: Es ist 25,5 Meter lang und sieben Meter breit. Eine steile Treppe führt in den Schiffsbauch, der 1951 zur Kirche umgebaut wurde. Eine handwerkliche Meisterleistung: Das ganze Schiffsinnere ist Kirchenraum mit hoher Decke, an der Kronleuchter hängen. Einen Motor hat die Flusi nicht mehr, bei Fahrten wie zum Kirchentag in Bremen wird sie von einem Schubschiff geschoben. Holzstühle stehen brav in Reihe bis zum Altar im Heck,bis zu 120 Personen können den Andachten lauschen. Licht fällt durch kleine, abgerundete Kirchenfenster, manche von ihnen sind mit Seefahrer-Motiven verziert. Vorn im Bug ist die Kombüse, komplett ausgestattet mit Herd, Spüle und großer Kaffeemaschine. Einen Platz zum Klönen gibt es seit zwei Jahren in direkter Nachbarschaft: Auf dem Ponton der Kirche betreibt das Rauhe Haus das „Café Weite Welt“.
Die Tischler arbeiten umsonst
Undichte Schotten, defekte Tiefenmesser oder die Schwimmtauglichkeits-Prüfung alle fünf Jahre – bei einem alten Schiff muss ständig etwas repariert oder ausgebessert werden. Die Betriebskosten werden wie alle anderen Ausgaben ausschließlich mit Spenden, Patenschaften und den Einnahmen aus den Amtshandlungen finanziert. Auch Fundraising gehört zum täglichen Geschäft des Fördervereins. Vorstandsmitglied Ingrid Schwieger weiß, wie schwierig diese Arbeit ist, aber auch, wie groß die Hilfsbereitschaft sein kann. „Die Tischlerinnung schickt uns zum Beispiel jedes Jahr Gesellen, die die Holzarbeiten machen und die Jungs finden die Kombination Schiff und Kirche so schön, dass sie immer wieder kommen. Und wenn ich für größere Projekte um Unterstützung werbe, sage ich oft: Kommen Sie aufs Schiff! Die meisten sind dann begeistert“, erzählt die 62-Jährige.
Einfallsreich sind auch die Pastoren der Flusi. Etwa Cord Denker, der einmal im Jahr auf plattdeutsch im Schiff predigt. Als er quasi in letzter Minute von der Chrismon-Gemeindeaktion 2012 erfuhr, klickte Denker, Pastor in Rente, zum ersten Mal in seinem Leben die Internet-Seite von Facebook an und begann, Stimmen zu sammeln. In wenigen Tagen kamen so 3290 Gefällt-mir-Statements zusammen. Seine Netzerfahrungen hat Denker, wie sollte es anders sein, gleich in einer plattdeutschen Geschichte niedergeschrieben.
Sogar den Binnenschifferseelsorge hält der Förderverein aufrecht. Zweimal in der Woche fährt die kleine Gemeinde-Barkasse „Johann Hinrich Wichern“ quer durch den Hafen zu den Binnenschiffern. Je Törn dauert das bis zu sechs Stunden, ein Zeitaufwand für Diakonin Christel Zeidler vom Rauhen Haus und ihr Team. „Ich kenne die Flusi lange. Als in diesem Jahr neue Seelsorger für die Binnenschiffer gesucht wurden, habe ich zugesagt. Wir haben immer Äpfel, Schokolade, polnische oder tschechische Tageszeitungen dabei und die Schiffer warten schon, wenn wir kommen. Je nach dem, ob wir uns kennen, klönen wir von Bordwand zu Bordwand, führen Gespräche oder helfen mit ganz praktischen Dingen“, sagt Zeidler,
Bei den Gottesdiensten geht es immer familiär zu, auch wenn mitunter alle Plätze im Schiff besetzt sind. Wer Glück hat, erlebt die Andacht, wenn die Flut einsetzt. „Das ist ganz eigentümlich. Erst ist ein Knarren zu hören, es schnurrt und quietscht und dann rumpelt`s, wenn das Schiff sich hochschiebt. Da schwanken auch schon die Kronleuchter an der Decke“, erzählt Daberkow. Wird dann noch ein plattdeutscher Gottesdienst gefeiert, ist den meisten Gästen ganz warm ums Herz. Die ersten Sätze des Vaterunser hören sich übrigens so an: Ik glööv an Gott, de Vader. He alleen ist allmächdig. He hett Himmel un Eerd warrn laten
Vaterunser ?
"Die ersten Sätze des Vaterunser hören sich übrigens so an: Ik glööv an Gott, de Vader. He alleen ist allmächdig. He hett Himmel un Eerd warrn laten ..."
Dat is nich dat Vaterunser - dat is dat Credo !
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Köstliche Verwechslung
Autor des folgenden Beitrages ist Iwan der Schreckliche. Gast schrieb am 22. September 2012 um 21:31: "Dat is nich dat Vaterunser - dat is dat Credo !" Einfach himmlisch! Verwechselte ein ostdeutscher Jugendlicher Weihnachten mit Karfreitag, konnte man daran sehen, was für ein fürchterlicher Ungeist im verflossenen System geherrscht hat. Verwechselt eine chrismon-Autorin das Vaterunser mit dem Glaubensbekenntnis, kann man daran sehen, dass Irren menschlich ist.
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