Haben Sie die Geschehnisse in der Silvesternacht überrascht?
Fredericke Leuschner: Das Ausmaß scheint intensiver als früher gewesen zu sein, aber das Phänomen ist nicht neu. Auch in früheren Silvesternächten kam es zu Ausschreitungen – und zu Gewalt gegenüber Rettungskräften und der Polizei.
Fredericke Leuschner
Warum wollten Sie eine Studie zum Thema Gewalt gegen Rettungskräfte machen?
In Medien und Politik waren Angriffe auf Funktionsträger der Gesellschaft oft Thema. Häufig hieß es, dahinter stehe ein Verlust an Respekt, die Gesellschaft falle auseinander. Tatsächlich zeigt die Polizeiliche Kriminalstatistik: Die Angriffe auf Funktionsträger nehmen zu. Aber es gab keine wissenschaftliche Untersuchung dazu. Diese Forschungslücke wollten wir schließen.
Und wird wirklich alles schlimmer?
Die sogenannten Widerstandsdelikte gegen Funktionsträger sind in den vergangenen Jahren rapide angestiegen. Das liegt aber auch daran, dass die nach Gesetzesänderungen 2011 und 2017 in ihrem Anwednungsbereich erweitert wurden. Davor wurden die Überbegriffe als andere Straftatbestände wie Körperverletzung in die Statistik aufgenommen. Wenn man das berücksichtigt, ist nur noch ein geringer Anstieg zu sehen.
Was genau haben Sie untersucht?
Wir haben zwei Gruppen gebildet: Funktionsträger, die auch Normen durchsetzen – zum Beispiel Polizei und Ordnungsdienste. Und Funktionsträger, die anderen Menschen helfen – etwa Feuerwehr oder Rettungsdienst. Und wir haben mit Tätern gesprochen.
Machen die Angreifer einen Unterschied zwischen Polizei und Rettungskräften?
Das kommt darauf an. In bestimmten Situationen scheinen beide als Vertreter des Staates wahrgenommen zu werden. Aber aus Interviews mit Personen, die Polizeibeamte angegriffen haben, ergab sich auch, dass sie Gewalt gegen Rettungsdienstmitarbeitende scharf verurteilen und einen solchen Übergriff für sich völlig ausschließen.
"Feuerwehrleute und Rettungskräfte sehen sich als Retter in der Not – und rechnen nicht mit Angriffen"
Werden Polizei und Helfer gleich oft angegriffen?
Ja, in etwa. In einem Zeitraum von einer Woche haben uns aus beiden Gruppen anteilig etwa gleich viele Befragte von Übergriffen berichtet. Etwa 30 Prozent wurden beleidigt oder bedroht, knapp jede zehnte Person wurde körperlich angegriffen. Feuerwehrleute und Rettungskräfte scheinen Attacken intensiver zu erleben. Sie sehen sich als Retter in der Not – und rechnen nicht mit Angriffen.
Warum werden Helfer angegriffen?
Alkohol, andere Dogen und psychische Ausnahmezustände spielen eine große Rolle. Nur etwa zwölf Prozent der Angriffe auf den Rettungsdienst passierten, ohne dass einer dieser Faktoren im Spiel war. Betrachtet man alle Funktionsträger*innen, war es ein Fünftel. Gerade in Situationen wie an Silvester oder im Karneval kann man auf Menschen treffen, die in ihrer Wahrnehmung eingeschränkt sind.
Was haben Sie über die Täter erfahren?
Oft war diesen Leuten nicht klar, was passiert. Sie wussten nicht, warum Polizei und Rettungskräfte auftauchen und warum sie ihnen nahe kommen.
Was kann man daraus lernen, damit es nicht zu Gewalt kommt?
Einsatzkräfte sollten erklärend auftreten und die Empathie aufbringen, dass sie es mit Menschen zu tun haben, die sich in einer Ausnahmesituation befinden.
Was hören Sie von den Opfern?
Die Helfenden wünschen sich, dass anerkannt wird, wenn sie Gewalt erfahren haben. Teilweise sind das Menschen im Ehrenamt, die ihre Freizeit opfern. Wir haben von Helfenden gehört, bei denen der Vorgesetzte auch zwei Jahre nach einem Angriff noch nicht gefragt hatte, wie es ihnen geht. In der Ausbildung kommt das Thema zu kurz, es gibt nur unregelmäßige Fortbildungen, wenn überhaupt. Bei der Polizei klappt das besser. Die gute Nachricht: Häufig gelang es, brenzlige Situationen zu deeskalieren, indem Einsatzkräfte erklärt haben, was los ist und was sie machen. Das deckt sich in diesem Punkt mit der Sicht der Angreifenden – Erklären ist wichtig.
Viele fordern ein Böllerverbot. Hilft das?
Pyrotechnik ist zu Silvester sicher ein Faktor. Verbietet man sie, kann so leicht niemand Raketen auf Einsatzwagen schießen. Ich habe aber den Eindruck, dass es eine Art Eventcharakter gibt, gefördert durch Social Media: Wenn ich Bilder von einem Angriff auf Helfende im Internet hochlade, habe ich mehr Zuschauer, als wenn ich das nur vor fünf Kumpels mache.
Spielt der Migrationshintergrund der Täter eine Rolle?
Mit Hilfe von Straffälligen- und Suchthilfen konnten wir mit Menschen sprechen, die Funktionsträger angegriffen haben. Die Angreifenden sind gesellschaftlich abgehängt, jung und männlich. Für junge Männer kann Gewalt leider eine Form der Kommunikation sein. Es gibt Gruppen, die wenig positive Erfahrungen mit Staat und Gesellschaft machen und die auch deshalb mit dem Vorurteil aufwachsen: Der Polizei ist dein Feind. Es kann sein, dass das auf Menschen mit Migrationshintergrund häufiger zutrifft, aber es ist ein Wechselspiel, denn diese Gruppen machen überdurchschnittlich oft auch nicht die besten Erfahrungen in der Gesellschaft. Einfache Parolen greifen sicher zu kurz.
Die Studie "Gewalt gegen Rettungsdienstpersonal", an der außer Fredericke Leuschner auch Anne T. Herr, Paulina Lutz, Lena Fecher und Michaela Selzer mitgewirkt haben, finden Sie unter diesem Link.
Einfache Parolen ...
Sehr geehrte Frau Leuschner, sehr geehrte Redaktion,
zu den haarsträubenden Ereignissen der letzten Silversternacht greifen "einfache Parolen" mit Sicherheit zu kurz. Daher habe ich es sehr bedauert, in Ihrem Interview lediglich sehr oberflächliche und viel zu einfache Parolen zu lesen, die überdies abgegriffen und abgestanden sind wie kalter Kaffee. Lassen Sie mich zwei Dinge anmerken. Von welcher Seite haben Sie denn die Parole vernommen, dass Migranten typischerweise Polizei und Hilfskräfte mit Böllern beschießen, quasi als liebste Freizeitbeschäftigung? Ich nehme die deutsche Presselandschaft zwischen Süddeutscher Zeitung und Tichys Einblick wahr und habe nichts dergleichen irgendwo gefunden. Und ein Zweites: Wieso spielen Sie die Tatsache, die inzwischen überall zu lesen ist, dass der weit überwiegende Anteil der Gewalttäter der Silvesternacht migrantischer Herkunft ist, so nonchalant herunter? Welchen Sinn hat es, offensichtliche Tatsachen nicht entschieden in den Blick zu nehmen? Ich habe meinen Hauptwohnsitz wenige 10 m von der Sonnenallee in Berlin-Neukölln und nehme sehr präzis wahr, von welchen Seiten die zunehmende Gewalt, auch im Alltag, herrührt. Es ist aus meiner Sicht an der Zeit, dass in einem christlichen Magazin eine offene Diskussion über kulturelle und religiöse Differenzen geführt wird und in dem Zusammenhang auch Forderungen für ein friedliches Zusammenleben an die betreffenden Gruppierungen gestellt werden. Mit einem "mehr" an beschwichtigender Sozialfürsorge wird sich das Problem nicht lösen lassen. Die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen müssen dringend durch eine offene und auch einfordernde Auseinandersetzung ergänzt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Holger Müller-Brandes
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Einfache Parolen
In der Konfusion der wettbewerbsbedingten Symptomatik, wo alle "Werte" in einem "unergründlichen" Nebel, bzw. in der leichtfertigen / heuchlerisch-verlogenen "Ordnung" von Schuld- und Sündenbocksuche gehandhabt werden, sind einfache Parolen so beliebt wie der "Tanz um den heißen Brei", deshalb bleibt es VOR ALLEM bei den bücherschreibenden "Experten" dabei.
Es gibt den BEFRIEDENDEN Weg zur zweifelsfrei-eindeutigen und somit wirklichen Wahrhaftigkeit OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik, doch konkret, weil Angst, Gewalt und egozentriertes "Individualbewusstsein" ..., möchte darüber kaum einer was sprechen, kaum einer was hören, kaum einer was sehen, denn das berührt Tabus, herkömmlich-gewohnte Feindbilder, den Status und den Stand in der Hierarchie der systemrational-gebildeten Suppenkaspermentalität des Wohlstands-/Gewohnheitsmenschen.
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Einfache Parolen
"Heute sind wir in einer anderen Welt aufgewacht", hat die "Grüne" Baerbock verkündet, als es um den richtigen Schwung für den Ukraine-Krieg ging - Da soll mir doch mal einer beschreiben WIE KURZ diese Parole greift.
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