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Kurz, radikal, intensiv – so war das Leben von Jean-Michel Basquiat und so ist auch seine Kunst. Wie unter Zeitdruck entstanden, als hätte der erste afroamerikanische Künstlerstar der USA gewusst, dass ihm nur 27 Jahre Leben beschieden waren.
Schon als Teenager beginnt Jean-Michel Basquiat in New York Hauswände, Straßenpflaster, Stromkästen vollzukritzeln – plakative Sprüche, die ihm später den Ruf einbringen, eigentlich ja nur "Graffitikünstler" zu sein. Er signiert seine Sprüche mit dem Kürzel "SAMO©", eine Abkürzung für "same old shit", zu Deutsch (pardon, es geht nicht höflicher): "Immer wieder derselbe Scheiß!" Ein Verweis auf den Alltagsrassismus in den USA, mit dem Copyrightzeichen Kommerz- und Konsumkritik inklusive.
Die Fremdzuweisung, bloß Graffiti zu machen, hat Jean-Michel Basquiat stets abgelehnt, auch weil er wohl zu Recht vermutete, dass diese Verzwergung seiner Kunst durch die etablierte, weiße Kunstkritik mehr mit seiner Hautfarbe als mit dem Sachverstand der Kritiker zu tun hatte.
Das Bild hier, "The Guilt of Gold Teeth", ist während eines Italienaufenthaltes in Modena entstanden. 1982 war das, rund sechs Jahre vor seinem Tod, also mit Anfang zwanzig, fast schon ein Spätwerk. "The Guilt of Gold Teeth" ist neben anderen Werken aus dieser Zeit im Süden Europas noch bis Ende August 2023 in der Schweizer Fondation Beyeler zu sehen.
In dem Bild kommt vieles zusammen, was Jean-Michel Basquiat vor und besonders nach seinem Tod zu einem der begehrtesten und teuersten Künstler überhaupt gemacht hat. Er rangiert heute annähernd in der Preiskategorie von Picasso und Leonardo da Vinci. Wie ein Copy-Paste-Künstler kurz vor Einbruch des digitalen Zeitalters jongliert Jean-Michel Basquiat mit den Formen und Elementen. Laute Farben, ausdrucksstarke, comichafte Zeichnungen, immer auch Zahlen, Alltagskultur, Mythologie – und Schrift, so wie hier ohne konkrete Bedeutung, die oft ins Bildhafte, Geometrische taumelt. Die Fortführung der Dada-Collagen mit dem Megafon und einem ordentlichen Schuss Expressionismus.
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Das Leben im New York der 1970er und 80er Jahre war wild und frei – im besten wie im schlechtesten Sinne. Runtergerockte Viertel, hohe Kriminalitätsrate, aber auch niemand, der einem Jugendlichen sagte, was er gefälligst zu tun habe. Für einen jungen Künstler wie den mittellosen Jean-Michel Basquiat – aus, wie man so sagt, schwierigen Verhältnissen – eine inspirierende und zehrende Gratwanderung zwischen künstlerischer Freiheit und der Sorge, wie das nächste Abendessen auf den Tisch kommen soll. Der Tod spielt vielleicht auch deswegen eine prominente Rolle in vielen von seinen Werken.
Der dunkle Herr hier in der Mitte des Bildes mit bleichem Totenschädelgesicht, schwarzem Zylinder und Umhang ist Baron Samedi, eine Art Türsteher des Todes im haitianischen Voodoo. Er bestimmt, wer aus dem Leben scheiden muss oder wer wieder reindarf, lässt sich aber mit Rum und Zigarren als Opfergaben besänftigen.
Spielt der Künstler auch auf seinen Vater an, der aus Haiti stammte und – ebenso wie die psychisch kranke Mutter – nicht gerade das war, was man unter einem fürsorglichen Elternteil versteht? Jean-Michel Basquiat jedenfalls unternahm mehrere Ausreißversuche von zu Hause. Eine neue Familie fand er bei Andy Warhol und den aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern seiner gerade heiß gelaufenen Ideenfabrik. In nur wenigen Jahren schafft er mehrere Tausend Gemälde und Zeichnungen.
Mit gerade einmal 27 Jahren stirbt er an einer Überdosis Heroin. Sein spontaner, knalliger Collagenstil hat vielleicht dafür gesorgt, dass ihn einige bis heute nicht ganz ernst nehmen. Den Fehler sollte man nicht machen. Das Synapsenfeuerwerk des Jean-Michel Basquiat in Leinwandformat enthält auch eine Botschaft an die Menschen, die davor stehen: "Wirf dich rein ins Leben. Denn du weißt nie, wann Baron Samedi die Tür öffnet und sagt: Du bist dran."