Betreff: Soldatenseelsorge
Von: Michael Reis, Militärpfarrer in Kunduz
Jeder Tag ist ein Mittwoch, so sagt man hier, im Bundeswehrstützpunkt bei Kunduz. Es gibt kein richtiges Wochenende, keinen wirklichen Feierabend. Auch nicht in der „Gottesburg“, dem Container, in dem unsere Pfarrbüros und ein Gottesdienstraum untergebracht sind. Immer mal wieder schauen Soldaten vorbei, oft „nur mal so“. Bei einem gemeinsamen Kaffee kommt dann doch oft mehr zur Sprache. Einer fragte mich: Christ sein und töten, wie geht das zusammen? Eine schwierige Frage, über die wir lange sprachen.
Ein anderer erzählte von der Nachricht seiner Frau: Sie wolle sich scheiden lassen, wenn er nach dem Einsatz nicht häufiger zu Hause sei. Das hatte natürlich eine Vorgeschichte. In Deutschland war der junge Mann schon lange zwischen Kaserne und Familie gependelt. Seine Frau und sein kleines Kind sahen ihn nur am Wochenende, in den Monaten vor dem Abflug wegen der Vorbereitung noch weniger. Nun war er seit Juli ganz weg – und die junge Frau wollte nicht mehr so weitermachen. Das ist nicht untypisch: Seit drei Monaten sind diese Soldaten in Afghanistan. Die ersten Wochen waren anstrengend und aufregend, so dass man nicht viel anderes denken konnte. Nun holen einen Probleme ein, die schon zu Hause unbearbeitet waren.
Die meisten Soldaten brauchen nur manchmal jemanden, mit dem sie reden oder bei dem sie sich auskotzen können, das tut gut. Bei dem Soldaten mit dem Eheproblem konnten wir aktiv werden. Er stellte einen Antrag auf Versetzung an einen heimatnahen Standort. Ich nahm Kontakt mit dem Sozialdienst der Bundeswehr auf, um die Dringlichkeit des Falles darzustellen. Er wird trotzdem mit seiner Truppe bis Januar hierbleiben und muss aushalten, dass seine Frau so lange alleine ist. Neulich wurde ich zu einem Truppenführer gerufen, dem es so schlecht ging, dass er von seinen Aufgaben befreit werden musste und repatriiert wurde. Das heißt, er flog nach Hause. Ich erlebe immer wieder, dass Soldaten seelisch und körperlich extrem erschöpft sind.
Wir unterteilen die Arbeitsbereiche in drinnen und draußen. Die einen sind innerhalb des Stützpunktes tätig, in der Verwaltung oder im Verpflegungsbereich. Die anderen sind „draußen“. Sie stehen zuweilen stundenlang in Gefechten und sind fast permanent Gefahren ausgesetzt. Die Sprengmittelbeseitiger etwa müssen immer damit rechnen, dass etwas hochgeht. Das sind Spezialisten, echte Profis. „Wir machen unseren Job“, sagen sie. In persönlichen Gesprächen lassen sie manchmal raus, wie angespannt sie oft sind.
Ich arbeite seit zweieinhalb Jahren mit dieser Einheit zusammen. Da konnte Vertrauen wachsen. Wenn ich hier irgendwo mit einer Kaffeetasse sitze, bleibe ich meist nicht lange alleine. Der Theologe Jürgen Ziemer sagte einmal treffend: „Seelsorge muss ich nicht machen. Seelsorge geschieht.“ So erlebe ich es auch.
Betreff: Frauenbilder
Von: Ulrike Wohlrab , Pfarrerin in Jerusalem
Die Prophetenstraße ist eine vielbefahrene Straße im Westen Jerusalems. Erst mit der Zeit fallen einem die Busse auf, die aus dem angrenzenden Stadtviertel Mea Shearim kommen. In diesen Bussen sitzen die Frauen nur im hinteren Bereich, sie tragen in der Regel Kopftücher oder Perücken und langärmlige Oberteile, auch wenn es sehr heiß ist. Die Reklame an den Bussen zeigt niemals Menschen.
Der Grund: In Mea Shearim wohnen vor allem ultraorthodoxe Juden. Sie vollziehen freiwillig eine strenge Geschlechtertrennung. Und sie ertragen keine Werbeplakate, auf denen Frauen abgebildet sind – die wurden immer wieder abgerissen oder überklebt. Auf den ganz neuen Bussen gibt es jetzt gar keine Werbung mehr, überall in Jerusalem.
In der säkularen Gesellschaft auf palästinensischer und israelischer Seite herrscht eigentlich Geschlechtergleichheit. Hochgebildete Frauen stoßen auf wenige Grenzen, sie sind – wenn auch noch nicht entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung – Ministerinnen, Direktorinnen, Professorinnen und bekleiden öffentliche Ämter.
Dennoch beobachte wohl nicht nur ich: Frauen verschwinden in Jerusalem mehr und mehr aus dem öffentlichen Leben. Eine orthodoxe Frauenorganisation klagte kürzlich wegen Diskriminierung gegen einen ultraorthodoxen Radiosender. Dort wurden immer weniger Frauen interviewt. Frauen sollten ihre Meinung lieber per Fax schicken, so der Sender, dann könne der Moderator das Schreiben vorlesen. Auch im Stadtbild zeigt sich inzwischen deutlich, dass ein Großteil der hier lebenden Menschen meint, Frauen sollten sich „anständig“ bedecken. Nicht nur die orthodoxen Juden. Auf palästinensischer Seite, im Osten der Stadt, tragen nach meiner Beobachtung wieder mehr Frauen Kopftücher und lange, weite Gewänder als in den 1980er und 90er Jahren.
Zum Jerusalemer Straßenbild gehören aber auch Hunderttausende oft leicht bekleidete Touristinnen. Und natürlich wir, die kleine Minderheit der Christinnen. Wir tragen Hosen oder Röcke, die Haare unbedeckt – ebenso die säkularen oder liberalen Jüdinnen und Musliminnen. All diese Frauengruppen leben zurzeit noch bunt nebeneinander in Jerusalem. Ich selbst fühle mich frei. Manchmal allerdings habe ich Sorge, dass sich dies in nicht all zu ferner Zukunft ändern wird.