Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
Tim Wegner
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
07.10.2010

"Ich leb' doch nicht für mich allein." Das sagen viele, und deshalb tun sie was. So wie früher Johann Hinrich Wichern . Der Pfarrer, vor 200 Jahren geboren, sah das Elend in den Häusern der Hamburger Vorstadt St. Georg und handelte . Für ver wahrloste Kinder gründete er das Rauhe Haus und später das Johannesstift in Berlin. Der erste war er natürlich nicht. Das soziale Elend im 19. Jahrhundert hatte viele Christen dazu gebracht, Vereine und "Anstalten" für Krankenpflege, Kindererziehung und Seelsorge zu gründen. Ihre tatkräftige Nächstenliebe, so hoff ten sie, würde nicht nur Einzelne retten, sondern die Gesellschaft insgesamt erneuern helfen. Wichern führte ihre Initiativen zu einer Bewegung zusammen - der Anfang der modernen Diako nie. Auc h heute wagen viele Menschen einen Anfang: Sie gucken hin, wenn andere in Schwierigkeiten stecken. Sie sagen sich: Es ist einfach menschlich zu helfen. Das sind Wicherns Erben. Es sind Tausende - einige stellen wir Ihnen hier vor.

Ich beschloss, die Leute nicht mehr reinzuschicken, sondern rauszuholen.

Vor über 35 Jahren fing es an mit Friedel Pfeiffer und den Knackis: Der gelernte Schneidermeister war Laienrichter am Landgericht in Wuppertal und besichtigte eine Jugendhaftanstalt. "Zum ersten Mal wurde mir klar, wie hoch die Mauern sind", sagt Pfeiffer. "Da beschloss ich, die Leute nicht mehr reinzuschicken, sondern sie rauszuholen."

So besuchte er die Häftlinge im Jugendgefängnis, sang und betete mit ihnen. Pfeiffer betreute sie auch nach ihrer Entlassung. Denn er wollte sein christliches Engagement konsequent leben. Doch viele der ehemaligen Knackis wurden rückfällig. "Die standen im Sumpf und hatten keinen festen Sockel, die waren chronische Versager", sagt er.

1975 gründete Pfeiffer mit rund 30 Freunden in Hückeswagen im Bergischen Land die "Gefährdetenhilfe Scheideweg", um den Haftentlassen4n das zu geben, was seiner Ansicht nach fehlte: ein intaktes Zuhause, eine Arbeitsstelle und ein sinnvolles Freizeitprogramm. Wie einige Gleichgesinnte nahmen er und seine Frau Marianne Süchtige und Straffällige bei sich auf; heute kümmern sich 16 Familien um etwa 100 junge Leute. Sie leben in Wohngemeinschaften. Drogen, Alkohol und Nikotin sind tabu.

Die Nachbarn hatten protestiert, damals, sie fürchteten Diebstähle und Gewalt. "Ehrbare Bürger müssen Knackis weichen", schrieb die Lokalzeitung. Aber es passierte nichts, all die Jahre nicht. Bedingungsloses Vertrauen schenken, auch wenn jemand ein Messer in der Tasche hat - das wurde zu Pfeiffers Lebensmotto. "Es erschüttert die Menschen, weil sie nicht damit rechnen. Damit bringe ich sie zum Nachdenken", sagt er.

2004 gab er Vorsitz und Geschäftsführung des Vereins an Jüngere weiter. Aber er ist nicht müde geworden, immer noch kommt er beinahe täglich in sein Büro, und er spricht viel mit kaputten Menschen. "Ich frage sie: Wer ist stolz auf dich? Fast keiner kann mir eine Antwort drauf geben." www.gefaehrdetenhilfe.de

Das eigene Risiko ist kalkulierbar

Chirurgenmantel, Schürze, Maske, Brille, Kopfschutz, Handschuhe und Gummistiefel, auf dem Rücken ein Kanister mit hochprozentiger Chlorlösung - kein Wunder, dass die Einheimischen Christian Katzer für einen Außerirdischen halten. März 2005, in Angola grassiert das Marburg-Fieber. Eine hochansteckende Krankheit, unheilbar, es gibt schon mehr als 100 Tote. In einem Provinzkrankenhaus säubern Christian Katzer und sein Team die verseuchte Notaufnahme, bauen eine Isolierstation auf, räumen und desinfizieren die überfüllte Leichenhalle. Und dann müssen die Toten in der Stadt eingesammelt werden, gegen den verzweifelten Widerstand ihrer Angehörigen. Unvorstellbar, was der Bauingenieur, der bei diesem Einsatz von "Ärzte ohne Grenzen" der Logistiker war, gesehen und erlebt hat. Und das eigene Risiko? "Ist kalkulierbar", sagt Katzer. "Wenn man sich auf die eigene Erfahrung und die seiner Organisation verlassen kann. Das sind alles sehr verantwortungsbewusste Leute, da fühlt man sich sicher." Was treibt ihn überhaupt in die schlimmsten Krisengebiete der Welt? "Es ist doch ein normaler menschlicher Impuls, helfen zu wollen." Diesen Impuls spürte Katzer spätestens seit einem Praktikum beim Neubau einer Schule in Guatemala. Das nächste Mal, das wurde ihm klar, würde er dahin gehen, wo "Nothilfe" gefragt war, "wo die Menschen einen am dringendsten brauchen, und zwar sofort". Gleich nach dem Studium heuerte er bei "Ärzte ohne Grenzen" an, projektweise, sein Geld verdiente er zwischen den Einsätzen als Fahrer für eine Berliner Filmproduktionsfirma. Dann wieder Gabun, Liberia, Osttimor, Afghanistan - mal drei Wochen, mal fünf Monate. Sein Job: den medizinischen Helfern helfen. Funkgeräte und Fahrzeuge beschaffen, Reparaturen organisieren, den Medikamentennachschub sichern, für sauberes Wasser und funktionierende Isolierstationen sorgen. Heute arbeitet er in der Berliner Zentrale der Organisation und ist mitverantwortlich für die Helfer in fünf Ländern. www.msf.de

Ich mache das nicht, um den ganzen Tag am Schreibtisch zu sitzen

"Du bist nicht wie die anderen Mütter", hat ihr Sohn einmal gesagt, damals noch ein Teenager. Und Sandra Alberti, 68, findet das noch heute witzig. Nein, die Italienerin saß nie mit einer Handarbeit im Wohnzimmer. "Dazu habe ich zu viel gesehen." Als Alberti 1971 als Frau eines deutschen Lehrers nach Dortmund kam, traf sie schnell auf Landsleute: Gastarbeiter, für die damals florierende Kohle- und Stahlindustrie angeworben. Anders als Alberti lebten sie in ärmlichen Behausungen. Die Kinder wurden in separaten Klassen unterrichtet, hatten kaum Chancen auf einen höheren Schulabschluss. "Sie waren dazu verdammt, die Letzten in der Gesellschaft zu werden." Sandra Alberti engagierte sich in italienischen Zentren und im Ausländerbeirat. Früher als andere erkennt sie, dass es für die allerwenigsten bei einem Gastspiel bleiben wird. Nicht nur Italiener, auch andere Migranten würden im Alter noch in Deutschland leben. Doch Spanisch sprechende Logopäden oder Pflegeheime, in denen ohne Schweinefleisch gekocht wird, die gab es nicht. "Und auch die Migranten selbst waren darauf nicht vorbereitet. Sie wussten zu wenig über Deutschland und kannten ihre Rechte nicht." 1993 eröffnet Alberti mit Mitstreitern die "Internationale Altenbegegnungsstätte" in der Dortmunder Nordstadt. Hier treffen sich Menschen aus zwölf Nationen - zu Vorträgen und Deutschkursen, zu Gymnastik und Kaffeetrinken. Eine schnelle Erfolgsgeschichte. Alberti nimmt zwei Bundespreise entgegen, akquiriert Spenden, spricht mit Journalisten und Wissenschaftlern. Trotzdem wurden die Fördermittel irgendwann knapp. Und die zunehmende Verwaltungsarbeit wird zur Last. "Ich mache das doch nicht, um den ganzen Tag am Schreibtisch zu sitzen." Lieber würde sie die Menschen aus der Tagesstätte bei ihrem neuen Projekt begleiten. Sie suchen einen gemeinsamen Wohnsitz: "Türkische Männer sind dabei und russische Frauen. Das wird hochspannend." www.vif-do.de

Die einfachsten Sachen fehlten: Stifte, Hefte, Socken

Als Bettina Ismairs jüngster Sohn 2000 eingeschult wurde, erzählte er von drei afghanischen Mitschülern, die kein Deutsch sprachen. Die einfachsten Sachen fehlten ihnen, Stifte, Hefte, Socken; Unterricht war kaum möglich. "Ich war so entsetzt, weil es für mich selbstverständlich war, diese Dinge zu kaufen." Die Teilzeitangestellte sammelte Spenden, sie erfuhr, dass manche der Jungen und Mädchen Vertreibung und Flucht hinter sich hatten. "Da wollte ich ihnen ein Stück heile Welt abgeben", sagt Bettina Ismair. Die Kinder sollten sich wohlfühlen in der neuen Heimat. "Aber das geht nur, wenn du ein Land von innen erlebst." Ihre Idee: einmal die Woche nachmittags ausländische Kinder einladen zum Essen, Hausaufgabenmachen, Spielen. Anfangs waren sie fünf deutsche Mütter, drei kleine Afghanen und ein thailändisches Mädchen. "Ich war so nervös, sie verstanden mich ja nicht", erzählt Bettina Ismair. Als Erstes zeigte sie die Toilette. Dann den Kühlschrank. Hast du Hunger? Möchtest du ein Brot? Nicken, Kopfschütteln. Ein Memoryspiel: Haus, Vogel, Apfel, Baum. Und dann: lachende Gesichter. Bettina Ismair begeisterte immer mehr ausländische und deutsche Eltern für das "Offene Haus" - bisher nahmen 50 Kinder aus Angola, Usbekistan, Polen oder Vietnam teil. Freilich machen nicht alle deutschen Eltern mit. Eine Mutter sagte: "Um Gottes willen, so sozial bin ich nicht." Eine andere meinte, es sei doch viel einfacher, "denen" einen Deutschkurs zu zahlen. "Aber ich leb' doch nicht für mich allein! ", ruft Bettina Ismair. Beherzt - dieses Wort trifft sie gut: nicht wegschauen, nicht diskutieren, sondern zupacken. Alle würden reicher, wenn Integration funktioniere: "Auch ich habe viel gelernt. Zum Beispiel, dass man buddhistischen Kindern nicht über den Kopf streichelt, denn dort sitzt die Seele. Und dass sich viele Menschen weltoffen geben und großzügig. Wenn aus Worten Taten werden sollen, sind sie weg. Andere sind still und bescheiden und handeln einfach." www.offenes-haus.eu

"Eine wunderbare Aufbruchsgeschichte"

Von weitem sieht er streng aus, wenn er mit Lutherrock und Stehkragen durch den Bundestag schreitet. Doch wer Stephan Reimers gegenübertritt, dem fällt als Erstes sein freundlicher, gewinnender Blick auf. Und wie leise und bedächtig er spricht. Seit 1999 lebt der Hamburger in Berlin, als Verbindungsmann der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Politik. Zuvor hatte er sich einen Namen gemacht als einer, der sich für andere einsetzt, der unkonventionelle Ideen hat und konsequent zur Tat schreitet.

1993 - da war er noch Leiter der Hamburger Diakonie - gründete Stephan Reimers eine der ersten Obdachlosenzeitungen Deutschlands, "Hinz & Kunzt". Die Idee: Obdachlose sollen nicht betteln, sondern als Straßenverkäufer dieser Zeitung aus eigener Kraft Geld verdienen. 100 000 Exemplare wurden in den ersten Wintern verkauft. Reimers unterstützte den Aufbau der Hamburger Tafel: Hotels, Discounter und Großmärkte spenden Lebensmittel, die sich nicht mehr verkaufen lassen. Diakoniemitarbeiter verteilen sie an Bedürftige. Außerdem initiierte Reimers das Hamburger Spendenparlament: Es beschließt, welchen Sozialprojekten gegen Armut und Arbeitslosigkeit die Spenden zugutekommen. Mit einer Jahresspende von mindestens 60 Euro kann jeder Sitz und Stimme erlangen. "Eine wunderbare Aufbruchsgeschichte", sagt Reimers heute über seine Zeit in der Hamburger Diakonie, "dass man mit vielen Leuten so vieles für die Ärmsten der Armen beginnen konnte." - Man? "Es waren ja auch andere dabei", sagt Reimers, "man war ja nicht allein."

Obdachlosenzeitungen, Tafeln und Spendenparlamente gibt es inzwischen in vielen deutschen Städten. Anfang 2009 tritt Reimers in den Ruhestand. Er zieht mit seiner Frau zurück nach Hamburg und engagiert sich wieder in der Diakonie. Seit Anbeginn war Reimers kontinuierlich Mitglied im Spendenparlament, auch von Berlin aus. Nun will er dort wieder richtig mitmachen.

Elisabeth Albrecht, Regensburg: Palliamo e. V.

Zu Hause sterben, das wünschen sich viele unheilbar Kranke. Doch was, wenn die Schmerzen unerträglich werden? Seit Elisabeth Albrecht in den achtziger Jahren Medizin studierte, beschäftigt sie sich mit Palliativmedizin. "Wenn man einen Menschen schon nicht heilen kann, sollte man zumindest dafür sorgen, dass er sich möglichst wohlfühlt." Die Internistin gründete 2003 mit Gleichgesinnten den Regensburger Verein "Palliamo - Palliativversorgung mobil". Ein Team aus Fachkräften kommt ins Haus und unterstützt Angehörige, Sozialdienste und Hausärzte bei der Patientenversorgung, notfalls auch nachts. Ihr Erfolg: wenn ein Mann mit Lungenkrebs im Endstadium wieder ohne Atemnot schlafen kann. Und eine junge Mutter bis zuletzt eine lebenswerte Zeit mit ihrer Familie hat. http://www.palliamo.de

Robert Veltmann, Berlin: gebewo

Goldfarbene Bordüren, Kronleuchter und edle Möbel in einem Obdachlosenheim? Ein bisschen Luxus für körperlich und seelisch Geschwächte! Robert Veltmann hat mit Hilfe von Spenden ein ungewöhnliches Haus in Berlin geschaffen. 21 suchtkranke Männer sollen sich im "Reichtum 2 Haus Schöneweide" wohlfühlen, sagt der Geschäftsführer der Gesellschaft zur Betreuung Wohnungsloser und sozial Schwacher. Die Bewohner des Hauses bestimmen selber, wie ihre Zimmer gestaltet werden. Die Konzeptkünstlerin Miriam Kilali entwarf die Gemeinschaftsräume. www.gebewo.de

Birgit Wein-Mönch, Biberach: Kontaktpflege

Sie arbeitet in einer Pharmafirma und bringt ihre Kollegen dazu, sich um die Bewohner einer Behinderteneinrichtung zu kümmern. Birgit Wein-Mönch organisiert gemeinsame Feste und vermittelt Patenschaften. www.heggbach.de

Irene Piontek, Kronach: Das Lädla

Mehrmals pro Woche schickt Irene Piontek einen mobilen Laden durch fränkische Landgemeinden - für Sozialhilfeempfänger. Supermärkte, Drogerien und Bäckereien spenden dafür falsch verpackte oder fast abgelaufene Ware. www.caritas-kronach.de

Wera Röttgering, Münster: Herzenswünsche e. V.

Wera Röttgering erfüllt schwer kranken Kindern Wünsche: Dem Werder-Bremen-Fan einen Nachmittag mit seinen Idolen, der Pferdeliebhaberin Reitstunden. www.herzenswuensche.de

Dietmar Schönherr, Nicaragua: Pan y Arte

Der Schauspieler setzt auf Brot und Kunst. In Nicaragua baut er ein 1998 durch den Hurrikan Mitch zerstörtes Dorf wieder auf und fördert ein Kulturzentrum der Stadt Granada. www.panyarte.org

Klaus Schuker München: Taka Tuka

Wer in München "Hasenbergl" sagt, meint: sozialer Brennpunkt. Was machen Kinder, die auch sonst kaum den Stadtteil verlassen, in den Sommerferien? Die diakonische Initiative Taka Tuka vermittelt mehrwöchige Aufenthalte in Ferienfamilien. Klaus Schuker aus Oberschwaben ist ein solcher Gastvater. Selbst kinderlos, verbringen er und seine Frau jeden Sommer mit Vanessa, 15. Als ihnen das dunkelhäutige Mädchen vor fünf Jahren das erste Mal am Bahnhof gegenüberstand, war ihnen noch ein wenig mulmig zumute. Auch Vanessa hatte ihre Wollmütze tief ins Gesicht gezogen und versteckte sich hinter einer Freundin. Mittlerweile hat die Familie auf Zeit ihren Rhythmus gefunden: Die ersten zwei Wochen arbeiten die Gasteltern noch - und Vanessa kann jeden Morgen ausschlafen. Die letzten vierzehn Tage machen sie gemeinsam Ferien. Zu Hause. "Wir wollen ihr Zeit und Aufmerksamkeit schenken, kein Reiseprogramm", sagt Klaus Schuker. Gesellschaftsspiele, Grillabende und gemeinsame Mahlzeiten: für Vanessa ein ungewohnter Alltag. Und für den Gastvater? "Na, wann sonst hätte ich die Gelegenheit, die Turbulenzen der Pubertät so hautnah mitzubekommen?" www.diakonie-hasenbergl.de/takatuka

Karlheinz Böhm, Äthiopien: Menschen für Menschen

1981 besuchte der Schauspieler ein Flüchtlingslager in Äthiopien. Seitdem sammelt er Spenden für das ausgeblutete Land und organisiert Aufbauprojekte. Äthiopien hat ihn nie wieder losgelassen. www.menschenfuermenschen.de

Jean Vanier, Paris: Die Arche

1964 nahm der französische Philosophieprofessor Jean Vanier zwei geistig behinderte Männer bei sich auf. Die erste "Arche" - eine Lebens- und Glaubensgemeinschaft behinderter und nicht behinderter Menschen - war geboren. Inzwischen gibt es weltweit 135 Kommunitäten, in Deutschland drei. www.arche-deutschland.de

Anna Steinke, Freiburg: U 25

Liebeskummer, Schulangst oder Trennung der Eltern - Anna Steinke, 25, berät Jugendliche, die am Leben verzweifeln. Einmal die Woche sitzt die Studentin im Büro von U 25, einer Freiburger Beratungseinrichtung für junge Suizidgefährdete, und beantwortet E-Mails. Menschen zwischen 15 und 25 schreiben ihr, mit ganz unterschiedlichen Problemen, aber immer geht es um große seelische Not. Anna Steinke kommt ihnen sehr nahe. Sie gibt keine Ratschläge, das hat sie während ihrer Ausbildung zur Peerberaterin trainiert. Stattdessen stellt sie Fragen und versucht, sich einzufühlen. Sie habe das Zuhören lernen müssen, sagt sie. "Aber ich muss nicht alles verstehen." www.u25-freiburg.de

Frank von Kneten, Niederlausitz: Harlekids

Der ganz Zirkus begann in seinem Kopf. Als Frank von Kneten in der Drogenhilfe nahe der polnischen Grenze tätig war, beobachtete er, dass sich in seiner Region schon Kinder langweilen - und den Kick in Drogen und Alkohol suchen. Denn es gab kaum Freizeitangebote. Als ihm das Buch "Zirkus spielen" (Hirzel Verlag) in die Hände fiel, dachte er: ausprobieren. Er lud Kinder zum Jonglieren, Einradfahren, Zaubern und Seiltanzen ein. Es kamen immer mehr, ohne dass er werben musste. Seit 1998 gibt es nun den Kinder-und Jugendzirkus "Harlekids" in Senftenberg / Niederlausitz. 60 Kinder kommen hier zum regelmäßigen Training - zwölf von ihnen sind geistig behindert. Die Zirkusnummern erfinden sie mittlerweile selbst. "Zirkus ist für Kinder wie gemacht, spannend, multikulturell und bunt", sagt von Kneten. Nun will er ein nahe gelegenes Haus zur Jugendherberge umbauen, damit künftig auch Schulklassen an Workshops und Seminaren teilnehmen können. www.harlekids.com

Christian Carls, Düsseldorf: Mouse Mobil

Das Internet ist ideal für Menschen, die nie rauskommen, sagt Christian Carls. Nur lernen gerade gehbehinderte Senioren oft nicht, es zu nutzen. Deshalb hat der Diakoniemitarbeiter einen Besuchsdienst gegründet: Ehrenamtliche kommen ins Haus und zeigen, wie es geht. www.mousemobil.de

Nadine Schomann, Schwerin: Kinderschutz

Das Schicksal ihrer Schützlinge lässt der Angestellten beim Kinderschutzbund auch nach Feierabend keine Ruhe. Nadine Schomann begleitet Missbrauchsopfer bei Gericht und klärt in Schulen und Kindergärten über sexuellen Missbrauch auf. www.kinderschutzbund-schwerin.de

Tobias Merckle, Leonberg: Seehaus Leonberg

Der Tag beginnt um 5 Uhr 45 und endet abends um zehn. Für die straffälligen Jugendlichen in Tobias Merckles Seehaus ist der Tagesablauf härter als hinter Gittern. Freizeit gibt es kaum, dafür klare Regeln, harte Arbeit, Gebete, die Geborgenheit einer Familie. Lehrer, Erzieher und Hauseltern wohnen mit den Straftätern im Fachwerkhaus, das sie selbst renovieren. Lange kämpfte Tobias Merckle für einen freien Strafvollzug. Inspiriert wurde der Pharmaerbe und Aussteiger auf einer USA-Reise in den 90er Jahren. Dann kaufte er ein altes Gut und zog mit den Jugendlichen dort ein. Wer durchhält, verlässt das Seehaus mit Hauptschulabschluss oder nach dem ersten Lehrjahr als Maurer, Metallbauer, Zimmermann oder Schreiner. www.prisma-jugendhilfe.de

Alexander Fitz Hannover: MARS

Als der Russlanddeutsche Alexander Fitz endlich von den Drogen losgekommen war, wusste er: Das können andere auch - wenn sie die richtige Hilfe bekommen. Glaube hilft beim Ausstieg, so seine Erfahrung. Der Mitarbeiter des christlichen Drogenhilfevereins Neues Land gründete 2002 die Initiative MARS - Motivationsarbeit unter russischsprachigen Süchtigen. Seine Mitarbeiter, die alle Russisch sprechen, haben wie er eine Drogenkarriere hinter sich. Sie suchen die Abhängigen an Bahnhöfen und Kiosken auf, beraten und vermitteln Therapieplätze. Fitz besucht auch Süchtige im Gefängnis. "Viele kommen dort das erste Mal mit Gebeten und Sinnfragen in Berührung." www.neuesland.de

Julia Hink, München: Kleidsam

Die Mitarbeiterin des Münchner Arbeitslosenzentrums hat Jobs maßgeschneidert. 27 Frauen ohne Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt sind nun in der Schneiderwerkstatt Kleidsam in Lohn und Brot. www.kleidsam-muenchen.de

Adelheid Franz Berlin: Malteser Migranten Medizin

Oft kommen sie erst, wenn der Tumor schon groß oder die Wunde schwer infiziert ist. Ausländer ohne Krankenversicherung und Aufenthaltsgenehmigung haben große Angst vorm Gang zum Arzt. Auf dieses Problem macht die Malteser Migranten Medizin schon seit Jahren aufmerksam. Ein Diözesanleiter hatte die Katholikin Adelheid Franz 2001 für die Mitarbeit gewonnen. Seither heilt die angestellte Ärztin nebenher Illegale, an drei Vormittagen in der Woche. Sie hat Kontakte zu Fachärzten aufgebaut, zu denen sie ihre Patienten schicken kann. So begleitet eine Gynäkologin Frauen, oft Teenager, während der Schwangerschaft. Haben die Patienten rechtliche Probleme, stellt die Malteser Migranten Medizin den Kontakt zu Rechtsanwälten und Beratungseinrichtungen her. www.malteser-berlin.de

Volkert Ruhe, Hamburg: Gefangene helfen Jugendlichen

Besuch in "Santa Fu": Volkert Ruhe saß früher selbst im Fuhlsbüttler Gefängnis. Nun spricht er dort mit Jugendlichen, die in Konflikt mit dem Gesetz geraten sind - damit sie noch rechtzeitig die Kurve kriegen. www.gefangene-helfen-jugendlichen.de

Rupert und Christel Neudeck, Troisdorf: Cap Anamur / Deutsche Notärzte e. V.

Mit der "Cap Anamur" retteten die Neudecks 1979 vietnamesische Flüchtlinge. Später gründeten sie eine Hilfsorganisation und schickten Fachleute dahin, wo es brennt. www.cap-anamur.de

Bernd Siggelkow Berlin: Kinder- und Jugendzentrum

Als Bernd Siggelkow nach der Wende in den Berliner Osten kam, genauer nach Hellersdorf, war er geschockt: statt Aufbruchstimmung Perspektivlosigkeit. Und Armut. Der Pfarrer lud Kinder zum Essen und Spielen ein, doch bald wurde seine Wohnung zu eng. In einer ehemaligen Schule öffnete Siggelkow 1995 das Kinder- und Jugendzentrum "Die Arche". Bis zu 600 Kinder werden hier täglich betreut. Sie können warm essen, lernen Klavier spielen und singen, Lehrer helfen bei den Hausaufgaben. Mittlerweile stehen Ableger auch in Hamburg und München, vier weitere sind geplant. www.kinderprojekt-arche.de

Irene Derwein, Frankfurt: kirchlicher Flüchtlingsdienst am Flughafen

Die Seelsorgerin Irene Derwein geht in die Flüchtlingsunterkunft im Transitbereich. Sie kümmert sich um Asylbewerber ohne gültige Papiere, die am Flughafen abwarten, ob sie einreisen dürfen. E-Mail: kfd-ffm@web.de

Axel W. Markmann, Silke Krumrey, Stralsund: Stralsund Blind Verstehen

Nicht nur für blinde Touristen schufen Axel W. Markmann und Silke Krumrey eine Ausstellung zum Tasten, Hören und Riechen. Und sie versenden Stadtinformationen in Blindenschrift. www.stralsundblindverstehen.de

Eliana Trimborn, München: Leihoma

Wer hat Lust auf einen Enkel? Eliana Trimborn vermittelt älteren Menschen eine Tätigkeit als Babysitter, nein: Ersatzgroßeltern. Für junge Familien eine Riesenhilfe. www.caritas-f-net.de

Ute Melchior-Giovannini, Düsseldorf: Warteraum für Gehörlose

Filme gucken, Kickern, Surfen im Internet. In einem eigenen Warteraum überbrücken gehörlose Schüler seit 2006 die Wartezeit am Düsseldorfer Hauptbahnhof. Eine Projektgruppe um die Lehrerin Ute Melchior-Giovannini machte es möglich. www.glsh-warteraum.de

Eva-Maria Weigert, München: Freudentanz

Die Alternative zum Fernsehen: Eva-Maria Weigert organisiert Tanzwettbewerbe für Kinder in Flüchtlingsheimen. www.freudentanz.net

Jutta Weber, Sabine Schwarz, Margarita Liebrecht Hamburg: Boller-wagen-Spielmobil

Viele Kinder, die ihre Nachmittage in den Straßen des Hamburger Schanzenviertels verbringen, haben ihre Geschwister im Schlepptau - aber keinen Haustürschlüssel in der Tasche. Jutta Weber, Sabine Schwarz und Margarita Liebrecht vom Jesus Center laden sie zum Spielen ein, in Hinterhöfen und an kleinen Plätzen. Mit einem violetten Bollerwagen kommen sie regelmäßig ins Viertel und packen Bälle, Stelzen und Straßenkreide aus. Die Kinder warten oft schon, und auch die Eltern suchen zuweilen das Gepräch. www.jesuscenter.de

Rüdiger Nehberg Rausdorf / Schleswig-Hostein: Target e. V.

Hochrangige muslimische Geistliche hatten ihnen 2006 bestätigt: Die Beschneidung von Frauen verstößt gegen die Werte des Islams. Für Rüdiger Nehberg und seine Lebensgefährtin Annette Weber, die seit Jahren gegen die Genitalverstümmelung in Afrika kämpfen, eine wichtige Bestätigung. Mit diesem Gutachten gehen sie seitdem in Moscheen in ganz Nordafrika und sprechen mit geistlichen Führern. Seit 2000 kümmert sich ihr Team um Beschneidungsopfer. Zwei Ärztinnen, eine Krankenschwester und zwei Dolmetscherinnen fahren mit mehreren Geländewagen, mobilen Krankenstationen durch Äthiopien. Sie versorgen die Frauen medizinisch und helfen ihnen, mit den seelischen Folgen fertig zu werden. www.target-human-rights.de

Brigitte Müller, Remscheid-Lennep: unBehindert miteinander

Ihre sechs Pferde genießt Brigitte Müller nicht allein. Behinderte Kinder kommen täglich zum Reiten, Füttern und Striegeln.

Waltraud Motschall Karlsruhe: Gefangenenbetreuung

Vor Jahren saß ein Bekannter von Waltraud Motschall in Mannheim in Untersuchungshaft. Sie ging mit in die Verhandlung und kam mit dem Gefängnispfarrer ins Gespräch. Ob sie sich vorstellen könne, einen Häftling zu betreuen? Sie konnte. Nun sitzt die Sekretärin jeden Mittwoch im Hochsicherheitstrakt des Bruchsaler Gefängnisses. Und unterhält sich mit ihrem "Schützling", wie sie den Gefangenen nennt. Auch Weihnachten und Fasching feiert die 58-Jährige mit ihm und anderen Insassen. Zu Gruppenabenden bringt sie oft auch Bekannte mit, die über verschiedene Themen referieren: den Streit um die Mohammed-Karikaturen, Straßenkinder in Kolumbien, den Landtag in Stuttgart. Alle Kosten trägt Waltraud Motschall selbst. Freunde und Familie wollen von ihrem Engagement wenig wissen. Sie sagt: "Ich verurteile jede Tat, aber ich komme zu den Gefangenen als Mensch." E-Mail: motschall@gmx.de

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