chrismon: Es gibt mit dem Bruttoinlandsprodukt, dem BIP, einen Indikator für Wachstum. Reicht das nicht?
Hans Diefenbacher: Nein, weil das BIP manche Dinge falsch erfasst. Ein Beispiel: Wer ehrenamtlich arbeitet, trägt statistisch nichts zum Wachstum bei. Wer aber auf dem Weg zum Ehrenamt einen Autounfall hat, schafft Wachstum, weil das Auto repariert werden muss; vielleicht ist sogar Öl ins Erdreich gesickert und muss beseitigt werden. Es ist absurd: Obwohl es dem Verunglückten sicher nicht bessergeht, hat er das BIP gesteigert. Dagegen taucht eine wichtige Leistung nicht im BIP auf: der Wert der Arbeit, die Menschen im Haushalt erledigen.
Wie messen Sie den Wert von Hausarbeit?
Mit Hilfe des Statistischen Bundesamtes. Dieses erfasst, wie viel Zeit wir auf die Hausarbeit verwenden. Diese Zeit haben wir in Beziehung gesetzt mit dem Lohn für ungelernte Arbeit. So entsteht ein Wert, der in den NWI, den Nationalen Wohlfahrtsindex, eingeht. Übrigens: Dass wir uns für den Lohn für ungelernte Arbeit entschieden haben, soll keine Geringschätzung für Hausarbeit ausdrücken; wir wollten damit der Kritik entgehen, wir würden bei unseren Berechnungen übertreiben.
Für Schleswig-Holstein haben Sie einen regionalen Wohlfahrtsindex erstellt. Was ist das Ergebnis?
Das BIP in Schleswig-Holstein ist in den vergangenen Jahren weniger gewachsen als im Bundesdurchschnitt. Der regionale Wohlfahrtsindex erzählt aber eine andere Geschichte: Dort schneidet das Bundesland besser ab als der Durchnitt in Deutschland.
Woran liegt das?
In Schleswig-Holstein sind die Einkommen weniger ungleich verteilt als in anderen Regionen; das schlägt im NWI positiv zu Buche. Auch der hohe Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung verbessert das Ergebnis. Und das Land hat einen geringeren Energieverbrauch, so dass die Kosten des Energiekonsums – etwa die Luftverschmutzung – das NWI weniger stark schmälern.
Deutschlandweit gesehen: Wie entwickelt sich der Nationale Wohlfahrtsindex im Vergleich zum BIP?
Seit 2000 fällt der NWI tendenziell gegenüber dem BIP. Das deckt sich mit den Erfahrungen von Menschen, denen es trotz wachsendem BIP nicht besserging. Oder die beobachtet haben: Die Wirtschaft wächst – aber auf Kosten der Umwelt.