"Auch mir als Pastor fehlten oft die Worte"
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"Auch mir als Pastor fehlten oft die Worte"
In der Zeit nach dem Erdbeben war es sehr kalt, nachts teilweise unter Null Grad. Viele suchten Schutz in der Kirche von Pfarrer Haroutune Selimian. Wie tröstet man jemand, der alles verloren hat? Pfarrer Selimian berichet.
29.03.2023

Der Tag des Erdbebens war schlimm. Man sah eine andere Art von Helligkeit am Himmel. Niemand wusste, was passiert. Dann hörten wir Geräusche, die tief aus dem Boden kamen. Und unter den Füßen fing alles an zu zittern. Viele dachten, dass das Ende der Welt gekommen ist – niemand hatte vorher so etwas Vergleichbares erlebt. Es war ein schreckliches Gefühl.

Wir haben in unserer Gemeinde sofort unsere Kirche geöffnet, damit Nachbarn und Anwohner Zuflucht finden. Einige sind direkt mit nackten Füßen aus den Häusern gerannt, in so einer Situation denkt man nicht daran, noch etwas einzupacken.

Nach dem Erdbeben sind etliche zu ihren Häusern zurückgekehrt. Viele Häuser sind nicht mehr bewohnbar, haben unübersehbare Risse und sind einsturzgefährdet. Viele Menschen wollten es nicht glauben, dass plötzlich alles weg ist. Damit kamen auch die quälenden Fragen: Wo werden wir leben? Wie kann ich meine Kinder, meine Mutter, meinen Vater versorgen?

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Haroutune Selimian

Haroutune Selimian ist Präsident der Armenischen Evangelischen Gemeinden in Syrien und Pfarrer der Bethelkirche in Aleppo. Er erhielt im Oktober 2017 den Friedenspreis der "Initiativgruppe 8. Oktober" in der Kreuzkirche in Dresden.

Für einige Wochen konnten wir zumindest diesen Menschen einen sicheren Ort bieten. Wir haben sie mit dem Nötigsten versorgt: Essen, Kleidung, Wärme. In der Zeit nach dem Erdbeben war es sehr kalt, teils zeigte das Thermometer nachts Minusgrade an. In so einer Ausnahmesituation ist es das Wichtigste, sich um die vermeintlichen Kleinigkeiten zu kümmern. Nur so kann man die Versorgung einer Vielzahl an Menschen sicherstellen.

Jede Person und jede Altersgruppe hat unterschiedliche Ausgangssituationen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Ältere mit chronischen Krankheiten sind vielleicht auf bestimmte Medikamente angewiesen, andere haben psychische Probleme nach der Katastrophe. Die Menschen reagieren sehr unterschiedlich. Auch mir als Pastor fehlten oft die Worte. Was kannst du Menschen erzählen, die gerade erst ihre Liebsten verloren haben? Ich habe einfach zugehört.

Es gab etliche Nachbeben. Meist mit noch größeren Schäden. Mit jedem Nachbeben stürzten weitere Häuser ein. Wir haben einen Monat nach dem Erdbeben unsere Hilfsstrategie angepasst und geholfen, dass Schulen und Läden wieder öffnen, damit die Menschen in ihr Zuhause zurückkehren können. Wir versuchten, ihnen ein bisschen die Angst vor der Rückkehr zu nehmen.

Nach wie vor bekommen wir als armenische Gemeinde starke Unterstützung, von den Partnern aus der Schweiz, aus Deutschland, aus den Niederlanden, auch aus den USA. Dadurch können wir immer noch Hilfe für alle leisten. Das Erdbeben hat nicht zwischen Muslimen und Christen unterschieden. Wir sind alle davon betroffen - mit denselben Problemen und dem Wunsch nach Sicherheit. Ich sehe das auch als Chance, um als Gemeinschaft hier in Aleppo zusammenzuwachsen.

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