chrismon: Seit wann gibt es das Wort überhaupt?
Ulrich Grober: Seit 1713. Damals wurden im Erzgebirge die Wälder für den Bergbau abgeholzt: für den Stollenausbau und für die Verhüttung. Hans Carl von Carlowitz, ein Berg-Hauptmann, sollte den Nachschub sichern. Er forderte eine "nachhaltende Nutzung" des Waldes: nicht mehr Holz fällen als nachwächst. Weil die deutsche Forstwirtschaft zu Carlowitz´ Zeiten führend war, kam das Wort in andere Länder. Das englische Wort "sustainability" ist eine direkte Übersetzung aus dem Deutschen. Das Denken, das dahinter steht, gibt es aber schon viel länger.
Nämlich?
Nachhaltigkeit greift zurück auf die Schöpfungsgeschichte der Bibel mit ihrem Gebot, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Noch im 18. Jahrhundert argumentierte der schwedische Botaniker Carl von Linné, ein Lutheraner, sinngemäß: Wenn irgendwo in einem schwedischen Wald eine Blume wachse, habe diese Art auch schon im Garten Eden gestanden. Mit so einer Pflanze könne der Mensch nicht umgehen wie mit toter Materie. Die Schöpfungsmythen anderer Religionen haben ganz ähnliche Gebote.
Der Mensch hört aber nicht mehr auf dieses Gebot, siehe Klimawandel und Erderwärmung. Warum?
Weil er die unterirdischen Wälder gefunden hat; die fossilen Brennstoffe Kohle, Öl und Gas. Das schien ein unendliches Füllhorn zu sein. Aber ich bin optimistisch: Der Mensch ist lernfähig, der Ratschlag des Berg-Hauptmanns von Carlowitz hat seinerzeit auch verfangen - die Wälder im Erzgebirge erholten sich.
Alle sprechen jetzt von Nachhaltigkeit. Warum hat der Begriff so eine Karriere gemacht?
Nachhaltig, das signalisiert, dass jemand die Probleme der Zukunft mitdenkt und löst. Für die Werbung ist das perfekt. Werber erfinden Sprüche wie "Die nachhaltige Befreiung der Kopfhaut von Schuppen". Nachhaltige Konzerne versprechen Umweltschutz. In den USA heißt das "Greenwashing" - man gibt sich einen grünen Schein. Das Verständnis der gegenwärtigen Wirtschaft passt aber nicht zur Kulturgeschichte der Nachhaltigkeit.
Wie meinen Sie das?
Die Wirtschaft setzt seit Jahrzehnten auf Deregulierung, Nachhaltigkeit braucht Regeln. Heute ist das kurzfristige Kosten-Nutzen-Denken wichtig - bei Nachhaltigkeit geht es um die Zukunft.