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Kim Thúy wächst als Tochter einer großbürgerlichen Familie in Saigon auf. Ihr glückliches Leben im „goldenen Käfig“ ist schlagartig zu Ende, als sie im Alter von zehn Jahren mit Eltern und Geschwistern in den Westen flieht – sie sind Teil jener mehr als 1,6 Millionen „Boat People“, die Ende der 1970er Jahre vor der kommunistischen Herrschaft in Vietnam die Flucht ergreifen.
Nach Monaten des Wartens in einem Flüchtlingslager in Malaysia landet die Familie in Granby in der kanadischen Provinz Quebec: „das „Paradies auf Erden“, wie Kim Thúy schreibt. Jahre später wird sie für einige Zeit in ihre Heimat zurückkehren, wo sie zunächst für eine Ausländerin gehalten wird.
Kim Thúy trifft den richtigen Ton
Die studierte Rechtsanwältin erzählt in ihrem autobiografischen Roman die Geschichte ihrer Emigration. Sie tut das nicht chronologisch, sondern in Form von 113 kurzen, szenischen Prosastücken, die wie Tagebucheintragungen wirken. Aus vielen bunten Mosaiksteinen setzt sich das Bild ihrer weitläufigen Familie, der Flucht, der Erfahrungen in der „Fremde“ und der Wiederannäherung an die Heimat zusammen. Das ist manchmal komisch, manchmal traurig und bestürzend, oft bewegend – aber nie pathetisch.
Kim Thúy trifft den richtigen Ton – ob es um die nicht ganz einfache Beziehung zu ihrer Mutter geht, ihren autistischen Sohn oder um das Schicksal minderjähriger Prostituierter im heutigen Vietnam. Geschickt verwebt sie persönliche Eindrücke und Erlebnisse mit Reflektionen über die Gesellschaften, in denen sie freundlich aufgenommen wird (Kanada) und als Fremde wieder neu Fuß fassen muss (Vietnam). Und sie bedient sich einer wunderschönen, manchmal nahezu poetischen Sprache.
Emigration, so wird deutlich, muss kein unglückliches Schicksal sein – auch wenn die Härten, die damit verbunden sind, keineswegs weich gezeichnet werden. Die Sehnsucht nach Wurzeln und Heimat jedenfalls sucht sich ihre ganz eigenen Wege: für Kim Thúy wird schließlich ein Parfum zu „ihrem Land“, in dessen Duft sie sich aufgehoben und lebendig fühlt. Ihr jüngster Bruder hingegen schleppt bei seinen Arbeitseinsätzen im Ausland den alten Toaster mit sich herum, den die Familie bei ihrer Ankunft in Kanada erhalten hat.
Kim Thúy: Der Klang der Fremde, Verlag Antje Kunstmann, München 2010, 160 Seiten, 14,90 Euro