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Früher, wenn ich als Vikarin Besuche bei älteren Herrschaften machte, habe ich mich zugleich gefreut und gefürchtet. Richtig gefreut habe ich mich über Erzählungen aus dem Leben der Damen und Herren - gleich, wie lange sie gedauert haben. Wenn jemand viele Jahrzehnte gelebt hat, dann hat er oder sie wirklich etwas zu sagen - und man kann den eigenen Horizont erweitern. Ich mag es nach wie vor, kleinen und großen Histörchen zuzuhören, über biographische Anekdoten zu lachen und zu trösten, wenn alte Traurigkeiten wieder aufleben.
Gefürchtet habe ich mich vor der Bewirtung. Manchmal nämlich, da gab es Kekse und Plätzchen, die selber schon hochbetagt waren. Und zum Trinken wurde häufig Likör gereicht - ein Getränk, das mir damals höchst zuwider war. Bevorzugt Produkte bekannter Firmen aus Kirschen oder aus Eiern, die man auch heute noch kennt. Es war wie bei Wilhelms Busch „Frommer Helene“: „Es ist ein Brauch von Alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör. Doch wer zufrieden und vergnügt, sieht zu, daß er auch welchen kriegt.“ Ich habe gerne verzichtet.
In einem Naturkostladen entdeckte ich kürzlich regionalen Eierlikör. Was mich geritten hat, weiß ich nicht. Gehöre ich selbst bereits zu den alten Damen? Tendenziell wahrscheinlich schon. Und Besuch erwarteten wir auch. Also ja, zugegeben, ich kaufte eine Flasche. Und nein, ich habe ihn nicht als Getränk zu Uralt-Keksen serviert. Die Zeiten ändern sich. Feine Biskuits landeten in einer breiten Sektschale und durften in Eierlikör baden. Darauf kamen dann sonnengelbe Mangoschnitze und feinherbe Mousse au chocolat. Die Gäste waren nach dem Menü angetan von diesem Dessert.
Mit Eierlikör lässt sich eine Menge anfangen. Vielleicht weniger tagsüber als vielmehr dann, wenn es um Nachtisch oder Digestifs geht. Man kann ihn als Würze in Gebäck, Kuchen oder Puddings geben, auf Speiseeis tröpfeln und mit Eiswürfeln servieren und trinken. Ich lasse die Kombination mit Limonade oder Prosecco hier aus - da gruselt es mich. Gut zu Eierlikör passen dagegen farblich abgestimmte Früchte wie Orange, Pfirsich und Maracuja - oder eben Mangos. Schokolade und Eierlikör sind ebenfalls ein ideales Paar: Gegensätze ziehen sich nach wie vor an.
Eierlikör enthält mindestens 14 % Alkohol. Das ist gut, weil Salmonellen so viel Schnaps nicht vertragen. Ich bin immer ein wenig misstrauisch, wenn Leute Eierlikör selber machen … Man muss schon professionell, also sehr sauber, unbedingt mit erstklassigen Eiern und ausreichend starkem Alkohol arbeiten, damit es keine üble Bakterieninfektion gibt. Ich traue mir das zu, aber ich lasse es trotzdem. Warum nicht kaufen, was andere souverän und ohne Gefahr für mich und meine Lieben herstellen? Meine Landfrauen zum Beispiel … die können das. Und ich entwerfe im Anschluss die Desserts.
Jetzt müsste ich noch überlegen, was sich mit Edelkirsch-Likör anfangen ließe. Bis die ersten jungen Pfarrerinnen und Pfarrer mich im Altersheim besuchen kommen, bin ich hoffentlich mit meinen Rezepten auf der Höhe der Zeit. Geschichten habe ich ausreichend.
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