"Den andern ein wenig voraus pflügte mit kräftigen Ruderschlägen der starke Dinewitzer das größte der Boote, das Postboot, durchs ruhige Wasser. Er war das Rudern gewohnt. Dreimal die Woche mindestens ruderte er zwischen Seedorf und Klosterried auf der anderen Seite des Sees hin und her, bei jedem Wetter, und brachte die Post vom Klosterrieder Bahnhof in die südlich gelegenen Ostufergemeinden herüber. Aber nicht Briefe oder Pakete beschwerten sein Boot so sehr, dass der Schiffsrand manchmal einzutauchen drohte, so nahe, wie er oft der Wasseroberfläche kam, sondern es waren 30 und 50 Liter Bierfässer für den Seewirt ..." Josef Bierbichlers Geschichte des Gasthauses am See umspannt fast ein Jahrhundert, "ein Jahrhundert der Toten" und der Kriegsversehrten, eine Familienchronik über drei Generationen, hier komisch, dort katastrophal, wirklich keine luftige Sommerlektüre. Der Seewirt bekommt im Krieg einen Schuss ins Hirn, der nächste wäre lieber Künstler geworden und lässt später seinem Sohn auch keine Wahl, er muss Wirt werden. Da wird gesungen und geschrien, da wachsen Hoffnungen und Intrigen, alles Frömmelnde und Verlogene kommt unter die Axt. Eine Wucht, dieser Roman!
392 Seiten, 10 Euro
Anne Buhrfeind
"Wir sitzen im Heck nebeneinander auf weißen Ledersitzen und fahren zwanzig Minuten die Küste entlang. Vom Wasser aus sieht alles anders aus, vor allem die Häuser. Würden sie Selfies von sich machen, würden sie einen langen Teleskoparm benutzen und diese Perspektive wählen." Der See, an dem dieses hochmotorisierte Schlauchboot entlangdonnert, ist der Lago Maggiore, und man merkt den Autoren an, dass sie auch im echten Leben "viel Zeit an dem Gletschersee in den Alpen verbringen". Steht so im Klappentext. Das wollen wir den Journalistenbrüdern Andreas Lebert (früher "Brigitte"-Chef) und Stephan Lebert ("Zeit"-Redakteur) mal neidlos gönnen. Dass sie sich zu dem Kunstnamen Andrea di Stefano vereinen, ist ein bisschen eitel, aber die Story liest sich an einem heißen Sommerabend süffig durch, am besten bei einem Aperol Spritz am See. Kann auch der Bleibtreusee oder der Langener Waldsee sein. Im Krimi gehts um einen Ex-Polizisten, eine Leiche im Hotel, alternde Rockmusiker und eine schöne italienische Kommissarin. Es wird viel gesungen, gegessen und getrunken - und am Ende ist alles ganz anders und fast tutto wieder bene.
Ursula Ott
Klar, dass die Krautsanderin Bücher unwiderstehlich findet, in denen Hafenschlepper namens "Krautsand" herumschippern. Aber "Baby Dronte" von Peter Schössow haben schon sehr sehr viele Menschen unwiderstehlich gefunden, Kinder und Erwachsene. Ein Bilderbuchklassiker, abenteuerlich, maritim, und wissenschaftlich komplett unhaltbar. Herrlich. Horatio Lüttich, Käpt'n des schwer leckgeschlagenen Schleppers, findet am Elbufer ein großes geflecktes Ei, aus dem alsbald ein seltsames Küken schlüpft. Der Käpt'n und seine Mannschaft kümmern sich rührend um ihr "Baby". Aus den Nachrichten erfahren sie, dass das Ei verzweifelt gesucht wird, dass es sich um ein Drontenei handelt, eine seit über 300 Jahren ausgestorben geglaubte Vogelart aus Mauritius. Dann geht es um viel Geld, um Verrat und Rettung. Am Ende wird alles gut. Fantastisch – und mit ganz viel Hamburg!
Anne Buhrfeind
Fast wäre es unter der Last der Geschichte zusammengebrochen, das "Sommerhaus am See", über das der Brite Thomas Harding ein Buch geschrieben hat. Das Haus ist kein fiktiver Ort, das gibt es in echt. Wie das Gewässer, an dem es erbaut wurde. Es steht am Groß Glienicker See, durch den früher die Grenze zwischen der DDR und der BRD verlief. Nach der Friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung 1990 verfiel es, ehe sich der Autor Thomas Harding auf Spurensuche an den See begab, denn seine jüdische Familie hatte hier gelebt, ehe sie vor den Nazis fliehen musste. Der Ort faszinierte ihn so sehr, dass er die Lebensgeschichten der Hausbewohner recherchierte und aufschrieb. Das kleine Holzhaus am See von Groß Glienicke ist fast 100 Jahre alt und hat die turbulente Geschichte eines ganzen deutschen Jahrhunderts überstanden. "Wenn Mauern reden könnten!", sagt man. Diese hier können es. Lesenswert!
Das Haus ist mittlerweile restauriert und dient als Begegnungsstätte.
Nils Husmann
Was wäre, wenn das Boot untergeht, mit dem man gerade fährt? Wenn es das Schlauchboot ist und das Wasser unter einem der Kiesteich, ist das rettende Ufer nicht weit. Der kanadische Autor Yann Martel erzählt die Geschichte des halbwüchsigen Pi Patel, der den Schiffbruch eines Frachters auf dem Ozean überlebt. Auch eine Hyäne, eine Ziege und ein Tiger überstehen das Unglück. Pis Vater war Zoodirektor und wollte mit Familie und Tieren auswandern. Die Hyäne frisst die Ziege und der Tiger die Hyäne. Am Ende sind Pi und der Tiger allein auf dem Rettungsboot. Der Roman erzählt witzig und fesselnd, wie sich die beiden annähern und eine fragile Notgemeinschaft bilden. Oder ist der Tiger nur eine Metapher? Und die Geschichte geht darum, wie einer seine Ängste überwindet. Na jedenfalls ist es ein herrliches Buch, das zu denken gibt!
Claudia Keller
"Noch einmal ihr weiter See, den sie selten beim Namen nennen, seine Uferlichter im Süden kaum zu erkennen, nur ein Flimmern. Und auch noch einmal beide allein auf ihrem Boot, ja allein auf dem Wasser ..." Ich bin mit meinem Liebsten nur wegen diesen Zeilen mal an den Gardasee gefahren, wo das Buch von Bodo Kirchhoff spielt. Kirchhoff besitzt ein Haus in Torri am Ostufer, wo er auch Schreibkurse abhält. Und er hat ein altes Boot, eine Sea Ray, zumindest kommt die im Roman ständig vor. Es wurde ein traumhafter Urlaub, glasklarer See, hohe Berge und sehr viel Lugana-Wein. Wir hatten leider nur ein geliehenes Boot, aber wir schlugen uns wacker zwischen Baylinern und Rivas. Rivas! Der Gardasee ist nichts für kleine Geldbeutel. Für die knapp 700 Seiten empfehlen sich mindestens zwei Wochen Urlaub, Lust auf verschlungene Erzählstränge und auf die ewige Suche nach ehelichem Glück.
Ursula Ott
"Ich versuchte ihn im Genick zu packen, er ließ sich jedoch kaum festhalten. Wie eine Schlange wand er sich bis über den Ellbogen um meinen Unterarm. Ich nahm seine Kraft eher statisch wahr, weniger als Bewegung. Wenn ich ihn jetzt fallen ließ, würde er mir durchs Gras entkommen und wieder ins Wasser gleiten, ehe ich ihn zu fassen bekam." Der schwedische Journalist Patrik Svensson erzählt eine Natur- und Kulturgeschichte des Aals und verbindet sie mit seiner persönlichen Vater-Sohn-Geschichte. Am Ende weiß man mehr über ein rätselhaftes, vom Aussterben bedrohtes Wesen, das seine letzten Geheimnisse immer noch nicht preisgegeben hat. Eine außergewöhnliche Form, ein Buch, das einen staunen lässt wie ein Kind.
Anne Buhrfeind
Liebe Redaktion,
Liebe Redaktion,
zum Beitrag Freiheit vor der Tür verfasste ich ein paar Zeilen. Über eine Veröffentlichung würde ich mich sehr freuen:
Toller Beitrag! Paddeln auf einem Fluß ist für mich genauso, wie das Wandern in den Alpen oder wie Radtouren fernab der Hauptverkehrsstraßen. Es entschleunigt den Alltag kolossal und macht den Kopf frei. Neue Blickwinkel und ungewohnte Perspektiven ergeben sich. Ich bin zwar noch nie gepilgert, aber das Gefühl muss ähnlich sein. Ich habe Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen. Meine Seele erholt sich. Ganz egal, ob andere schneller sind. Und obwohl die Tour vielleicht anstrengend war, steige ich mit vollen Akkus und irgendwie zufrieden wieder ans Ufer ;-)
Freundliche Grüße
Achim Bothmann
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