Warum drehen Sie Filme über orthodoxe Jüdinnen?
Ich habe ja in ihre Welt eingeheiratet. Und je mehr ich sie erlebte und erforschte, auf desto mehr Geschichten voller Absurdität und Spannungen bin ich gestoßen, die ich aus meinem Blickwinkel erzählen wollte.
Zum Beispiel?
Im Judentum gilt der weibliche Körper während der Menstruation als unrein. Und bei den orthodoxen Rabbinern, die in Israel das Sagen haben, sogar eine Woche darüber hinaus. In dieser Zeit ist jegliche Berührung mit dem eigenen Mann verboten. Deswegen können viele Frauen nicht schwanger werden. Ich wollte einen Film über das Ritualbad Mikwe drehen, wie es die Tradition nach Ende der unreinen Phase vorschreibt: Frauen tauchen nach der Zeit der Unreinheit in der Mikwe unter, um wieder als rein zu gelten. Ich war auf einer religiösen Filmschule, der Film sollte meine Abschlussarbeit sein. Aber der Hochschuldirektor warnte mich, er würde den Film als unkeusch und gotteslästerlich ablehnen, wenn ich darin auch nur einen entblößten Zeh zeigen würde. Also machte ich den Film "Tehora" (auf Deutsch: Rein) erst danach. Es war mein erster Film über die orthodoxe Welt.
Sie brachten orthodoxe Frauen dazu, vor der Kamera über ihre Sexualität zu sprechen. Wie haben Sie das geschafft?
Ich war stur, gründlich und nahm mir viel Zeit. Ich habe zuerst gut 100 Interviews geführt, erst mit Bekannten, dann mit ihren Freunden, mit Rabbinern, Brautberaterinnen und allen, die an diesem Ritual beteiligt sind. Dabei fand ich meine Protagonistinnen. Erst erzählten sie mir nur die offizielle Version, die sie Fremden immer erzählen: dass die zweiwöchige physische Trennung sie ihren Männern näherbringe, weil die sexuelle Abstinenz die Lust steigere. Da ich Ähnliches erlebt habe wie sie, konnte ich ins Detail gehen. Die Gespräche wurden ehrlicher. Und schließlich öffneten sich einige, die bisher mit ihren Problemen allein waren.
Was haben sie erzählt?
Eine Frau erzählte von einer schrecklichen Schwangerschaft, bei der sie immer liegen musste. Sie bekam Zwillinge und hatte keine Kraft für weitere Kinder, zumal sie die beiden allein erziehen musste. Sie bat den Rabbi um eine Genehmigung, die Pille zu nehmen. Der Rabbi erteilte sie zwar, aber nur für zwei Jahre und vier Monate. Eine andere Frau erzählte, dass sie nach der dritten Geburt acht Wochen blutete. Sie wollte, dass ihr Mann sie in der Zeit mal in die Arme nimmt. Doch das ist strikt verboten - wegen der Unreinheit. Umgekehrt, wenn der Mann krank ist, darf ihn die Frau sehr wohl betreuen. Eine dritte Frau berichtete, ihren ersten Sex in der ersten Nacht nach der Hochzeit habe sie beinahe als Vergewaltigung erlebt. Vorher durfte sich das Paar nicht mal berühren.
Ihr zweiter Film heißt "Mekudeshet", das hebräische Wort für "verheiratet". Worum geht es da?
Dazu muss man wissen, dass es in Israel keine Standesämter gibt. Juden heiraten beim Rabbiner und lassen sich dort scheiden, Christen beim Priester und Muslime beim Imam. Eine russischstämmige Jüdin sagte mir, sie bekomme beim rabbinischen Gericht keine Einwilligung in ihre Scheidung, und sie verstehe nicht warum. Ihr Mann hatte sie vor der Geburt des gemeinsamen Kindes sitzenlassen, zahlte niemals Kindergeld und blieb sogar den meisten Gerichtsverhandlungen fern. Sie hoffte, ich als gebürtige Israeli würde sie verstehen. Erstmals erlebte ich beim rabbinischen Gericht, wie da ein Ehestreit verhandelt wird. Ich war schockiert. Plötzlich begriff ich, dass dies eine theokratische Institution ist. Drei alte Rabbiner leiteten die Sitzung, sie sprachen eine Mischung aus Hebräisch und Jiddisch, die ich nicht verstand. Mit der russischstämmigen Frau redeten sie kein Wort - eben weil sie eine Frau ist. Erst nach der Sitzung habe ich verstanden, worauf die Rabbis hinauswollten: Die Frau sollte ihren Mann, der wieder einmal nicht da war, von der Scheidung überzeugen.
Später sah der Oberrabbiner Ihren Film, war empört und drohte dem Mann Ihrer Protagonistin eine Gefängnisstrafe an, weil er über vier Jahre die Scheidung verweigert hatte. Dann erst kam die Sache ins Rollen.
Mehr noch: Oberrabbiner Shlomo Amar forderte alle rabbinischen Richter auf, meinen Film zu sehen. Er lud mich sogar in sein Büro ein. Gesprochen hat er aber nur mit meinem Mann, als ob ich gar nicht da wäre. Das ist bei Orthodoxen so üblich. Wir konnten den Film sogar im Parlament zeigen, in einer Sitzung des Frauenausschusses. Viele Parlamentarier, sogar Minister kamen. Alle sagten, sie hätten nicht gewusst, dass Frauen in rabbinischen Gerichten derart erniedrigt werden.
In ihrem neuen Film "Black Bus" zeigen Sie Busse in Jerusalem, in denen Frauen durch die hintere Tür ein- und aussteigen müssen und nur hinten sitzen dürfen.
Den Film habe ich gedreht, weil mich eine orthodoxe Freundin überzeugte, dass dies einer der schlimmsten Fälle von Frauendiskriminierung im öffentlichen Raum sei. 2007 hatten schon religiöse Frauen gegen diese Form von Segregation geklagt. Und das Oberste Gericht gab Ihnen Recht. Trotzdem ignorierte der Verkehrsminister die Entscheidung mit der Begründung, die Trennung der Geschlechter geschehe freiwillig. Er hatte vor dem Druck der Orthodoxen kapituliert. Nun erwarte ich eine neue Klage vor dem Obersten Gericht und eine erneute öffentliche Diskussion. Die Segregation betrifft schließlich immer mehr Buslinien. Inzwischen sind es 56, die jüdisch-orthodoxe Ortschaften und Jerusalemer Stadtteile verbinden.
Was haben Sie beim Dreh in den Bussen erlebt?
Wir drehten viel mit versteckter Kamera. Wenn man uns entdeckte, wurden wir bedroht und beschimpft. Wir waren immer mit mehreren Mitarbeitern unterwegs, um schneller zu merken, wenn sich jemand gegen uns wandte. Bevor es zu Angriffen kam, stieg unser Kamerateam dann schnell aus. - Inzwischen findet man in orthodoxen Stadtteilen sogar Kliniken mit getrennten Wartezimmern und getrennte Sitzbänke in Parks.
Wie erklären Sie die zunehmende Beschäftigung der Orthodoxen mit Keuschheitsgesetzen?
Dafür sind die neuen fundamentalistischen jüdischen Bewegungen verantwortlich. Sie sind sehr radikal, wie es früher mal die Kommunisten waren. Sie sind Utopisten und lehnen die realistischen Gesetzesinterpretationen der früheren Orthodoxen ab.