Dirk von Nayhauß
07.10.2010

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Lebendig fühle ich mich eigentlich immer. Das ist ja die Grundvoraussetzung für alles. Besonders intensiv lebe ich im Austausch mit anderen Menschen. Es sind vor allem Gespräche, die mich anregen, egal, ob es nun ein freundschaftliches Gespräch ist oder eine Diskussion. Am schönsten sind natürlich harmonische private Gespräche. Und wenn dann noch ein gutes Essen hinzukommt, ist es optimal. Übrigens hat auch Wasser eine vitalisierende Wirkung auf mich. Das liegt wohl an meiner Herkunft: Ich bin ganz dicht am Heiligensee in Berlin aufgewachsen. Wir haben klein, aber in perfekter Lage gewohnt: Vom Haus zum Wasser waren es vielleicht vierzig Meter. Morgens bin ich gleich schwimmen gegangen und habe, wenn keine Schule war, den Tag am Strand verbracht. Mit meinen Eltern bin ich am Wochenende oft auf einem kleinen Jollenkreuzer die Havel runtergesegelt. Überall, wo ich heute hinkomme, gucke ich: Gibt es Wasser einen Fluss oder einen See, worin ich schwimmen kann?

An welchen Gott glauben Sie?

Ich bin aufgewachsen in der Vorstellung, dass unser Gott ein allmächtiger Gott ist und ein gütiger. Aber auch ein strenger Gott, weil er einem eine Menge zumuten kann. Das wichtigste Gebet ist für mich immer: Herr, gib mir die Kraft, das zu tun, was Du von mir verlangst! 1989 ist mein Mann Alexander an Krebs gestorben, das waren schwierige Jahre, in denen ich mit unseren beiden Kindern allein war. Eine Zeit lang habe ich an Gottes Güte gezweifelt. Die bisherige Quintessenz meines Lebens geht jedoch dahin, dass noch jede Forderung, die ich als sehr hart oder bitter empfunden habe, mir letztlich zum Heil gereicht ist. Selbst das Leid, das ich empfunden habe, als mein Mann starb, sehe ich heute positiv. Denn ich bin dadurch sehr viel aufmerksamer geworden für meine Umwelt und meine Mitmenschen. Und ich habe erfahren dürfen, dass man selbst aus tiefster Verzweiflung wieder herauskommt.

Der Sinn des Lebens ist die Praktizierung der Liebe

Hat das Leben einen Sinn?

Sinn heißt Zusammenhang und Ziel, ist das Gegenteil von zufällig und überflüssig. Er liegt in der uns vorgegebenen Aufgabe der verantwortungsbereiten Mit-Schöpfung an Gottes Werk, die wir allerdings im Einzelnen nach eigenem Urteil erfüllen müssen. Unser Wesen - unsere Essenz - ist uns vorgegeben, aber die Essenz wird erst durch unser selbst verantwortetes Leben - durch unsere Existenz - wirklich. Man könnte es auch so formulieren: Der Sinn des Lebens ist die Praktizierung der Liebe vom Persönlichen bis ins Gesellschaftlich-Politische hinein. Mit jedem Leben ist sicher eine Aufgabe verbunden, und die kann man verfehlen oder auch nicht. In der heutigen Situation empfinde ich es für mich als sinnvoll, alles zu tun, um die Menschen zu einer guten Politik zu ermutigen, um den Sinn für Demokratie zu stärken. Klarzumachen, dass es ein Unterschied ist, ob man sich privat zurückzieht und dann in irgendeine Betrüblichkeit verfällt oder ob man die Energie und die Kraft aufbringt, den Herausforderungen ins Gesicht zu schauen und die Begeisterung aufzubringen, sich an die Aufgaben zu machen.

Muss man den Tod fürchten?

Meinen eigenen Tod fürchte ich nicht. Wovor man sich aber fürchten kann, ist langes körperliches oder psychisches Leiden - und damit auch anderen Leid zu verursachen. Der Tod einer nahen Person würde mich sehr bedrücken. Ich selbst war dem Tod physisch nie nah, psychisch einmal in einer ganz besonders verzweifelten Situation. Nach dem Tod meines Mannes hatte ich sehr intensiv den Wunsch, nicht weiterzuleben, mir war alles egal geworden. Um da wieder rauszukommen, habe ich von 1993 bis 1998 eine Psychoanalyse gemacht. Ich habe diese Zeit als Befreiung empfunden und war seitdem nie wieder in so einer verzweifelten Situation.

Welchen Traum möchten Sie sich noch unbedingt erfüllen?

Ich habe einen Traum, der aber nicht realisierbar ist: einmal alle Menschen, die für mein Leben Bedeutung gehabt haben, an einem Ort zu versammeln und sie ins Gespräch miteinander zu bringen. Meine Vision von einer erfolgreichen Amtsführung als Bundespräsidentin sähe übrigens ähnlich aus: Ich würde versuchen, möglichst viele Menschen und Erfahrungen zusammenzubringen und aus dem Miteinander einen Mehrwert für uns alle zu schaffen.

 

Fragen und Foto: Dirk von Nayhauß