- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Zu Shakespeares 400. Todestag 2016 waren prominente Romanautoren eingeladen, Shakespeares Meisterdramen zu adaptieren. Der englische Erzähler Edward St Aubyn hat dies mit "König Lear" brillant gemacht und das Stück zu einem brisanten, komischen Gesellschafts- und Familiendrama umgeformt. St Aubyns Lear, der betagte Medienmogul Henry Dunbar, hat, wie sein literarischer Vorfahr, drei Töchter, zwei intrigante, eine herzensgute. Die Ersteren wollen sich das Imperium aneignen, stecken den Vater in eine Anstalt und hoffen, dass ihre jüngste, dem Vater treu ergebene Schwester davon nicht Wind bekommt. Doch Henry gibt nicht auf, flieht und schlägt sich bis ins cumbrische Hochmoor durch, wo er Zeit hat, ernsthaft über sein bisheriges Leben nachzudenken.
Daniel Kehlmann hingegen erfindet die Figur des Till Eulenspiegel neu. Er versetzt den Gaukler, seinen "Tyll", kurzerhand in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, dessen Katastrophen er in ein neues Licht rückt. Meisterhaft, wie Kehlmann eine Sprache findet, die sich weder modern anbiedert noch ins Barockisieren verfällt. Und faszinierend, wie er verbürgte historische Gestalten (den Pfalzgrafen Friedrich V., den Gelehrten Athanasius Kircher oder den Dichter Paul Fleming) gemeinsam mit erfundenen auftreten lässt. So entsteht ein Zeitbild voll Empathie, das aktueller denn je wirkt, und so zeigt Kehlmann, was Literatur von Geschichtsschreibung abhebt.