Kaffeehausrichter machen es der deutschen Strafjustiz schwer. Was tun mit den islamischen Streitschlichtern?
19.01.2012

„Ich bin ein Krimineller. Mit Ausnahme von Kinder schänden und Frauen vergewaltigen habe ich alles gemacht.“ Es kostet Mustafa Özbek erkennbar Mühe, diesen Satz über seine Lippen zu bringen. Aber er will es, als Teil des Versuches, seine Vergangenheit zu bewältigen und endlich ein straffreies Leben zu führen. Dazu gehört auch, dass er in Bremen als Streitschlichter bei allen möglichen Konflikten tätig ist, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Gemüsehändlern über schlechte Ware, aber auch nach Straftaten zwischen Tätern und Opfern und deren Familien. Solche Befriedungsaktionen vermitteln dem 45-Jährigen ein Glücksgefühl, wie er sagt: „Ich schaffe Probleme aus der Welt und kann Gewalt verhindern. Ich fühle mich dadurch geehrt und denke, mit Verständigungen kann ich ein wenig des Unrechts sühnen, das ich begangen habe.“ Beim Schlichten führt der Kurde eine Familientradition fort: „Ich habe das Schlichtergen im Blut.“

Das Opfer sollte als Zeuge seine Aussage ändern

Aber das ist auch ein Problem für den deutschen Rechtsstaat, dem es um eine durchschaubare Rechtsprechung gehen muss. Im Juni 2009 kam es vor und im Diakonie-Krankenhaus in Bremen zu einer Messerstecherei zwischen zwei Familien, bei der ein Türke schwer und fünf andere Raufbolde erheblich verletzt wurden. Die Familien baten ihn um Vermittlung. Geschäftsgrundlage jeder Verständigung ist für Özbek der Versuch, das bereits laufende Strafverfahren zu beeinflussen: „Wenn du dich mit dem Täter verträgst, musst du dich entsprechend verhalten.“ Das heißt konkret: Das Opfer soll als Zeuge seine Aussage ändern – es kann sich plötzlich nicht mehr erinnern, bagatellisiert die Verletzung oder verweigert in der Hauptverhandlung seine Aussage.
So geschah es auch nach dem von Özbek ausgehandelten Friedensvertrag. Die Staatsanwaltschaft musste die Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder beider Familien mangels Beweises einstellen, weil alle Beschuldigten und Zeugen die Taten bestritten, von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machten oder sich auf Notwehr beriefen. Das Dickicht widersprüchlicher Aussagen war nicht zu durchdringen. Ein Musterbeispiel für das verhängnisvolle Wirken von Streitschlichtern. Sie sind Richter ohne Gesetz in der Tradition der Scharia. Sie werden hinzugezogen bei Ehe- und Familienstreitigkeiten, vor allem aber im Hintergrund von Strafverfahren. In Berlin-Neukölln, Bremen-Huchting oder Essen-Altenessen bilden sie das Rückgrat einer Paralleljustiz. Diese Laiengerichtsbarkeit ruht auf drei Säulen: Schlichtung, Strafverzicht gegen finanzielle Wiedergutmachung und Selbstjustiz.

Die Paralleljustiz wirft ein neues Schlaglicht auf das Thema Integration

Die Entwicklung einer Paralleljustiz wirft ein Schlaglicht auf ein bisher weithin unbekanntes Phänomen misslungener Integra­tion: die fehlende Akzeptanz unserer Rechtsordnung und ihrer Institutionen Polizei und Strafjustiz bei einem Teil muslimischer Einwanderer. Ein Arbeitspapier der Bremer Informationsstelle ethnische Clans (ISTEC) formuliert das für libanesische Groß­familien drastisch: „Die Familie steht über dem Gesetz.“ In manchen muslimischen Ethnien stehen Brauchtum und Scharia über unserer Rechtsordnung.

Unsere Justiz hat zwei Probleme mit ihrem muslimischen Widerpart bisher nicht gelöst. Erstens ist Paralleljustiz nur selten zu erkennen. Der ehemalige Leiter der Abteilung Organisierte Krimi­nalität bei der Bremer Staatsanwaltschaft und jetzige Bundes­anwalt Jörn Hauschild schätzt, dass in 90 Prozent aller Strafverfahren mit Tätern und Opfern aus dem muslimischen Kulturkreis die Schlichtungen nicht bekanntwerden. Die Strafverfolgungs­organe kennen also nur die Spitze des Eisbergs. Und zweitens hat die Justiz bisher kein Mittel gefunden, sich gegen die Schattenjustiz zu wehren. Die Bilanz: 87 Prozent der Verfahren, in deren Hintergrund Streitschlichter tatsächlich oder mutmaßlich die Strippen gezogen haben, endeten mit Freisprüchen oder Einstellungen.

So wird das Rechtssystem ausgehebelt

Diese Ohnmacht der Justiz entsteht freilich nur, wenn die Ermittler nicht auf Sachbeweise wie Videos oder DNA-Spuren zurückgreifen können und allein auf Zeugenaussagen angewiesen sind. Carsten Wendt, Dezernatsleiter Organisierte Kriminalität im LKA Berlin, gibt den Notstand offen zu: „Das Rechtssystem wird ausgehebelt. Mit den bisherigen polizeilichen Mitteln ist der ­Nebenjustiz nicht beizukommen.“ Ein solcher Warnruf ist selten im Großapparat Strafjustiz. Viele Ermittler begegnen der Herausforderung gewöhnlich ohne Biss. Zwei Beispiele aus der Essener Justiz: Eine Richterin unterbricht eine Hauptverhandlung für sechs Monate, weil das Opfer zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, ob es den Täter be- oder entlas-ten soll. Und für eine vom Opfer angeregte richterliche Vernehmung braucht die Essener Justiz zwei Monate, ein Zeitraum, in dem sich Täter- und Opferfamilie längst geeinigt hatten, um die Beweislage zu verfälschen.

Was tun? Es gibt engagierte Kriminalbeamte, Staatsanwälte und Richter, die mit viel Arbeit und Ärger den Streitschlichtern Paroli bieten. In Bremen ist es einer Schwurgerichtskammer in 23 Verhandlungstagen gelungen, zwei Täter aus einer Massenschlägerei mit 15 bis 20 Beteiligten zu überführen. Das Kapitel Beweiswürdigung war 64 Seiten lang. Und auch in Essen sind zwei Messerstecher zu langen Freiheitsstrafen verurteilt worden, obwohl alle Zeugen ihre Aussagen vor der Polizei in der Hauptverhandlung widerrufen hatten. Aber die Mühen von Polizei und Justiz haben sich gelohnt.  

Fast nie haken Richter und Staatsanwälte bei Aussageveränderungen nach

Die große Mehrheit der Staatsanwälte und Richter reagiert aller­dings mit träger Routine. Es gibt in Berlin, Bremen und Essen keinen einzigen ernsthaften Versuch, einen Streitschlichter wegen Strafvereitelung zu verfolgen. Fast nie haken Staatsanwälte und Richter nach und versuchen bei Aussageveränderungen zu er­mitteln, ob Streitschlichter hinter den Kulissen tätig waren. Und sie üben keinen Druck auf Zeugen aus, wenn sich diese nicht erinnern können, offensichtlich die Unwahrheit sagen oder mit juristischen Tricks ihrer Anwälte die Aussage verweigern. Statt mit Ordnungsgeld oder -haft zu drohen und sie notfalls auch zu verhängen, wählen sie den Weg des geringsten Widerstandes und klappen die Akten zu. Genau das ist aber der falsche, weil nicht zielführende Weg.

Die Verantwortung für diese Missstände tragen neben den Richtern Generalstaatsanwälte und die Innen- und Justizminister der Länder. Die Strafjustiz hat bisher keine Strategie entwickelt, um die muslimische Gegenjustiz in die Knie zu zwingen. Zuge­geben, das ist nicht einfach und politisch überdies delikat. Die Jus­tiz­hierarchen antizipieren nämlich, dass das Thema Missachtung der deutschen Rechtsordnung durch Muslime ihren Ministern unangenehm ist. Leichter und ohne Schaden kommen sie davon, wenn sie die islamische Paralleljustiz politisch korrekt totschweigen oder bagatellisieren. Das liegt nämlich auf der Linie der politisch Verantwortlichen.

Nun ist eine mutige und entschiedene Justiz nötig

Die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue etwa hat sich bisher vor jeder Stellungnahme zur Paralleljustiz gedrückt. Und der nord-rhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty redu­ziert das Wirken von Streitschlichtern auf „Einzelfälle“, obwohl er bis zur Amtsübernahme Anwalt in Essen war und der Essener Kriminalhauptkommissar Ralf Menkhorst aus seinem Arbeits­alltag weiß, dass Schlichtungen in Essen „gang und gäbe“ sind. Die Tradition, Aspekte misslungener Integrationspolitik in Deutschland zu tabuisieren, wird hier um eine neue Facette bereichert.
Die islamische Paralleljustiz ist ebenso wenig ein Randproblem wie die überproportional hohe Belastung von Muslimen in den Kriminalitätsfeldern Gewaltkriminalität Jugendlicher, In­tensivtäter, Drogenkriminalität und organisierte Kriminalität. Für eine effektivere Bekämpfung der Friedensrichter brauchen wir keine neuen Gesetze, sondern eine mutige und entschiedene ­Jus­tiz. Mit anderen Worten: einen wehrhaften Rechtsstaat.

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Geahnt habe ich das Beschriebene in Ansätzen. Was Wagner hier beschreibt bedeutet auch, dass der Schutz der eigenen Bevölkerung - eine Aufgabe der gesamten Justiz - viele Staatsdiener einen Dreck interessiert. Eine Bananenrepublik.

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Gast (nicht überprüft) schrieb am 2. Februar 2012 um 5:25: "dass der Schutz der eigenen Bevölkerung - eine Aufgabe der gesamten Justiz - " Dieser fromme Untertanenglaube, dass Verwarnungsgelder, Gefängnisse und Hinrichtungen zum Schutz der gewöhnlichen Staatsinsassen erfunden worden wären, ist Grundlage des Erfolges der hiesigen Justiz. Die Märchenwelt der Scharia weiß genauso davon zu berichten, dass sie es nur herzlich gut mit den Guten meint. Und ebenso wie der liebe Gott keine anderen Götter neben sich leiden mag, darf in Ländern mit geltender Scharia nicht der deutsche Staatsanwalt herumwerkeln. In der Bundesrepublik dürfen entsprechend zwar jede Menge Schiedsstellen ihr Wesen treiben, aber auf keinen Fall islamische Streitschlichter. Der brave Untertan findet das auch noch großartig.

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Außergerichtliche Einigungungen sind meiner Meinung nach grundsätzlich begrüßenswert, wenn ein faires Verfahren stattgefunden hat. Man denke nur an (Familien-)Mediation - eine Scheidung mit Kindern etwa - , wo die Parteien gemeinsam nach Lösungen suchen und sich am Ende noch in die Augen schauen können. Anders nach einem teuren und langen

Gerichtsverfahren: die Anwälte wollen jeweils das "Beste rausschlagen" für ihre Mandanten, es wird auf Konfrontation gesetzt, nicht auf Konsens, es wurde gegeneinander gekämpft statt auf Augenhöhe verhandelt.
Dabei leiden die sozialen Beziehungen oft und erholen sich selten. Im Kontext der viele Jahrtausend alten Tradition der Streitschlichtung würde vermutlich keiner von "Schattenjustiz" oder "Paralleljustiz" sprechen sondern von Mediation. Hierbei werden öffentliche Mittel gespart, und bei den Beteiligten gibt es oft einen Lernerfolg hinsichtlich ihrer sozialen Kompetenzen und Kommunikationsmuster.

Das andere, was mich sehr überrascht und wütend macht, ist, dass chrismon Wagners muslimfeindlichem Rassismus ein auflagenstarkes Forum bietet.
Vokabeln wie "Kafeehausrichter", "Messerstecher", "Raufbolde" - finden Sie das angemessen?  Er schreibt auch von der  "überproportional hohe Belastung von Muslimen in den Kriminalitätsfeldern Gewaltkriminalität ..."  Würde er so über  jüdische Streitschlichter oder Straftäter in Deutschland schreiben? Ich denke, Gewaltbereitschaft ist vielmehr eine Frage der Schichtzugehörigkeit oder Sozialisierung, aber doch keine Frage der religiösen Zugehörigkeit!

Wenn es Wagner um den Opferschutz von Menschen geht, die mit dem beschriebenen Schlichtungsverfahren schlecht wegkommen, d.h. wo die Täter nicht anhand des bestehenden Gesetzes verurteilt werden, dann könnte ich  noch folgen. Bedenkenswert hierbei: Täter und Opfer leben so manchesmal in einer sozialen Beziehung zueinander.Man denke z.B. an innerfamiliäre sexuelle Übergriffe, die auch in protestantischen Haushalten vorkommen: Bruder missbraucht Schwester, Ehemann vergewaltigt Ehefrau - wie oft wird das wohl  zur Anzeige gebracht  um  von der Strafjustiz verfolgt werden zu können? Und manchmal rufen Nachbarn die Polizei, doch die Frau sagt dann: "Es ist nichts, gehen Sie nur wieder, Herr Kommisar." Werden solche Fälle bis zum Ende durchleuchtet, oder beugen sich die Staatsdiener da nicht auch dem Willen der Beteiligten?

Ich finde es inakzeptabel, wenn eine große (christliche) Zeitung zur Zementierung von Vorurteilen beiträgt anstatt sie zu veringern oder wahrheitsgemäß und sachlich zu berichten.
Ein Beispiel für besseren Journalismus liefert die ZEIT vom heutigen Tag: der Leitartikel von Heinrich Wefing äußert sich zum gleichen Thema.

9.2.2012