In Ostjerusalem tobt ein Kampf um jeden Quadratmeter Land. Radikale jüdische Siedler nehmen die Häuser von Palästinensern in Besitz, oft mit zweifelhaften Methoden. Der palästinensische Drucker Nasir Ghawi hat sein Haus schon verloren. Aber er gibt nicht auf
07.10.2010

Es könnte so einfach sein. Zwölf, vielleicht dreizehn Schritte über die Straße, die Stufen der Eisentreppe hoch, die Haustüre öffnen und Nasir Ghawi wäre daheim. Aber wenn Ghawi morgens aufwacht, liegt er in einem Zelt aus schmutzigen olivgrünen und weißen Lastwagenplanen, und wenn er auf die Straße tritt und hinüberblickt zu seinem Haus, sieht er die israelischen Flaggen dort am Balkongeländer hängen.

Sheikh Jarrah ist ein Stadtteil im arabischen Osten Jerusalems. In dem Viertel um die Othman-ben-Afan-Straße stehen 23 Häuser, meist niedrige Flachbauten. In dreieinhalb von ihnen leben seit einiger Zeit israelische, jüdisch-orthodoxe Siedler. "Sie haben uns vertrieben", sagen die von der palästinensischen Seite. "Und sie fälschen dafür Dokumente."- "Wir holen zurück, was uns früher gehört hat", sagen die von der Siedlerseite. "Und unsere Dokumente sind echt."

Für die israelische Regierung ist Jerusalem, die Hauptstadt des Landes, unteilbar. Ihre Ankündigung, den Siedlungsbau in der Westbank zu stoppen, also auf dem palästinensischen Landstreifen zwischen Israel und Jordanien, bezieht sie nicht auf Ostjerusalem. Siedler können hier weiterhin Grundstücke beanspruchen. Palästinenser dem Recht nach auch, das gelingt aber selten. Wenn israelische Behörden palästinensische Eigentumsnachweise nicht anerkennen, können sie Haus und Land sogar verlieren.

Seit 2002 versuchte eine Gruppe radikaler Siedler das große Haus zu übernehmen, in dem die Familie Ghawi seit 1956 lebte. Zuletzt Abdel Fatah, Nasir Ghawis Vater, und seine sieben Brüder mit ihren Familien, insgesamt 37 Menschen. Einmal hatte sie es für ein paar Monate geschafft, und die Familie lebte auf der Straße. Ein anderes Mal hat Nasir Ghawi zugeschlagen und die Siedler verjagt.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sie zum dritten Mal zu den Ghawis kamen. Es war genau vor einem Jahr, am 2. August 2009, und noch etwa zehn Minuten bis zum Morgengebet. Ghawi hatte geahnt, dass es irgendwann so weit sein würde und hatte Wache gehalten wie jede Nacht. Dann hatte er seinen Schlafanzug angezogen und war zu Bett gegangen, draußen wurde es bereits hell.

Wenige Minuten später weckte ihn Lärm von der Straße. Ghawi stand auf und ging zu der schweren Haustür aus Eisen. Von der anderen Seite hörte er eine Stimme, die auf Hebräisch rief: "Nasir, ich weiß, dass du da bist. Geh ein paar Schritte zurück, wir sprengen jetzt die Tür auf! " Augenblicke später explodierten vier Sprengsätze, in jeder Ecke des Türrahmens einer, und die Eisentüre flog ins Haus. Eine Spezialeinheit der Polizei stürmte herein und nahm die Familie mit. Packen durften sie nichts, die Möbel landeten auf der Straße. "Ich konnte die Kleider mitnehmen, die ich anhatte und meinen Gehstock", sagt Abdel Fatah Ghawi.

Nasir ist sein jüngster Sohn. Während sich Nasirs Brüder Wohnungen in der Stadt nahmen, schlug der 46-Jährige gegenüber von seinem Haus ein Zelt auf. Seitdem rückte die Polizei mehrere Male an und nahm das Zelt mit. Einmal verhaftete sie Ghawi, drei Wochen durfte er seinen Stadtteil nicht mehr betreten. Doch Ghawi blieb - bis heute. Metallstangen, zusammengenagelte Bretter und die Äste eines Baumes halten die Lastwagenplanen zusammen. Sie bieten wenig Schutz vor dem Wind, der durch die Straße bläst und Staub in die Augen treibt. Eine Matratze liegt auf dem Asphalt, daneben stehen ein Feldbett und ein Fernseher.

Nasir Ghawi ist Drucker von Beruf, seine Druckerei ist in Ram. Das Dorf liegt gleich hinter dem israelischen Sperrwall, der acht Meter hohen Mauer, die Selbstmordattentätern den Übergang nach Israel erschweren soll. Wenn Ghawi einen guten Auftrag bekommt, fährt er dorthin und arbeitet. Sonst ist er hier. Dutzende Male, erzählt Ghawi, hätten Siedler ihn und seine Familie angegriffen, auch seine Frau Maisoun und die fünf Kinder geschlagen. Als es Winter wurde, mietete er für sie eine kleine Wohnung. Er selbst schläft fast jede Nacht im Zelt. Nie allein, das wäre zu gefährlich. Oft ist Aiman dabei, sein ältester Sohn. Oder junge Israelis oder Ausländer, die sich in Nichtregierungsorganisationen engagieren, Nachbarn, Bekannte oder Verwandte.

Vor dem Zelt brennt ein Feuer in einer rostigen Eisentonne. Ghawi sitzt auf einem weißen Plastikhocker und stochert mit einem Brecheisen in der Glut. "Ich will einfach mein Haus zurück. So lange werde ich jeden Tag hier sitzen", sagt er. In den zuckenden Schatten der Flammen scheinen die Falten in seinem Gesicht tiefer als sonst. In seinem dichten schwarzen Bart sind erste graue Haare zu sehen, ihm fehlt ein Schneidezahn. Ghawi spricht und bewegt sich langsamer als die Menschen um ihn herum - als laufe sein Leben in Zeitlupe ab. Vielleicht liegt es an dieser Ruhe, dass die anderen ihm vertrauen und die Jungen ihn respektvoll mit "Scheich" ansprechen. Die langsamen Bewegungen und sein gewaltiger Bauch täuschen. Ghawi hat den braunen Gürtel in Karate. Er ist ein Kämpfertyp.

Ein silberner Geländewagen hält vor dem Haus, ein älterer Siedler steigt aus, schwarzer Anzug, weiße Haare, nur einen Arm. "Der da drüben", sagt Ghawi und zeigt mit dem Kinn in die Richtung des Mannes. "Der kam neulich zum Zelt und wollte es einreißen. Kurz darauf rannte er heulend weg." Er lacht kehlig. Ein kleiner Sieg, der keiner ist, sondern Ausdruck von Wut und Ohnmacht.

Im Winter bekam auch Ghawis Nachbar Salih Diab, ein Mann mit traurigen Augen, ein Schreiben von den Behörden, dass er sein Haus räumen solle. Nun sitzt auch er hier, Tag für Tag. Außerdem Muhammad Sabagh, der müde ist von der ewigen Angst, Nabil al-Kurd, der so voll Wut ist, weil Siedler in einen Anbau seines Hauses zogen. Meistens schaut er weg, aber manchmal kann er das nicht mehr. Nabil al-Kurd brüllt einen Siedler an, der durch das Gartentor tritt. Der Mann trägt eine ausgebeulte braune Fleecejacke und eine weiße Kippa, die religiöse Kopfbedeckung der Juden. Seine Schläfenlocken hängen ungekämmt vom Kopf. "Raus hier! Verschwinde! " Al-Kurds Stimme überschlägt sich, das Gesicht ist verzerrt vor Wut, seine rechte Faust umklammert mit weißen Knöcheln einen Stock, den er immer wieder hebt. Er schlägt nie zu, aber spuckt seinem Feind ins Gesicht. Mit zitternden Fingern holt der Mann ein Handy aus der Innentasche seiner Jacke. "Jetzt rufen sie wieder die Polizei", sagt Maisoun Ghawi.

Die Palästinenser reden und reden. Sie erzählen, jedes Mal laufe das Gleiche ab: Die Polizisten kommen, würden den Siedlern alles glauben und ihnen nichts. Und wenn sie einen verhaften würden, dann nie einen von denen, sondern immer einen der Palästinenser. Die Siedler wollen nicht mit Journalisten reden. "Ich spreche nur mit Gott", sagt einer, zeigt in den Himmel und lacht. "Ich spreche kein Englisch", sagt ein anderer - mit Oxfordakzent. "Hebräisch. Hebräisch", antworten die meisten, und dann laufen sie weiter.

Nur einer ist bereit zu sprechen. Kein Name, kein Foto, kein Aufnahmegerät, keine Notizen. Er ist mit seiner Frau zu Besuch in Sheikh Jarrah. Eigentlich wohnen sie in Westjerusalem, seit sie vor einigen Jahren aus Amerika auswanderten. "Nach dem, was ich über die Sache hier gelesen habe, lief alles korrekt ab. Die Juden haben die Häuser doch gekauft, in denen sie jetzt wohnen", sagt der Mann. Dass Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben wurden und auf der Straße lebten, könne er sich nicht vorstellen. "Das gibt es hier nicht. Wir haben doch Polizei, die würde den Menschen helfen", sagt er ohne Arg. Ein Anwohner ergänzt wütend: "Wir waren zuerst hier. Wir haben die Palästinenser doch als Arbeitskräfte hergeholt."

Maya Wind hat wenig Zeit, vielleicht spricht sie deswegen so schnell. Sie ist Israelin, sie liebe ihr Land, sagt sie. Sie sehe es "zur Hölle gehen", und sie wolle sich nicht damit abfinden. Maya Wind verlor viele ihrer Freunde. Sie redet, was sie denkt - und vielen erscheint das zu wenig patriotisch. Wind ist zwanzig, sieht aber älter aus mit ihren streng zurückgebundenen Haaren. "Man wird schnell erwachsen hier", sagt sie. Wind arbeitet für drei Nichtregierungsorganisationen und setzt sich für Frauenrechte ein. Und an jedem Freitag, wenn in Israel das Wochenende beginnt, demonstriert sie mit Gleichgesinnten gegen die Siedler in Sheikh Jarrah. Für viele ihrer Landsleute ist sie eine Verräterin.

Winds Großmutter überlebte den Holocaust in Deutschland und kam nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ins Land. Ihren Kindern und Enkeln schärfte sie ein, Juden seien immer Opfer gewesen. "Wir wachsen in Furcht auf. Die Israelis sehen sich nicht als Täter, sondern wieder als Opfer", sagt sie. "Das entschuldigt nichts. Aber es erklärt vieles." Sie wuchs auf in Gilo, einem auf konfisziertem Land erbauten Jerusalemer Viertel, ging auf eine religiöse Schule und dachte bis kurz vor ihrem Abitur: Die Araber hassen uns. Eines Tages unterhielt sie sich mit einer Palästinenserin, danach begann sie, Fragen zu stellen, stritt sich mit ihren Eltern und Freunden. Als sie zur Armee sollte, verweigerte sie den Pflichtdienst und kam ins Gefängnis. Nach vier Monaten, im April 2009, wurde sie aus dem Dienst entlassen. Begründung: Wind sei psychisch nicht ganz gesund. "Das ist ihre Art, Wehrdienstverweigerer loszuwerden", sagt sie über die israelische Gesellschaft. "Wenn mit uns etwas nicht in Ordnung ist, muss sich die Armee nicht selbst hinterfragen."

"Mein Vater war Soldat, und er hat getötet. Er ist aber ein guter, ein moralischer Mensch. Wie geht das zusammen?", fragt Maya Wind. Ob die Dokumente der Siedler gefälscht sind oder nicht, ist für sie bei diesem Streit nicht wichtig. "Egal wer recht hat - derzeit gibt es ein Recht auf Rückkehr für Israelis, nicht aber für Palästinenser. Aber wir müssen alle Menschen hier im Land gleich behandeln."

Am oberen Ende der Othman-ben-Afan-Straße steht schon seit Stunden ein Polizeiauto. Nach Einbruch der Dunkelheit fährt es jede halbe Stunde die Straße hinunter und wieder hinauf. Blaulicht zuckt quer über die Häuserwände und das Zelt. Nach ihrer dritten Fahrt stellen die Polizisten das Auto ein paar Meter oberhalb des Zeltes quer zur Fahrbahn. "Wenn die Siedler uns nachts angreifen wollen, halten die Polizisten sie manchmal zurück. Und manchmal lassen sie sie einfach gewähren", sagt Ghawi.

Er drückt seinem dritten Sohn Abdallah ein paar Münzen in die Hand. Der Neunjährige umklammert das Geld mit der Faust und rennt los, zusammen mit seinen Brüdern Adam, viereinhalb, und Muhammad, zwölf Jahre alt. Maisoun Ghawi spielt im Zelt mit Sarah, der zweijährigen Tochter. Davor sitzen die Männer, starren in die Flammen, rauchen schweigend oder trinken Tee aus Plastikbechern, die sie ins Feuer werfen, wenn sie leer sind. Die Freunde von Aiman, Ghawis ältestem Sohn, haben Laptops dabei und surfen damit über das drahtlose Netz eines der benachbarten Häuser. Salih Diab legt ein engmaschiges Drahtgitter auf die Eisentonne und kocht in einer rußgeschwärzten Kanne Tee. Maisoun Ghawi legt Brotfladen daneben, bis sie knusprig braun sind.

Die Kinder kommen zurück, rote Gesichter und außer Atem, mit einer Tüte voller Falafelbällchen. Fett trieft durch das rosafarbene Papier. Maisoun Ghawi füllt die heißen Brotfladen mit Falafel und Gemüse, reicht sie herum. Immer wieder kommen Freunde und Bekannte vorbei, auf ein kurzes Gespräch, eine Zigarette, einen Tee.

Ghawi steht ein paar Schritte vom Feuer und den anderen entfernt, sein bärtiges Gesicht liegt zur Hälfte im Schatten. Er will noch ein paar Sätze loswerden. "Die Vertreibung war das wichtigste Ereignis in meinem Leben. Als die Spezialeinheiten der Polizei meinen Sohn geschlagen haben...", erspricht nicht weiter, sondern schaut in den Nachthimmel über Jerusalem. Ghawi hat seine Familie nicht beschützen können, er hat verloren gegen einen Gegner, gegen den er nie eine Chance hatte. Aber einfach gehen kann er nicht.

"Eines Tages könnten die Siedler schießen, um meinen Kampf zu beenden. Ich liebe das Leben, aber wenn Gott es beenden will, dann ist es so", sagt er fast schon schicksalergeben. Ob es denn nicht wichtiger wäre, sich um die Familie zu kümmern, als einen aussichtslosen Streit auszufechten. "Das ist weniger wichtig", sagt er so leise, dass seine Frau und die Nachbarn ihn nicht hören können. Nach dem Essen verabschiedet sich einer nach dem anderen. Auch Ghawi schläft heute in der kleinen angemieteten Wohnung.

Gegen Mitternacht sitzt nur noch der 18 Jahre alte Aiman am Feuer, brät Esskastanien und zieht alle Viertelstunde eine neue Rothmans aus der Zigarettenschachtel, um sich wachzuhalten. Aiman musste schnell erwachsen werden. Er ist ausgebildeter Grafikdesigner und hilft seinem Vater in der Druckerei, auf dem College lernt er Koch und arbeitet in der Notaufnahme eines Krankenhauses als Rettungssanitäter. An manchen Tagen hat er kaum Zeit zum Essen, zum Schlafen erst recht nicht. Er erzählt von Männern, die, von mehreren Kugeln getroffen, unter den Händen seiner Kollegen sterben. Und davon, dass er nach Irland einreisen darf, wenn am College die Noten stimmen.

Aimans Redefluss stockt. Eine Siedlerin geht auf der anderen Straßenseite vorbei. Er steht auf, schaut ihr hinterher, ruft "Nutte! " mit seiner tiefsten Stimme und setzt sich wieder. Ob er das Land verlassen will? "Ich wäre dumm", sagt er, zieht an seiner Zigarette, schweigt, und legt einen neuen Holzscheit ins Feuer, "wenn ich die Chance nicht nutze, wenn ich sie bekomme", vollendet er den Satz. Aiman blickt in die Flammen. Das Mobiltelefon in der Tasche seiner hellgrauen Trainingshose vibriert. Eine SMS vom Krankenhaus. "Ich soll so schnell wie möglich kommen", sagt er mit ruhiger Stimme und geht zu seinem Auto. Er hat seit achtzehn Stunden nicht geschlafen.

Jeden Freitagnachmittag treffen sie alle zusammen. Nasir Ghawi und seine Nachbarn, Maya Wind und bis zu vierhundert andere junge, linke Israelis, alte Friedensaktivisten wie der Schriftsteller Uri Avnery auf der einen Seite, die Polizisten und Siedler auf der anderen. Die Demonstranten halten Plakate hoch mit dem Slogan "End the occupation" - beendet die Besetzung! Sie skandieren auf Englisch "One, two, three, four: occupation no more" - eins, zwei, drei, vier: nie mehr Besetzung! Knapp zwanzig Polizisten warten auf einem Hügel und geben sich locker. Der Einsatzleiter steht breitbeinig am Fuße des Hügels. Glatze, Sonnenbrille, die muskulösen Arme hat er vor der Brust verschränkt.

Zwischen Demonstranten und Polizisten laufen Siedler mit nervösen und siegessicheren Blicken hindurch. Nach einer Stunde greift sich der Einsatzleiter einen Lautsprecher und fordert die Demonstranten auf, zu gehen. Die antworten mit Trillerpfeifen. Zwei weiße Reisebusse fahren vorbei, Touristen halten Handykameras gegen die Scheiben. An der Absperrung zur Othman-ben-Afan-Straße gibt es einen kleinen Tumult. Demonstranten und Polizisten geraten durcheinander, Schimpfwörter, Fäuste, Festnahmen. Siedler kommen aus der nahen Synagoge, ihr Weg führt mitten durch die wütende Menge. "Diebe! ", brüllen die jungen Menschen und "Du sollst nicht stehlen! " Viele Siedler haben Kinder dabei, die Mädchen mit Röcken, die Jungen mit schwarzen Anzügen, die Haare an ihren Schläfen sind zu Locken aufgedreht. Verstört und verständnislos blicken sie gegen eine Wand aus Menschen, die ohnmächtig brüllt und spuckt.

Hatim Abu Ahmad ist Anwalt, Palästinenser mit israelischem Pass, und er fährt einen schwarzen VW-Geländewagen mit braunen Ledersitzen. Abu Ahmad war mal Boxer. Eigentlich ist er Fachmann für Wirtschaftsrecht. Als er vor fünf Jahren nach Jerusalem kam, hörte er von Sheikh Jarrah, den Vertreibungen, den Siedlern. "Ich helfe den Familien, weil ich es kann", sagt er. Geld nehme er dafür keines - "ich kann mir das leisten." Dabei legt sich die Haut um seine Augen in kleine Lachfalten, die Mundwinkel bewegen sich kaum. Abu Ahmad trägt Armani. Er lacht viel, streut in das Gespräch Anekdoten aus seiner Studentenzeit in den USA ein.

"In Israel vor Gericht recht zu bekommen, ist eine Frage der Strategie", sagt Abu Ahmad. "Man kann hierzulande recht haben, aber mit der falschen Strategie trotzdem verlieren." Für einen Palästinenser gelte das mehrfach. Als Abu Ahmad seinen ersten Boxkampf gegen einen jüdischen Israeli verloren hatte, nahm ihn ein Trainer zur Seite und sagte: "Wenn du gegen den gewinnen willst, darfst du den Kampfrichtern keine Wahl lassen. Du musst fünfmal so gut sein wie er." Im Rückkampf schlug er seinen Gegner in der zweiten Runde k. o.

Können Palästinenser für ihr Eigentum keinen Nachweis erbringen, der die israelische Behörde zufriedenstellt, gilt ihr Land als herrenlos. Israelis können sich für solche Grundstücke öffentlich eintragen lassen, vorausgesetzt niemand legt Widerspruch ein. Oder sie können sich anonym für das Grundstück vormerken lassen, und müssen dann innerhalb von 15 Jahren einen Antrag auf Eigentum stellen, sonst verfällt der Anspruch.

Hier wisse jeder, dass die Dokumente gefälscht seien, mit denen die Siedler Anspruch auf Häuser und Grundstücke erheben, sagt Abu Ahmad. "Aber in den Archiven sind nicht solche Dokumente zu finden, die die Palästinenser bräuchten, um zu beweisen, dass sie recht haben." Deshalb hat er seine Strategie geändert. Abu Ahmad setzt auf Formfehler im komplizierten israelischen Verfahren. Und zum ersten Mal seit Jahren scheinen die Anwälte der Siedler verunsichert. Wenn er demnächst für die Nachbarsfamilie Diab in den Ring steigt und gewinnt, "könnte das auf ähnliche Fälle Einfluss haben", sagt er. Auch auf Ghawis Fall.

 

OBEN: Im Schein des Lagerfeuers sitzt Nasir Ghawi vor seinem Haus

UNTEN: Siedler bestreiten, dass es ihm gehöre. Seit einem Jahr campiert er mit Frau und Kindern davor. Oft gesellen sich Nachbarn dazu

Hass gegen neue Nachbarn, die Ghawis Haus mit israelischen Fahnen und dem jüdischen Leuchter schmücken

OBEN: Israelische Demonstrantin beim Picknick mit Kind. Ein Polizist schaut verwundert zu seiner Landsfrau herüber

UNTEN: Ghawis Stadtteil Sheikh Jarrah - verwahrlostes Ostjerusalem

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