Kaapo Valkeavirta
Tove Jansson
So sollte der Sommer sein
Unvergleichlich hell und heiter: Tove Jansson, die Erfinderin der „Mumins“, hat 1972 ihr zauberhaftes „Sommerbuch“ geschrieben. Warum es sich lohnt, das Buch nochmal zu lesen
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
12.04.2024
2Min

Vielleicht muss man Finnin sein, um das schönste (mir bekannte) Sommerbuch zu schreiben. In wenigen anderen Ländern ist es so lange so dunkel und so kalt. Der Sommer bringt dann eine krasse Wende. Es wird heller und heller. Es gibt tagelang keine Nacht mehr. Die Menschen verlassen ihre Häuser und verbringen ihre Ferien draußen, auf einer der ungezählten kleinen Inseln, an der frischen Luft, am offenen Wasser, mit Freunden und der Familie. Sie gehen gar nicht mehr rein.

Tove Jansson hat mit ihren „Mumin“-Geschichten meine Kindheit geprägt. Bis vor kurzem wusste ich nicht, dass sie auch zehn Romane für Erwachsene geschrieben hat. „Das Sommerbuch“ ist einer von ihnen. Er ist unvergleichlich hell und heiter und hat doch einen dunklen Hintergrund: Jansson schrieb ihn auch, um sich über den Tod ihrer Mutter zu trösten. Deshalb spielen neben all dem Leichten und Heiteren auch die Endlichkeit, die Traurigkeit und der Schmerz eine wichtige Rolle.

Das Buch besteht aus etwa zwanzig kurzen Episoden, die die kleine Sophia mit ihrer Großmutter auf ihrer Sommerinsel erlebt. Die beiden lieben sich, streiten sich aber auch. Das Mädchen ist frech, die Großmutter ebenso. Als die Großmutter eines Morgens zu lange nach ihrem Gebiss sucht, fragt Sophia: „Wann stirbst du?“ „Bald,“ antwortet die Großmutter, „das geht dich aber überhaupt nichts an.“

Eine dieser Sommergeschichten geht mir besonders nach. In ihr erfährt das kleine Mädchen das ganze Glück, das die Liebe schenkt, und zugleich die Verzweiflung, in die sie einen stürzen kann. Es geht um eine neugeborene Katze. Sophia liebt sie sehr. Doch die Katze, genannt Mappe, hat ihren eigenen Kopf. Sophia trägt sie zu all den Plätzen, von denen sie denkt, dass Katzen sie lieben. Aber Mappe geht gleich wieder weg. Sophia streichelt, drückt und küsst sie. Keine Liebkosung wird von Mappe erwidert. Sie ist ein wildes Tier und lässt sich nicht zähmen. Sie wird größer und beginnt zu jagen. Jeden Morgen legte sie tote Vögel vor die Tür, zum Entsetzen von Sophia. Die Nachbarn von der nächsten Insel kommen vorbei und schlagen einen Tausch vor. Sie geben einen weichen, harmlosen Kater, der zu faul zum Jagen ist, und nehmen dafür Mappe mit. Denn bei ihnen gibt es zu viele Mäuse. Aber diesen Svante kann Sophia nicht lieben, obwohl er alles tat, was sie will.

Tove Jansson und ihre Mumins, 1956

Weinend bittet sie die Großmutter: „Ich will Mappe zurückhaben!“

„Aber du weißt doch, wie es dann wird.“

„Es wird schrecklich, aber ich kann nur Mappe lieben.“

„Komisch ist das mit der Liebe“, hatte Sophia schon zu Beginn dieser Episode sinniert. „Je mehr man den anderen liebt, desto weniger kann einen der andere leiden.“

„Und was macht man da?“, hatte die Großmutter gefragt.

„Man liebt weiter. Man liebt noch viel, viel mehr.“

Tove Jansson, Das Sommerbuch, Lübbe, 13 Euro

Diese und andere weisen, heiteren und bedenklichen Geschichten warten in Janssons „Sommerbuch“ darauf gelesen zu werden – auf einer finnischen Insel oder auf dem heimischen Balkon. Erfreulicherweise ist dieses alte Buch noch im Handel. Es gibt eine schöne Ausgabe zu einem günstigen Preis.

 

P.S.: „Alte Kunst neu sehen“ – wie das gelingen kann, darüber spreche ich in meinem Podcast mit Maria Lopez-Fanjul y Diez del Corral, Kuratorin am Bode-Museum.

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur